Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



vermischet. Und das mußte seyn. Jch freuete
mich bey dem allen über dieses elende Zeichen der
Liebe - - Niemand fürchtet sich vor einem, den
er nicht achtet.

Jch hatte schon im Munde, zu sagen, daß
Weiber-Zungen alle Freyheit zu schwatzen hät-
ten. Allein mein Gewissen wollte mir nicht zu-
lassen, sie ein Weib zu nennen, oder eine so ge-
meine Redensart gegen sie zu gebrauchen. Jch
konnte nichts mehr thun, als durch meine Be-
wegungen toben, meine Augen aufheben, meine
Hände ausbreiten, mein Gesicht zerreiben, meine
Perucke zerren und wie ein Narr aussehen. Jn
Wahrheit hatte ich einen guten Ansatz rasend zu
werden. Wäre ich allein gewesen: so würde ich
es geworden seyn, und sie sollte die Folgen davon
empfunden haben.

Der Capitain schlug sich für mich ins Mit-
tel: jedoch sehr gelinde, und so furchtsam als ein
Mensch, der nicht vollkommen versichert wäre,
ob er selbst frey gesprochen würde. Er drang
von neuem auf einige derer Vorstellungen, die
wir schon gethan hatten - - und sprach ganz lei-
se - - Der arme Cavallier! sagte er. Wer
sollte wohl nicht Mitleiden mit ihm haben! - -
Jn der That, gnädige Fräulein, bey allen seinen
Fehlern ist doch leicht zu sehen, was sie für Ge-
walt über ihn haben.

Cl. Es ist mir gar kein Vergnügen, mein
Herr, jemand unglücklich zu machen - - auch
so gar ihn nicht, da er mich doch in das äußerste

Un-
E e 3



vermiſchet. Und das mußte ſeyn. Jch freuete
mich bey dem allen uͤber dieſes elende Zeichen der
Liebe ‒ ‒ Niemand fuͤrchtet ſich vor einem, den
er nicht achtet.

Jch hatte ſchon im Munde, zu ſagen, daß
Weiber-Zungen alle Freyheit zu ſchwatzen haͤt-
ten. Allein mein Gewiſſen wollte mir nicht zu-
laſſen, ſie ein Weib zu nennen, oder eine ſo ge-
meine Redensart gegen ſie zu gebrauchen. Jch
konnte nichts mehr thun, als durch meine Be-
wegungen toben, meine Augen aufheben, meine
Haͤnde ausbreiten, mein Geſicht zerreiben, meine
Perucke zerren und wie ein Narr ausſehen. Jn
Wahrheit hatte ich einen guten Anſatz raſend zu
werden. Waͤre ich allein geweſen: ſo wuͤrde ich
es geworden ſeyn, und ſie ſollte die Folgen davon
empfunden haben.

Der Capitain ſchlug ſich fuͤr mich ins Mit-
tel: jedoch ſehr gelinde, und ſo furchtſam als ein
Menſch, der nicht vollkommen verſichert waͤre,
ob er ſelbſt frey geſprochen wuͤrde. Er drang
von neuem auf einige derer Vorſtellungen, die
wir ſchon gethan hatten ‒ ‒ und ſprach ganz lei-
ſe ‒ ‒ Der arme Cavallier! ſagte er. Wer
ſollte wohl nicht Mitleiden mit ihm haben! ‒ ‒
Jn der That, gnaͤdige Fraͤulein, bey allen ſeinen
Fehlern iſt doch leicht zu ſehen, was ſie fuͤr Ge-
walt uͤber ihn haben.

Cl. Es iſt mir gar kein Vergnuͤgen, mein
Herr, jemand ungluͤcklich zu machen ‒ ‒ auch
ſo gar ihn nicht, da er mich doch in das aͤußerſte

