seyn: wenn er gerufen hätte. Ein empfindli- ches Herz, oder die Zeichen davon, welche durch ein redendes Auge gegeben werden, sind sehr schätzbare Dinge, wenn sie bey einer solchen Ge- legeuheit in gehörigen Schranken gehalten werden.
Hier muß ich dir frey meine Schwäche geste- hen. Wohl zwanzig mal sagte ich während die- ser prüfenden Unterredung bey mir selbst, daß ich von Anfang aufrichtig und ehrlich gewesen seyn wollte, wenn ich mir hätte vorstellen können, daß ich alle diese Unruhe haben und alle diese Schuld auf mich laden sollte. Aber warum, fragte ich, ist dieß werthe Kind so liebenswürdig? - - und doch so unüberwindlich? - - Hast du wohl jemals gehöret, daß die Mayblumen im Christmonat geblühet haben?
Capit. Haben sie die Gewogenheit - - ha- ben sie die Gewogenheit, gnädige Fräulein - - wo sie an meiner Ehre zweifeln - -
Ein altes Klageweib! Er sollte recht gering gethan haben - - Warum hatte ich ihm sonst den steifen Wink gegeben? Er sollte ans Fenster gegangen seyn, als wenn er seine Peitsche und sei- nen Hut nehmen wollte.
Cl. Jch mache nur solche Anmerkungen, als meine Jugend, meine Unerfahrenheit und meine gegenwärtigen unglücklichen Umstände mir an die Hand geben - - Ein rechtschaffenes Herz; das, hoffe ich, hat Capitain Tomlinson; darf sich vor keiner Untersuchung fürchten - - darf
sich
Fünfter Theil. E e
ſeyn: wenn er gerufen haͤtte. Ein empfindli- ches Herz, oder die Zeichen davon, welche durch ein redendes Auge gegeben werden, ſind ſehr ſchaͤtzbare Dinge, wenn ſie bey einer ſolchen Ge- legeuheit in gehoͤrigen Schranken gehalten werden.
Hier muß ich dir frey meine Schwaͤche geſte- hen. Wohl zwanzig mal ſagte ich waͤhrend die- ſer pruͤfenden Unterredung bey mir ſelbſt, daß ich von Anfang aufrichtig und ehrlich geweſen ſeyn wollte, wenn ich mir haͤtte vorſtellen koͤnnen, daß ich alle dieſe Unruhe haben und alle dieſe Schuld auf mich laden ſollte. Aber warum, fragte ich, iſt dieß werthe Kind ſo liebenswuͤrdig? ‒ ‒ und doch ſo unuͤberwindlich? ‒ ‒ Haſt du wohl jemals gehoͤret, daß die Mayblumen im Chriſtmonat gebluͤhet haben?
Capit. Haben ſie die Gewogenheit ‒ ‒ ha- ben ſie die Gewogenheit, gnaͤdige Fraͤulein ‒ ‒ wo ſie an meiner Ehre zweifeln ‒ ‒
Ein altes Klageweib! Er ſollte recht gering gethan haben ‒ ‒ Warum hatte ich ihm ſonſt den ſteifen Wink gegeben? Er ſollte ans Fenſter gegangen ſeyn, als wenn er ſeine Peitſche und ſei- nen Hut nehmen wollte.
