"Herr Lovelace ist stoltz. Wir haben sol- "ches lange bemerckt. Und ich fürchte in Wahr- "heit, sein edles Bezeigen rührt mehr von seinem "Stoltze und seiner Eitelkeit, als von der Men- "schen-Liebe, die ein gutthätiges Gemüthe unter- "scheidet, her."
"Geld achtet er nicht weiter, als in so fern es "ein Mittel seine Eitelkeit zu unterstützen, und "ihn von der Unterwürfigkeit für andere zu be- "freyen. Es ist leicht, wie ich oft bemerckt habe, "daß ein Mensch sich von seinen Neben-Trieben "losmacht, wenn er dadurch die Haupt-Reitzun- "gen stillen kann."
"Jch fürchte, mein Werther, daß bey seiner "Auferziehung ein Fehler vorgegangen ist. Ver- "muthlich hat man auf seine natürliche Neigung "nicht genug acht gehabt, da man voraus sahe daß "er viel Gewalt bekommen würde, so unterrich- "tete man ihn vielleicht gute und wohlthätige "Handlungen auszuüben, aber man brachte ihm "nicht die gehörigen Bewegungs-Gründe, war- "um er solche ausüben sollte, bey."
Sonst wäre sein Edelmuth nicht beym Stol- ze stehen geblieben, sondern er hätte sich bis zur Menschlichkeit erhoben: alsdenn würde er sich nicht befriedigt haben, manchmahl, nachdem er bey guter Laune ist, lobenswürdige Thaten zu ver- richten, oder als sollte eine gute Handlung bey ihm für eine böse, nach der Lehre von den verdienst-
lichen
„Herr Lovelace iſt ſtoltz. Wir haben ſol- „ches lange bemerckt. Und ich fuͤrchte in Wahr- „heit, ſein edles Bezeigen ruͤhrt mehr von ſeinem „Stoltze und ſeiner Eitelkeit, als von der Men- „ſchen-Liebe, die ein gutthaͤtiges Gemuͤthe unter- „ſcheidet, her.“
„Geld achtet er nicht weiter, als in ſo fern es „ein Mittel ſeine Eitelkeit zu unterſtuͤtzen, und „ihn von der Unterwuͤrfigkeit fuͤr andere zu be- „freyen. Es iſt leicht, wie ich oft bemerckt habe, „daß ein Menſch ſich von ſeinen Neben-Trieben „losmacht, wenn er dadurch die Haupt-Reitzun- „gen ſtillen kann.“
„Jch fuͤrchte, mein Werther, daß bey ſeiner „Auferziehung ein Fehler vorgegangen iſt. Ver- „muthlich hat man auf ſeine natuͤrliche Neigung „nicht genug acht gehabt, da man voraus ſahe daß „er viel Gewalt bekommen wuͤrde, ſo unterrich- „tete man ihn vielleicht gute und wohlthaͤtige „Handlungen auszuuͤben, aber man brachte ihm „nicht die gehoͤrigen Bewegungs-Gruͤnde, war- „um er ſolche ausuͤben ſollte, bey.„
Sonſt waͤre ſein Edelmuth nicht beym Stol- ze ſtehen geblieben, ſondern er haͤtte ſich bis zur Menſchlichkeit erhoben: alsdenn wuͤrde er ſich nicht befriedigt haben, manchmahl, nachdem er bey guter Laune iſt, lobenswuͤrdige Thaten zu ver- richten, oder als ſollte eine gute Handlung bey ihm fuͤr eine boͤſe, nach der Lehre von den verdienſt-
lichen
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„Herr Lovelace iſt ſtoltz. Wir haben ſol-
„ches lange bemerckt. Und ich fuͤrchte in Wahr-
„heit, ſein edles Bezeigen ruͤhrt mehr von ſeinem
„Stoltze und ſeiner Eitelkeit, als von der Men-
„ſchen-Liebe, die ein gutthaͤtiges Gemuͤthe unter-
„ſcheidet, her.“
„Geld achtet er nicht weiter, als in ſo fern es
„ein Mittel ſeine Eitelkeit zu unterſtuͤtzen, und
„ihn von der Unterwuͤrfigkeit fuͤr andere zu be-
„freyen. Es iſt leicht, wie ich oft bemerckt habe,
„daß ein Menſch ſich von ſeinen Neben-Trieben
„losmacht, wenn er dadurch die Haupt-Reitzun-
„gen ſtillen kann.“
„Jch fuͤrchte, mein Werther, daß bey ſeiner
„Auferziehung ein Fehler vorgegangen iſt. Ver-
„muthlich hat man auf ſeine natuͤrliche Neigung
„nicht genug acht gehabt, da man voraus ſahe daß
„er viel Gewalt bekommen wuͤrde, ſo unterrich-
„tete man ihn vielleicht gute und wohlthaͤtige
„Handlungen auszuuͤben, aber man brachte ihm
„nicht die gehoͤrigen Bewegungs-Gruͤnde, war-
„um er ſolche ausuͤben ſollte, bey.„
Sonſt waͤre ſein Edelmuth nicht beym Stol-
ze ſtehen geblieben, ſondern er haͤtte ſich bis zur
Menſchlichkeit erhoben: alsdenn wuͤrde er ſich
nicht befriedigt haben, manchmahl, nachdem er
bey guter Laune iſt, lobenswuͤrdige Thaten zu ver-
richten, oder als ſollte eine gute Handlung bey ihm
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/392>, abgerufen am 22.11.2024.
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