Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



sie, mein Herr Capitain, was müßte das für ein
Mensch seyn, der eine solche Gelegenheit mis-
brauchte? Kennen sie die Fräulein?

Jch habe nur einmahl die Ehre gehabt, sie in
der Kirche zu sehen; und ich würde sie schwerlich
wieder kennen.

Sie nicht wieder kennen? - - Jch dächte,
daß kein Mensch auf der Welt sie gesehen hätte,
der sie nicht unter tausenden wieder kennen sollte.

Jch erinnere mich, daß ich glaubte, nie ein
schöneres Frauenzimmer in meinem Leben gesehen
zu haben. Jch glaube indessen, sie werden darin
mit mir einig seyn, Herr Lovelace, daß es besser
ist, wenn ihre Anverwandten ihnen durch einen
unbilligen Verdacht Unrecht thun, als wenn sie
der Fräulein Unrecht gethan hätten. Jch hoffe,
sie werden mir erlauben, meine Frage zu wieder-
hohlen.

Dorcas kam eilig herein.

Ein fremder Herr verlangt sie den Augen-
blick zu sprechen. Die Fräulein! (in das Ohr.)

Konnte meine schöne Heilige durch Dorcas
eine solche Unwahrheit sagen lassen, um mich ab-
zuhalten, daß ich keine Unwahrheit sagen möch-
te? - -

Bittet den Herrn, daß er unten in einen
Saal gehet. Jch werde ihm augenblicklich auf-
warten.

Dorcas gehet hinaus.

Jch wußte wohl, daß mich das liebe Kind un-
terrichten wollte, wie ich die Gewissens-Frage des

Capi-



ſie, mein Herr Capitain, was muͤßte das fuͤr ein
Menſch ſeyn, der eine ſolche Gelegenheit mis-
brauchte? Kennen ſie die Fraͤulein?

Jch habe nur einmahl die Ehre gehabt, ſie in
der Kirche zu ſehen; und ich wuͤrde ſie ſchwerlich
wieder kennen.

Sie nicht wieder kennen? ‒ ‒ Jch daͤchte,
daß kein Menſch auf der Welt ſie geſehen haͤtte,
der ſie nicht unter tauſenden wieder kennen ſollte.

Jch erinnere mich, daß ich glaubte, nie ein
ſchoͤneres Frauenzimmer in meinem Leben geſehen
zu haben. Jch glaube indeſſen, ſie werden darin
mit mir einig ſeyn, Herr Lovelace, daß es beſſer
iſt, wenn ihre Anverwandten ihnen durch einen
unbilligen Verdacht Unrecht thun, als wenn ſie
der Fraͤulein Unrecht gethan haͤtten. Jch hoffe,
ſie werden mir erlauben, meine Frage zu wieder-
hohlen.

Dorcas kam eilig herein.

Ein fremder Herr verlangt ſie den Augen-
blick zu ſprechen. Die Fraͤulein! (in das Ohr.)

Konnte meine ſchoͤne Heilige durch Dorcas
eine ſolche Unwahrheit ſagen laſſen, um mich ab-
zuhalten, daß ich keine Unwahrheit ſagen moͤch-
te? ‒ ‒

Bittet den Herrn, daß er unten in einen
Saal gehet. Jch werde ihm augenblicklich auf-
warten.

Dorcas gehet hinaus.

Jch wußte wohl, daß mich das liebe Kind un-
terrichten wollte, wie ich die Gewiſſens-Frage des