Cl. Jch mache nur ſolche Anmerkungen, als meine Jugend, meine Unerfahrenheit und meine gegenwaͤrtigen ungluͤcklichen Umſtaͤnde mir an die Hand geben ‒ ‒ Ein rechtſchaffenes Herz; das, hoffe ich, hat Capitain Tomlinſon; darf ſich vor keiner Unterſuchung fuͤrchten ‒ ‒ darf
ſich
Fuͤnfter Theil. E e
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0439"n="433"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>ſeyn: wenn er gerufen <hirendition="#fr">haͤtte.</hi> Ein empfindli-<lb/>
ches Herz, oder die Zeichen davon, welche durch<lb/>
ein redendes Auge gegeben werden, ſind ſehr<lb/>ſchaͤtzbare Dinge, wenn ſie bey einer ſolchen Ge-<lb/>
legeuheit in gehoͤrigen Schranken gehalten<lb/>
werden.</p><lb/><p>Hier muß ich dir frey meine Schwaͤche geſte-<lb/>
hen. Wohl zwanzig mal ſagte ich waͤhrend die-<lb/>ſer pruͤfenden Unterredung bey mir ſelbſt, daß ich<lb/>
von Anfang aufrichtig und ehrlich geweſen ſeyn<lb/>
wollte, wenn ich mir haͤtte vorſtellen koͤnnen,<lb/>
daß ich alle dieſe Unruhe haben und alle dieſe<lb/>
Schuld auf mich laden ſollte. Aber warum,<lb/>
fragte ich, iſt dieß werthe Kind ſo liebenswuͤrdig?<lb/>‒‒ und doch ſo unuͤberwindlich? ‒‒ Haſt du<lb/>
wohl jemals gehoͤret, daß die Mayblumen im<lb/>
Chriſtmonat gebluͤhet haben?</p><lb/><p><hirendition="#fr">Capit.</hi> Haben ſie die Gewogenheit ‒‒ ha-<lb/>
ben ſie die Gewogenheit, gnaͤdige Fraͤulein ‒‒<lb/>
wo ſie an meiner Ehre zweifeln ‒‒</p><lb/><p>Ein altes Klageweib! Er ſollte recht gering<lb/>
gethan haben ‒‒ Warum hatte ich ihm ſonſt<lb/>
den ſteifen Wink gegeben? Er ſollte ans Fenſter<lb/>
gegangen ſeyn, als wenn er ſeine Peitſche und ſei-<lb/>
nen Hut nehmen wollte.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Cl.</hi> Jch mache nur ſolche Anmerkungen, als<lb/>
meine Jugend, meine Unerfahrenheit und meine<lb/>
gegenwaͤrtigen ungluͤcklichen Umſtaͤnde mir an die<lb/>
Hand geben ‒‒ Ein rechtſchaffenes Herz;<lb/>
das, hoffe ich, hat Capitain Tomlinſon; darf<lb/>ſich vor keiner Unterſuchung fuͤrchten ‒‒ darf<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Fuͤnfter Theil.</hi> E e</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſich</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[433/0439]
ſeyn: wenn er gerufen haͤtte. Ein empfindli-
ches Herz, oder die Zeichen davon, welche durch
ein redendes Auge gegeben werden, ſind ſehr
ſchaͤtzbare Dinge, wenn ſie bey einer ſolchen Ge-
legeuheit in gehoͤrigen Schranken gehalten
werden.
Hier muß ich dir frey meine Schwaͤche geſte-
hen. Wohl zwanzig mal ſagte ich waͤhrend die-
ſer pruͤfenden Unterredung bey mir ſelbſt, daß ich
von Anfang aufrichtig und ehrlich geweſen ſeyn
wollte, wenn ich mir haͤtte vorſtellen koͤnnen,
daß ich alle dieſe Unruhe haben und alle dieſe
Schuld auf mich laden ſollte. Aber warum,
fragte ich, iſt dieß werthe Kind ſo liebenswuͤrdig?
‒ ‒ und doch ſo unuͤberwindlich? ‒ ‒ Haſt du
wohl jemals gehoͤret, daß die Mayblumen im
Chriſtmonat gebluͤhet haben?
Capit. Haben ſie die Gewogenheit ‒ ‒ ha-
ben ſie die Gewogenheit, gnaͤdige Fraͤulein ‒ ‒
wo ſie an meiner Ehre zweifeln ‒ ‒
Ein altes Klageweib! Er ſollte recht gering
gethan haben ‒ ‒ Warum hatte ich ihm ſonſt
den ſteifen Wink gegeben? Er ſollte ans Fenſter
gegangen ſeyn, als wenn er ſeine Peitſche und ſei-
nen Hut nehmen wollte.
Cl. Jch mache nur ſolche Anmerkungen, als
meine Jugend, meine Unerfahrenheit und meine
gegenwaͤrtigen ungluͤcklichen Umſtaͤnde mir an die
Hand geben ‒ ‒ Ein rechtſchaffenes Herz;
das, hoffe ich, hat Capitain Tomlinſon; darf
ſich vor keiner Unterſuchung fuͤrchten ‒ ‒ darf
ſich
Fuͤnfter Theil. E e
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/439>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.