Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



Seufzer, so sehr als sie nur jetzo seyn kan. - -
Sie wird es nicht ausstehen, mein Freund!

Jch entdeckte ihr, gleich ehe wir abgegangen
waren, hätte ich von Pritchard gehört, und erwar-
tete, daß ihn der Lord M. morgen in die Stadt
schicken würde, meine Verordnungen anzunehmen.
Jch redete mit Danckbezeigung von des Lords Gü-
te gegen mich, und mit Vergnügen, von meiner
Base und Muhmen Hochachtung für sie, auch von
des Lords Misvergnügen, daß ihm sein Chiragra
hinderte, meinen letzten Brief eigenhändig zu be-
antworten.

Sie bedauerte den Lord. Sie bedauerte das
arme Fräulein Fretchville gleichfalls, denn sie
hatte die Guthertzigkeit sich nach ihr zu erkundi-
gen. Jhr gutes Gemüthe bedauerte jedermann,
der Mitleiden zu brauchen schiene. Da sie für
sich selbst glücklich ist, so hat sie Zeit sich nach an-
dern umzusehen, und wünscht, daß alle glücklich
seyn möchten.

Dem Ansehen nach dürfte es mit Fräulein
Fretchville übel gehen. Jhr Gesichte, dessent-
wegen sie sich so viel einbildete, wird völlig ver-
derbt werden. Von einem so großen Unglücke
kann sie doch noch diesen Vortheil ziehen - - Wie
die größere Kranckheit ordentlich die kleinere ver-
schlingt, so kann sie bey dieser Gelegenheit einen
Schmertz empfinden, der ihr den andern Schmertz
vermindert und erträglich macht.

Jch
B b 5



Seufzer, ſo ſehr als ſie nur jetzo ſeyn kan. ‒ ‒
Sie wird es nicht ausſtehen, mein Freund!

Jch entdeckte ihr, gleich ehe wir abgegangen
waren, haͤtte ich von Pritchard gehoͤrt, und erwar-
tete, daß ihn der Lord M. morgen in die Stadt
ſchicken wuͤrde, meine Verordnungen anzunehmen.
Jch redete mit Danckbezeigung von des Lords Guͤ-
te gegen mich, und mit Vergnuͤgen, von meiner
Baſe und Muhmen Hochachtung fuͤr ſie, auch von
des Lords Misvergnuͤgen, daß ihm ſein Chiragra
hinderte, meinen letzten Brief eigenhaͤndig zu be-
antworten.

Sie bedauerte den Lord. Sie bedauerte das
arme Fraͤulein Fretchville gleichfalls, denn ſie
hatte die Guthertzigkeit ſich nach ihr zu erkundi-
gen. Jhr gutes Gemuͤthe bedauerte jedermann,
der Mitleiden zu brauchen ſchiene. Da ſie fuͤr
ſich ſelbſt gluͤcklich iſt, ſo hat ſie Zeit ſich nach an-
dern umzuſehen, und wuͤnſcht, daß alle gluͤcklich
ſeyn moͤchten.

Dem Anſehen nach duͤrfte es mit Fraͤulein
Fretchville uͤbel gehen. Jhr Geſichte, deſſent-
wegen ſie ſich ſo viel einbildete, wird voͤllig ver-
derbt werden. Von einem ſo großen Ungluͤcke
kann ſie doch noch dieſen Vortheil ziehen ‒ ‒ Wie
die groͤßere Kranckheit ordentlich die kleinere ver-
ſchlingt, ſo kann ſie bey dieſer Gelegenheit einen
Schmertz empfinden, der ihr den andern Schmertz
vermindert und ertraͤglich macht.

