[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.Kopf meines schönen Kindes unbeweglich war, ob ich gleich eine so angenehme Nachricht gebracht hat- te? Sie stieß mich mit Ungestüm von der Thür weg, nicht anders als wenn ich eine Feder gewesen wäre, (es ist mir lieb, daß ich bey einer so unschul- digen Gelegenheit ihre Stärcke kennen lerne. Dieses- mahl machte sie der Zorn so starck, und mich machte die Furcht schwach.) lief nach ihrer Wohnstube, (Gott Lob, daß sie nicht weiter fliehen konnte) und schloß und riegelte sich sogleich ein. Jch tröstete mich damit, daß sie meine künftige Tod-Sünde nicht heftiger würde ahnden können. Jch schlich mit bekümmerten Hertzen auf meine Mein Kind bleibt jetzt eingeschlossen: es will Jch hoffe, sie wird dazu gesetzet haben: in ihrer Glaubst du nunmehr nicht, daß meine nächstbe- eine B 2
Kopf meines ſchoͤnen Kindes unbeweglich war, ob ich gleich eine ſo angenehme Nachricht gebracht hat- te? Sie ſtieß mich mit Ungeſtuͤm von der Thuͤr weg, nicht anders als wenn ich eine Feder geweſen waͤre, (es iſt mir lieb, daß ich bey einer ſo unſchul- digen Gelegenheit ihre Staͤrcke kennen lerne. Dieſes- mahl machte ſie der Zorn ſo ſtarck, und mich machte die Furcht ſchwach.) lief nach ihrer Wohnſtube, (Gott Lob, daß ſie nicht weiter fliehen konnte) und ſchloß und riegelte ſich ſogleich ein. Jch troͤſtete mich damit, daß ſie meine kuͤnftige Tod-Suͤnde nicht heftiger wuͤrde ahnden koͤnnen. Jch ſchlich mit bekuͤmmerten Hertzen auf meine Mein Kind bleibt jetzt eingeſchloſſen: es will Jch hoffe, ſie wird dazu geſetzet haben: in ihrer Glaubſt du nunmehr nicht, daß meine naͤchſtbe- eine B 2
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Kopf meines ſchoͤnen Kindes unbeweglich war, ob
ich gleich eine ſo angenehme Nachricht gebracht hat-
te? Sie ſtieß mich mit Ungeſtuͤm von der Thuͤr
weg, nicht anders als wenn ich eine Feder geweſen
waͤre, (es iſt mir lieb, daß ich bey einer ſo unſchul-
digen Gelegenheit ihre Staͤrcke kennen lerne. Dieſes-
mahl machte ſie der Zorn ſo ſtarck, und mich machte
die Furcht ſchwach.) lief nach ihrer Wohnſtube,
(Gott Lob, daß ſie nicht weiter fliehen konnte) und
ſchloß und riegelte ſich ſogleich ein. Jch troͤſtete
mich damit, daß ſie meine kuͤnftige Tod-Suͤnde
nicht heftiger wuͤrde ahnden koͤnnen.
Jch ſchlich mit bekuͤmmerten Hertzen auf meine
Stube, und weil mein Diener eben nicht bey der
Hand war, ſchlug ich mich verflucht mit beyden
Haͤnden vor den Kopf.
Mein Kind bleibt jetzt eingeſchloſſen: es will
nichts von mir wiſſen: es will nicht eſſen, ja es faſſet
den Entſchluß, mich nie wieder vor Augen zu ſehen;
niemahls, niemahls wieder in ihrem Leben,
will mich die Fraͤulein ſehen, wenn ſie es vermeiden
kann.
Jch hoffe, ſie wird dazu geſetzet haben: in ihrer
jetzigen Gemuͤths-Faſſung. Das ſollten die lie-
ben Kinder immer dazu ſetzen, wenn ſie ſich mit ih-
ren Dienern zancken, um ſich vor dem Meineyd zu
bewahren.
Glaubſt du nunmehr nicht, daß meine naͤchſtbe-
vorſtehende Schelmerey darauf gehen wird, zu ent-
decken, warum mein Kind ſich uͤber eine ſo geringe
Suͤnde ſo heftig entruͤſtet hat. Denn es wuͤrde
eine
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