und mir ist bange, daß ich zu wenig habe. Da- her rühren unsere Schwierigkeiten. Allein ich habe ein Herz, Herr Capitain, ein Herz, das mir auf ihre Liebe zu hoffen befiehlet: weil es entschlos- sen ist, dieselbe zu verdienen, so viel als ein Mensch sie verdienen kann.
Capit. Es ist wahr, ich bin über das, was ich gesehen und gehöret habe, erstaunet. Jch re- de dem Herrn Lovelace nicht das Wort, gnädige Fräulein, wegen der Beleidigung, die ihnen von ihm widerfahren ist. Weil ich selbst Vater bin und Töchter habe: so kann ich das nicht thun; ob gleich sein Vergehen geringer scheinet, als ich mir vorgestellet hatte. Nichts desto weniger denke ich nach meinem Gewissen, ihre Gnaden, daß sie ihren Unwillen zu hoch treiben.
Cl. Zu hoch, mein Herr! - - zu hoch, ge- gen einen Menschen, der glücklich hätte seyn kön- nen, wenn er gewollt hätte! - - Zu hoch gegen einen Menschen, der in hundert Fällen mein Ge- müth in ungewisser Erwartung gelassen hat, seit dem er durch List und Betrug, eine Gewalt über mich bekommen! - - Sage, Lovelace, sage du selbst: Bist du nicht eben der Lovelace, der durch verwegne Beschimpfungen meiner Person deine eigne Hoffnung zernichtet hat? - - Der elende Kerl, welcher sich so schändlich verkleidet hatte, einen alten lahmen Mann vorstellte und Zimmer für sein kränkliches Weib suchte? - - Der den Frauensleuten hier im Hause selbst er-
fun-
und mir iſt bange, daß ich zu wenig habe. Da- her ruͤhren unſere Schwierigkeiten. Allein ich habe ein Herz, Herr Capitain, ein Herz, das mir auf ihre Liebe zu hoffen befiehlet: weil es entſchloſ- ſen iſt, dieſelbe zu verdienen, ſo viel als ein Menſch ſie verdienen kann.
Capit. Es iſt wahr, ich bin uͤber das, was ich geſehen und gehoͤret habe, erſtaunet. Jch re- de dem Herrn Lovelace nicht das Wort, gnaͤdige Fraͤulein, wegen der Beleidigung, die ihnen von ihm widerfahren iſt. Weil ich ſelbſt Vater bin und Toͤchter habe: ſo kann ich das nicht thun; ob gleich ſein Vergehen geringer ſcheinet, als ich mir vorgeſtellet hatte. Nichts deſto weniger denke ich nach meinem Gewiſſen, ihre Gnaden, daß ſie ihren Unwillen zu hoch treiben.
Cl. Zu hoch, mein Herr! ‒ ‒ zu hoch, ge- gen einen Menſchen, der gluͤcklich haͤtte ſeyn koͤn- nen, wenn er gewollt haͤtte! ‒ ‒ Zu hoch gegen einen Menſchen, der in hundert Faͤllen mein Ge- muͤth in ungewiſſer Erwartung gelaſſen hat, ſeit dem er durch Liſt und Betrug, eine Gewalt uͤber mich bekommen! ‒ ‒ Sage, Lovelace, ſage du ſelbſt: Biſt du nicht eben der Lovelace, der durch verwegne Beſchimpfungen meiner Perſon deine eigne Hoffnung zernichtet hat? ‒ ‒ Der elende Kerl, welcher ſich ſo ſchaͤndlich verkleidet hatte, einen alten lahmen Mann vorſtellte und Zimmer fuͤr ſein kraͤnkliches Weib ſuchte? ‒ ‒ Der den Frauensleuten hier im Hauſe ſelbſt er-
fun-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0424"n="418"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
und mir iſt bange, daß ich zu wenig habe. Da-<lb/>
her ruͤhren unſere Schwierigkeiten. Allein ich<lb/>
habe ein Herz, Herr Capitain, ein Herz, das mir<lb/>
