Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Weibspersonen schienen gerühret: denn
ich redete mit vielem Eifer, ob gleich nur leise - -
Und außerdem sehen sie es gern, daß ihr Geschlecht
und die Gunst von demselben uns wichtig schei-
net. Sie schüttelten ihre tiessinnigen Köpfe
gegen einander und sahen bekümmert aus. Dieß
rührte auch so gar mein zartes Herze.

Es ist etwas unerhörtes, meine lieben Frau-
enzimmer - - - Hätte sie mich nicht allen
Mannspersonen vorgezogen - - Da brach ich
ab - - Und das ist es, fing ich wieder an, in-
dem ich nach meinem Schnupftuche fühlte, was
den Capitain Tomlinson unschlüßig machte, als
er ihre Flucht hörte: der das letzte mal, da er
uns bey einander sahe, an uns das allervertrau-
teste Paar von der Welt gesehen hatte! - - das
allervertrauteste Paar von der Welt! sagte ich noch
einmal in einem kläglichen Tone.

Hierauf zog ich mein Schnupftuch heraus,
hielte es vor den Augen, stund auf und ging an
das Fenster - - Es macht mich weichherziger,
als eine Frauensperson! - - Liebte ich sie nicht
so, wie niemals ein Mann seine Frau geliebet
hat - - Jch zweifele nicht, Bruder, daß ich
dieß wirklich thue.

Hier hielte ich wieder inne: und fuhr her-
nach fort. So reizend sie auch ist, wie sie selbst
sehen: so wollte ich doch wüuschen, daß ich ihr
Angesicht niemals gesehen hätte. - - Entschul-
digen sie mich. Dabey ging ich queer durch das
Zimmer. Nachdem ich meine Augen so lange ge-

trie-


Die Weibsperſonen ſchienen geruͤhret: denn
ich redete mit vielem Eifer, ob gleich nur leiſe ‒ ‒
Und außerdem ſehen ſie es gern, daß ihr Geſchlecht
und die Gunſt von demſelben uns wichtig ſchei-
net. Sie ſchuͤttelten ihre tieſſinnigen Koͤpfe
gegen einander und ſahen bekuͤmmert aus. Dieß
ruͤhrte auch ſo gar mein zartes Herze.

Es iſt etwas unerhoͤrtes, meine lieben Frau-
enzimmer ‒ ‒ ‒ Haͤtte ſie mich nicht allen
Mannsperſonen vorgezogen ‒ ‒ Da brach ich
ab ‒ ‒ Und das iſt es, fing ich wieder an, in-
dem ich nach meinem Schnupftuche fuͤhlte, was
den Capitain Tomlinſon unſchluͤßig machte, als
er ihre Flucht hoͤrte: der das letzte mal, da er
uns bey einander ſahe, an uns das allervertrau-
teſte Paar von der Welt geſehen hatte! ‒ ‒ das
allervertrauteſte Paar von der Welt! ſagte ich noch
einmal in einem klaͤglichen Tone.

Hierauf zog ich mein Schnupftuch heraus,
hielte es vor den Augen, ſtund auf und ging an
das Fenſter ‒ ‒ Es macht mich weichherziger,
als eine Frauensperſon! ‒ ‒ Liebte ich ſie nicht
ſo, wie niemals ein Mann ſeine Frau geliebet
hat ‒ ‒ Jch zweifele nicht, Bruder, daß ich
dieß wirklich thue.

Hier hielte ich wieder inne: und fuhr her-
nach fort. So reizend ſie auch iſt, wie ſie ſelbſt
ſehen: ſo wollte ich doch wuͤuſchen, daß ich ihr
Angeſicht niemals geſehen haͤtte. ‒ ‒ Entſchul-
digen ſie mich. Dabey ging ich queer durch das
Zimmer. Nachdem ich meine Augen ſo lange ge-