Un-
E e 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0443" n="437"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
vermi&#x017F;chet. Und das mußte &#x017F;eyn. Jch freuete<lb/>
mich bey dem allen u&#x0364;ber die&#x017F;es elende Zeichen der<lb/>
Liebe &#x2012; &#x2012; Niemand fu&#x0364;rchtet &#x017F;ich vor einem, den<lb/>
er nicht achtet.</p><lb/>
          <p>Jch hatte &#x017F;chon im Munde, zu &#x017F;agen, daß<lb/>
Weiber-Zungen alle Freyheit zu &#x017F;chwatzen ha&#x0364;t-<lb/>
ten. Allein mein Gewi&#x017F;&#x017F;en wollte mir nicht zu-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie ein <hi rendition="#fr">Weib</hi> zu nennen, oder eine &#x017F;o ge-<lb/>
meine Redensart gegen &#x017F;ie zu gebrauchen. Jch<lb/>
konnte nichts mehr thun, als durch meine Be-<lb/>
wegungen toben, meine Augen aufheben, meine<lb/>
Ha&#x0364;nde ausbreiten, mein Ge&#x017F;icht zerreiben, meine<lb/>
Perucke zerren und wie ein Narr aus&#x017F;ehen. Jn<lb/>
Wahrheit hatte ich einen guten An&#x017F;atz ra&#x017F;end zu<lb/>
werden. Wa&#x0364;re ich allein gewe&#x017F;en: &#x017F;o wu&#x0364;rde ich<lb/>
es geworden &#x017F;eyn, und &#x017F;ie &#x017F;ollte die Folgen davon<lb/>
empfunden haben.</p><lb/>
          <p>Der Capitain &#x017F;chlug &#x017F;ich fu&#x0364;r mich ins Mit-<lb/>
tel: jedoch &#x017F;ehr gelinde, und &#x017F;o furcht&#x017F;am als ein<lb/>
Men&#x017F;ch, der nicht vollkommen ver&#x017F;ichert wa&#x0364;re,<lb/>
ob er &#x017F;elb&#x017F;t frey ge&#x017F;prochen wu&#x0364;rde. Er drang<lb/>
von neuem auf einige derer Vor&#x017F;tellungen, die<lb/>
wir &#x017F;chon gethan hatten &#x2012; &#x2012; und &#x017F;prach ganz lei-<lb/>
&#x017F;e &#x2012; &#x2012; Der arme Cavallier! &#x017F;agte er. Wer<lb/>
&#x017F;ollte wohl nicht Mitleiden mit ihm haben! &#x2012; &#x2012;<lb/>
Jn der That, gna&#x0364;dige Fra&#x0364;ulein, bey allen &#x017F;einen<lb/>
Fehlern i&#x017F;t doch leicht zu &#x017F;ehen, was &#x017F;ie fu&#x0364;r Ge-<lb/>
walt u&#x0364;ber ihn haben.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Cl.</hi> Es i&#x017F;t mir gar kein Vergnu&#x0364;gen, mein<lb/>
Herr, jemand unglu&#x0364;cklich zu machen &#x2012; &#x2012; auch<lb/>
&#x017F;o gar <hi rendition="#fr">ihn</hi> nicht, da er mich doch in das a&#x0364;ußer&#x017F;te<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E e 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Un-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[437/0443] vermiſchet. Und das mußte ſeyn. Jch freuete mich bey dem allen uͤber dieſes elende Zeichen der Liebe ‒ ‒ Niemand fuͤrchtet ſich vor einem, den er nicht achtet. Jch hatte ſchon im Munde, zu ſagen, daß Weiber-Zungen alle Freyheit zu ſchwatzen haͤt- ten. Allein mein Gewiſſen wollte mir nicht zu- laſſen, ſie ein Weib zu nennen, oder eine ſo ge- meine Redensart gegen ſie zu gebrauchen. Jch konnte nichts mehr thun, als durch meine Be- wegungen toben, meine Augen aufheben, meine Haͤnde ausbreiten, mein Geſicht zerreiben, meine Perucke zerren und wie ein Narr ausſehen. Jn Wahrheit hatte ich einen guten Anſatz raſend zu werden. Waͤre ich allein geweſen: ſo wuͤrde ich es geworden ſeyn, und ſie ſollte die Folgen davon empfunden haben. Der Capitain ſchlug ſich fuͤr mich ins Mit- tel: jedoch ſehr gelinde, und ſo furchtſam als ein Menſch, der nicht vollkommen verſichert waͤre, ob er ſelbſt frey geſprochen wuͤrde. Er drang von neuem auf einige derer Vorſtellungen, die wir ſchon gethan hatten ‒ ‒ und ſprach ganz lei- ſe ‒ ‒ Der arme Cavallier! ſagte er. Wer ſollte wohl nicht Mitleiden mit ihm haben! ‒ ‒ Jn der That, gnaͤdige Fraͤulein, bey allen ſeinen Fehlern iſt doch leicht zu ſehen, was ſie fuͤr Ge- walt uͤber ihn haben. Cl. Es iſt mir gar kein Vergnuͤgen, mein Herr, jemand ungluͤcklich zu machen ‒ ‒ auch ſo gar ihn nicht, da er mich doch in das aͤußerſte Un- E e 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/443
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/443>, abgerufen am 24.11.2024.