auf ihre Liebe zu hoffen befiehlet: weil es entſchloſ-<lb/>ſen iſt, dieſelbe zu verdienen, ſo viel als ein Menſch<lb/>ſie verdienen <hirendition="#fr">kann.</hi></p><lb/><p><hirendition="#fr">Capit.</hi> Es iſt wahr, ich bin uͤber das, was<lb/>
ich geſehen und gehoͤret habe, erſtaunet. Jch re-<lb/>
de dem Herrn Lovelace nicht das Wort, gnaͤdige<lb/>
Fraͤulein, wegen der Beleidigung, die ihnen von<lb/>
ihm widerfahren iſt. Weil ich ſelbſt Vater bin<lb/>
und Toͤchter habe: ſo kann ich das nicht thun;<lb/>
ob gleich ſein Vergehen geringer ſcheinet, als ich<lb/>
mir vorgeſtellet hatte. Nichts deſto weniger<lb/>
denke ich nach meinem Gewiſſen, ihre Gnaden,<lb/>
daß ſie ihren Unwillen zu hoch treiben.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Cl.</hi> Zu hoch, mein Herr! ‒‒ zu hoch, ge-<lb/>
gen einen Menſchen, der gluͤcklich haͤtte ſeyn koͤn-<lb/>
nen, wenn er gewollt haͤtte! ‒‒ Zu hoch gegen<lb/>
einen Menſchen, der in hundert Faͤllen <hirendition="#fr">mein Ge-<lb/>
muͤth in ungewiſſer Erwartung</hi> gelaſſen hat,<lb/>ſeit dem er durch Liſt und Betrug, eine Gewalt<lb/>
uͤber mich bekommen! ‒‒ Sage, Lovelace, ſage<lb/>
du ſelbſt: Biſt du nicht <hirendition="#fr">eben der</hi> Lovelace, der<lb/>
durch verwegne Beſchimpfungen meiner Perſon<lb/>
deine eigne Hoffnung zernichtet hat? ‒‒ Der<lb/>
elende Kerl, welcher ſich ſo ſchaͤndlich verkleidet<lb/>
hatte, einen alten lahmen Mann vorſtellte und<lb/>
Zimmer fuͤr ſein kraͤnkliches Weib ſuchte? ‒‒<lb/>
Der den Frauensleuten hier im Hauſe ſelbſt er-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">fun-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[418/0424]
und mir iſt bange, daß ich zu wenig habe. Da-
her ruͤhren unſere Schwierigkeiten. Allein ich
habe ein Herz, Herr Capitain, ein Herz, das mir
auf ihre Liebe zu hoffen befiehlet: weil es entſchloſ-
ſen iſt, dieſelbe zu verdienen, ſo viel als ein Menſch
ſie verdienen kann.
Capit. Es iſt wahr, ich bin uͤber das, was
ich geſehen und gehoͤret habe, erſtaunet. Jch re-
de dem Herrn Lovelace nicht das Wort, gnaͤdige
Fraͤulein, wegen der Beleidigung, die ihnen von
ihm widerfahren iſt. Weil ich ſelbſt Vater bin
und Toͤchter habe: ſo kann ich das nicht thun;
ob gleich ſein Vergehen geringer ſcheinet, als ich
mir vorgeſtellet hatte. Nichts deſto weniger
denke ich nach meinem Gewiſſen, ihre Gnaden,
daß ſie ihren Unwillen zu hoch treiben.
Cl. Zu hoch, mein Herr! ‒ ‒ zu hoch, ge-
gen einen Menſchen, der gluͤcklich haͤtte ſeyn koͤn-
nen, wenn er gewollt haͤtte! ‒ ‒ Zu hoch gegen
einen Menſchen, der in hundert Faͤllen mein Ge-
muͤth in ungewiſſer Erwartung gelaſſen hat,
ſeit dem er durch Liſt und Betrug, eine Gewalt
uͤber mich bekommen! ‒ ‒ Sage, Lovelace, ſage
du ſelbſt: Biſt du nicht eben der Lovelace, der
durch verwegne Beſchimpfungen meiner Perſon
deine eigne Hoffnung zernichtet hat? ‒ ‒ Der
elende Kerl, welcher ſich ſo ſchaͤndlich verkleidet
hatte, einen alten lahmen Mann vorſtellte und
Zimmer fuͤr ſein kraͤnkliches Weib ſuchte? ‒ ‒
Der den Frauensleuten hier im Hauſe ſelbſt er-
fun-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/424>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.