trie-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0282" n="276"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Die Weibsper&#x017F;onen &#x017F;chienen geru&#x0364;hret: denn<lb/>
ich redete mit vielem Eifer, ob gleich nur lei&#x017F;e &#x2012; &#x2012;<lb/>
Und außerdem &#x017F;ehen &#x017F;ie es gern, daß ihr Ge&#x017F;chlecht<lb/>
und die Gun&#x017F;t von dem&#x017F;elben uns wichtig &#x017F;chei-<lb/>
net. Sie &#x017F;chu&#x0364;ttelten ihre tie&#x017F;&#x017F;innigen Ko&#x0364;pfe<lb/>
gegen einander und &#x017F;ahen beku&#x0364;mmert aus. Dieß<lb/>
ru&#x0364;hrte auch &#x017F;o gar mein zartes Herze.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t etwas unerho&#x0364;rtes, meine lieben Frau-<lb/>
enzimmer &#x2012; &#x2012; &#x2012; Ha&#x0364;tte &#x017F;ie mich nicht allen<lb/>
Mannsper&#x017F;onen vorgezogen &#x2012; &#x2012; Da brach ich<lb/>
ab &#x2012; &#x2012; Und das i&#x017F;t es, fing ich wieder an, in-<lb/>
dem ich nach meinem Schnupftuche fu&#x0364;hlte, was<lb/>
den Capitain Tomlin&#x017F;on un&#x017F;chlu&#x0364;ßig machte, als<lb/>
er ihre Flucht ho&#x0364;rte: der das letzte mal, da er<lb/>
uns bey einander &#x017F;ahe, an uns das allervertrau-<lb/>
te&#x017F;te Paar von der Welt ge&#x017F;ehen hatte! &#x2012; &#x2012; das<lb/>
allervertraute&#x017F;te Paar von der Welt! &#x017F;agte ich noch<lb/>
einmal in einem kla&#x0364;glichen Tone.</p><lb/>
          <p>Hierauf zog ich mein Schnupftuch heraus,<lb/>
hielte es vor den Augen, &#x017F;tund auf und ging an<lb/>
das Fen&#x017F;ter &#x2012; &#x2012; Es macht mich weichherziger,<lb/>
als eine Frauensper&#x017F;on! &#x2012; &#x2012; Liebte ich &#x017F;ie nicht<lb/>
&#x017F;o, wie niemals ein Mann <hi rendition="#fr">&#x017F;eine Frau</hi> geliebet<lb/>
hat &#x2012; &#x2012; <hi rendition="#fr">Jch zweifele nicht, Bruder, daß ich<lb/>
dieß wirklich thue.</hi></p><lb/>
          <p>Hier hielte ich wieder inne: und fuhr her-<lb/>
nach fort. So reizend &#x017F;ie auch i&#x017F;t, wie &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ehen: &#x017F;o wollte ich doch wu&#x0364;u&#x017F;chen, daß ich ihr<lb/>
Ange&#x017F;icht niemals ge&#x017F;ehen ha&#x0364;tte. &#x2012; &#x2012; Ent&#x017F;chul-<lb/>
digen &#x017F;ie mich. Dabey ging ich queer durch das<lb/>
Zimmer. Nachdem ich meine Augen &#x017F;o lange ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">trie-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0282] Die Weibsperſonen ſchienen geruͤhret: denn ich redete mit vielem Eifer, ob gleich nur leiſe ‒ ‒ Und außerdem ſehen ſie es gern, daß ihr Geſchlecht und die Gunſt von demſelben uns wichtig ſchei- net. Sie ſchuͤttelten ihre tieſſinnigen Koͤpfe gegen einander und ſahen bekuͤmmert aus. Dieß ruͤhrte auch ſo gar mein zartes Herze. Es iſt etwas unerhoͤrtes, meine lieben Frau- enzimmer ‒ ‒ ‒ Haͤtte ſie mich nicht allen Mannsperſonen vorgezogen ‒ ‒ Da brach ich ab ‒ ‒ Und das iſt es, fing ich wieder an, in- dem ich nach meinem Schnupftuche fuͤhlte, was den Capitain Tomlinſon unſchluͤßig machte, als er ihre Flucht hoͤrte: der das letzte mal, da er uns bey einander ſahe, an uns das allervertrau- teſte Paar von der Welt geſehen hatte! ‒ ‒ das allervertrauteſte Paar von der Welt! ſagte ich noch einmal in einem klaͤglichen Tone. Hierauf zog ich mein Schnupftuch heraus, hielte es vor den Augen, ſtund auf und ging an das Fenſter ‒ ‒ Es macht mich weichherziger, als eine Frauensperſon! ‒ ‒ Liebte ich ſie nicht ſo, wie niemals ein Mann ſeine Frau geliebet hat ‒ ‒ Jch zweifele nicht, Bruder, daß ich dieß wirklich thue. Hier hielte ich wieder inne: und fuhr her- nach fort. So reizend ſie auch iſt, wie ſie ſelbſt ſehen: ſo wollte ich doch wuͤuſchen, daß ich ihr Angeſicht niemals geſehen haͤtte. ‒ ‒ Entſchul- digen ſie mich. Dabey ging ich queer durch das Zimmer. Nachdem ich meine Augen ſo lange ge- trie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/282
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/282>, abgerufen am 24.11.2024.