sich die Entfernung zwischen ihrer Nase und ih- rem Kinn verlängerte.
Mir fiel dabey die andächtige Fr. Fetherstone zu Oxford ein, die ich dir einmal unter andern seltsa- men Bildern in der Marienkirche zeigte, wohin wir gegangen waren, ihre beyden Schwestern in Au- genschein zu nehmen. Sie hatte die Augen zu- geschlossen; als wenn sie ihrem Herzen nicht trau- en dürfte, wenn sie offen wären: schlug aber doch die Augenlieder eben halb auf, um zu sehen, wer zuletzt gekommen wäre; und ließ sie wieder nie- der, nachdem ihre Neubegierde gestillet war.
Die Witwe Bevis machte starre Augen: als wenn sie auf ein Geheimniß laurete.
Der Capitain sahe großmüthig aus: als wenn er schon halb hinter eines gekommen wäre.
Endlich unterbrach Frau Moore das scham- hafte Stillschweigen. Das Betragen der Frau Lo- velacen, sprach sie, könnte durch nichts erkläret wer- den, als durch die übeln Dienste der Fräulein Howe und die Härte ihrer Anverwandten, wel- che ihr vermuthlich den Kopf bisweilen ein we- nig möchte eingenommen haben. Es wäre sehr edelmüthig von mir gehandelt, setzte sie hinzu, daß ich dem Sturm, wenn er sich erhübe, lieber den freyen Lauf ließe, als ihn zu einer solchen Zeit ärger machte.
Erlauben sie mir zu sagen, meine Herren, sprach die Witwe Bevis, daß dieß unter tausend Ehemännern nicht einer würde gethan haben.
Jch
ſich die Entfernung zwiſchen ihrer Naſe und ih- rem Kinn verlaͤngerte.
Mir fiel dabey die andaͤchtige Fr. Fetherſtone zu Oxford ein, die ich dir einmal unter andern ſeltſa- men Bildern in der Marienkirche zeigte, wohin wir gegangen waren, ihre beyden Schweſtern in Au- genſchein zu nehmen. Sie hatte die Augen zu- geſchloſſen; als wenn ſie ihrem Herzen nicht trau- en duͤrfte, wenn ſie offen waͤren: ſchlug aber doch die Augenlieder eben halb auf, um zu ſehen, wer zuletzt gekommen waͤre; und ließ ſie wieder nie- der, nachdem ihre Neubegierde geſtillet war.
Die Witwe Bevis machte ſtarre Augen: als wenn ſie auf ein Geheimniß laurete.
Der Capitain ſahe großmuͤthig aus: als wenn er ſchon halb hinter eines gekommen waͤre.
Endlich unterbrach Frau Moore das ſcham- hafte Stillſchweigen. Das Betragen der Frau Lo- velacen, ſprach ſie, koͤnnte durch nichts erklaͤret wer- den, als durch die uͤbeln Dienſte der Fraͤulein Howe und die Haͤrte ihrer Anverwandten, wel- che ihr vermuthlich den Kopf bisweilen ein we- nig moͤchte eingenommen haben. Es waͤre ſehr edelmuͤthig von mir gehandelt, ſetzte ſie hinzu, daß ich dem Sturm, wenn er ſich erhuͤbe, lieber den freyen Lauf ließe, als ihn zu einer ſolchen Zeit aͤrger machte.
Erlauben ſie mir zu ſagen, meine Herren, ſprach die Witwe Bevis, daß dieß unter tauſend Ehemaͤnnern nicht einer wuͤrde gethan haben.
Jch
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ſich die Entfernung zwiſchen ihrer Naſe und ih-
rem Kinn verlaͤngerte.
Mir fiel dabey die andaͤchtige Fr. Fetherſtone
zu Oxford ein, die ich dir einmal unter andern ſeltſa-
men Bildern in der Marienkirche zeigte, wohin wir
gegangen waren, ihre beyden Schweſtern in Au-
genſchein zu nehmen. Sie hatte die Augen zu-
geſchloſſen; als wenn ſie ihrem Herzen nicht trau-
en duͤrfte, wenn ſie offen waͤren: ſchlug aber doch
die Augenlieder eben halb auf, um zu ſehen, wer
zuletzt gekommen waͤre; und ließ ſie wieder nie-
der, nachdem ihre Neubegierde geſtillet war.
Die Witwe Bevis machte ſtarre Augen:
als wenn ſie auf ein Geheimniß laurete.
Der Capitain ſahe großmuͤthig aus: als
wenn er ſchon halb hinter eines gekommen
waͤre.
Endlich unterbrach Frau Moore das ſcham-
hafte Stillſchweigen. Das Betragen der Frau Lo-
velacen, ſprach ſie, koͤnnte durch nichts erklaͤret wer-
den, als durch die uͤbeln Dienſte der Fraͤulein
Howe und die Haͤrte ihrer Anverwandten, wel-
che ihr vermuthlich den Kopf bisweilen ein we-
nig moͤchte eingenommen haben. Es waͤre ſehr
edelmuͤthig von mir gehandelt, ſetzte ſie hinzu, daß
ich dem Sturm, wenn er ſich erhuͤbe, lieber den
freyen Lauf ließe, als ihn zu einer ſolchen Zeit
aͤrger machte.
Erlauben ſie mir zu ſagen, meine Herren,
ſprach die Witwe Bevis, daß dieß unter tauſend
Ehemaͤnnern nicht einer wuͤrde gethan haben.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/344>, abgerufen am 24.11.2024.
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