Jch
B b 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0399" n="393"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Seufzer, &#x017F;o &#x017F;ehr als &#x017F;ie nur jetzo &#x017F;eyn kan. &#x2012; &#x2012;<lb/>
Sie wird es nicht aus&#x017F;tehen, mein Freund!</p><lb/>
          <p>Jch entdeckte ihr, gleich ehe wir abgegangen<lb/>
waren, ha&#x0364;tte ich von Pritchard geho&#x0364;rt, und erwar-<lb/>
tete, daß ihn der Lord M. morgen in die Stadt<lb/>
&#x017F;chicken wu&#x0364;rde, meine Verordnungen anzunehmen.<lb/>
Jch redete mit Danckbezeigung von des Lords Gu&#x0364;-<lb/>
te gegen mich, und mit Vergnu&#x0364;gen, von meiner<lb/>
Ba&#x017F;e und Muhmen Hochachtung fu&#x0364;r &#x017F;ie, auch von<lb/>
des Lords Misvergnu&#x0364;gen, daß ihm &#x017F;ein Chiragra<lb/>
hinderte, meinen letzten Brief eigenha&#x0364;ndig zu be-<lb/>
antworten.</p><lb/>
          <p>Sie bedauerte den Lord. Sie bedauerte das<lb/>
arme Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Fretchville</hi> gleichfalls, denn &#x017F;ie<lb/>
hatte die Guthertzigkeit &#x017F;ich nach ihr zu erkundi-<lb/>
gen. Jhr gutes Gemu&#x0364;the bedauerte jedermann,<lb/>
der Mitleiden zu brauchen &#x017F;chiene. Da &#x017F;ie fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t glu&#x0364;cklich i&#x017F;t, &#x017F;o hat &#x017F;ie Zeit &#x017F;ich nach an-<lb/>
dern umzu&#x017F;ehen, und wu&#x0364;n&#x017F;cht, daß alle glu&#x0364;cklich<lb/>
&#x017F;eyn mo&#x0364;chten.</p><lb/>
          <p>Dem An&#x017F;ehen nach du&#x0364;rfte es mit Fra&#x0364;ulein<lb/><hi rendition="#fr">Fretchville</hi> u&#x0364;bel gehen. Jhr Ge&#x017F;ichte, de&#x017F;&#x017F;ent-<lb/>
wegen &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;o viel einbildete, wird vo&#x0364;llig ver-<lb/>
derbt werden. Von einem &#x017F;o großen Unglu&#x0364;cke<lb/>
kann &#x017F;ie doch noch die&#x017F;en Vortheil ziehen &#x2012; &#x2012; Wie<lb/>
die gro&#x0364;ßere Kranckheit ordentlich die kleinere ver-<lb/>
&#x017F;chlingt, &#x017F;o kann &#x017F;ie bey die&#x017F;er Gelegenheit einen<lb/>
Schmertz empfinden, der ihr den andern Schmertz<lb/>
vermindert und ertra&#x0364;glich macht.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">B b 5</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0399] Seufzer, ſo ſehr als ſie nur jetzo ſeyn kan. ‒ ‒ Sie wird es nicht ausſtehen, mein Freund! Jch entdeckte ihr, gleich ehe wir abgegangen waren, haͤtte ich von Pritchard gehoͤrt, und erwar- tete, daß ihn der Lord M. morgen in die Stadt ſchicken wuͤrde, meine Verordnungen anzunehmen. Jch redete mit Danckbezeigung von des Lords Guͤ- te gegen mich, und mit Vergnuͤgen, von meiner Baſe und Muhmen Hochachtung fuͤr ſie, auch von des Lords Misvergnuͤgen, daß ihm ſein Chiragra hinderte, meinen letzten Brief eigenhaͤndig zu be- antworten. Sie bedauerte den Lord. Sie bedauerte das arme Fraͤulein Fretchville gleichfalls, denn ſie hatte die Guthertzigkeit ſich nach ihr zu erkundi- gen. Jhr gutes Gemuͤthe bedauerte jedermann, der Mitleiden zu brauchen ſchiene. Da ſie fuͤr ſich ſelbſt gluͤcklich iſt, ſo hat ſie Zeit ſich nach an- dern umzuſehen, und wuͤnſcht, daß alle gluͤcklich ſeyn moͤchten. Dem Anſehen nach duͤrfte es mit Fraͤulein Fretchville uͤbel gehen. Jhr Geſichte, deſſent- wegen ſie ſich ſo viel einbildete, wird voͤllig ver- derbt werden. Von einem ſo großen Ungluͤcke kann ſie doch noch dieſen Vortheil ziehen ‒ ‒ Wie die groͤßere Kranckheit ordentlich die kleinere ver- ſchlingt, ſo kann ſie bey dieſer Gelegenheit einen Schmertz empfinden, der ihr den andern Schmertz vermindert und ertraͤglich macht. Jch B b 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/399
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/399>, abgerufen am 22.11.2024.