Capi-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0353" n="347"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;ie, mein Herr Capitain, was mu&#x0364;ßte das fu&#x0364;r ein<lb/>
Men&#x017F;ch &#x017F;eyn, der eine &#x017F;olche Gelegenheit mis-<lb/>
brauchte? Kennen &#x017F;ie die Fra&#x0364;ulein?</p><lb/>
          <p>Jch habe nur einmahl die Ehre gehabt, &#x017F;ie in<lb/>
der Kirche zu &#x017F;ehen; und ich wu&#x0364;rde &#x017F;ie &#x017F;chwerlich<lb/>
wieder kennen.</p><lb/>
          <p>Sie nicht wieder kennen? &#x2012; &#x2012; Jch da&#x0364;chte,<lb/>
daß kein Men&#x017F;ch auf der Welt &#x017F;ie ge&#x017F;ehen ha&#x0364;tte,<lb/>
der &#x017F;ie nicht unter tau&#x017F;enden wieder kennen &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Jch erinnere mich, daß ich glaubte, nie ein<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;neres Frauenzimmer in meinem Leben ge&#x017F;ehen<lb/>
zu haben. Jch glaube inde&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie werden darin<lb/>
mit mir einig &#x017F;eyn, Herr <hi rendition="#fr">Lovelace,</hi> daß es be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
i&#x017F;t, wenn ihre Anverwandten ihnen durch einen<lb/>
unbilligen Verdacht Unrecht thun, als wenn &#x017F;ie<lb/>
der Fra&#x0364;ulein Unrecht gethan ha&#x0364;tten. Jch hoffe,<lb/>
&#x017F;ie werden mir erlauben, meine Frage zu wieder-<lb/>
hohlen.</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Dorcas kam eilig herein.</hi> </hi> </p><lb/>
          <p>Ein fremder Herr verlangt &#x017F;ie den Augen-<lb/>
blick zu &#x017F;prechen. <hi rendition="#fr">Die Fra&#x0364;ulein!</hi> (in das Ohr.)</p><lb/>
          <p>Konnte meine &#x017F;cho&#x0364;ne Heilige durch <hi rendition="#fr">Dorcas</hi><lb/>
eine &#x017F;olche Unwahrheit &#x017F;agen la&#x017F;&#x017F;en, um mich ab-<lb/>
zuhalten, daß ich keine Unwahrheit &#x017F;agen mo&#x0364;ch-<lb/>
te? &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Bittet den Herrn, daß er unten in einen<lb/>
Saal gehet. Jch werde ihm augenblicklich auf-<lb/>
warten.</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Dorcas gehet hinaus.</hi> </hi> </p><lb/>
          <p>Jch wußte wohl, daß mich das liebe Kind un-<lb/>
terrichten wollte, wie ich die Gewi&#x017F;&#x017F;ens-Frage des<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Capi-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0353] ſie, mein Herr Capitain, was muͤßte das fuͤr ein Menſch ſeyn, der eine ſolche Gelegenheit mis- brauchte? Kennen ſie die Fraͤulein? Jch habe nur einmahl die Ehre gehabt, ſie in der Kirche zu ſehen; und ich wuͤrde ſie ſchwerlich wieder kennen. Sie nicht wieder kennen? ‒ ‒ Jch daͤchte, daß kein Menſch auf der Welt ſie geſehen haͤtte, der ſie nicht unter tauſenden wieder kennen ſollte. Jch erinnere mich, daß ich glaubte, nie ein ſchoͤneres Frauenzimmer in meinem Leben geſehen zu haben. Jch glaube indeſſen, ſie werden darin mit mir einig ſeyn, Herr Lovelace, daß es beſſer iſt, wenn ihre Anverwandten ihnen durch einen unbilligen Verdacht Unrecht thun, als wenn ſie der Fraͤulein Unrecht gethan haͤtten. Jch hoffe, ſie werden mir erlauben, meine Frage zu wieder- hohlen. Dorcas kam eilig herein. Ein fremder Herr verlangt ſie den Augen- blick zu ſprechen. Die Fraͤulein! (in das Ohr.) Konnte meine ſchoͤne Heilige durch Dorcas eine ſolche Unwahrheit ſagen laſſen, um mich ab- zuhalten, daß ich keine Unwahrheit ſagen moͤch- te? ‒ ‒ Bittet den Herrn, daß er unten in einen Saal gehet. Jch werde ihm augenblicklich auf- warten. Dorcas gehet hinaus. Jch wußte wohl, daß mich das liebe Kind un- terrichten wollte, wie ich die Gewiſſens-Frage des Capi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/353
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/353>, abgerufen am 22.11.2024.