Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


Er stellte hiernächst wiederum aufs nach-
drücklichste vor, daß es in ihrer Gewalt stünde,
den Augenblick, oder morgen, allen diesen Schwie-
rigkeiten ein Ende zu machen.

Wie kann das möglich seyn? versetzte sie,
da der Trauschein noch erst auszuwirken, die
Ehestiftung noch erst zu unterschreiben, die Ant-
wort der Fräulein Howe auf mein letztes noch
nicht angekommen ist?
- - Und soll ich mich
so übereilen, mein Herr, als wenn ich dächte,
daß meine Ehre in Gefahr wäre, wenn ich
zögerts?
dennoch aber denjenigen Mann hey-
rathen,
von dem sie allein Gefahr leiden kann?
- - Unglückliche, höchst unglückliche Clarissa
Harlowe! in wie viele Schwierigkeiten hat dich
ein übereilter Schritt verwickelt? - - So wand-
te sie sich von ihm und weinete.

Der Bube weinte zum Trost selbst mit. Jh-
re Thränen waren gleichwohl, wie er leicht hätte
bemerken können, mehr Zeichen eines nachge-
benden
als eigensinnigen Gemüths.

Es giebt eine Art von Steinen, wie du weißt,
welche in dem Bruche so weich sind, daß sie sich
fast mit einem Messer durchschneiden lassen. Ver-
säumt man aber die rechte Zeit, und läßt sie eine
Weile der Luft ausgesetzet bleiben: so werden sie
so hart, als Marmor, und weichen alsdenn kaum
vor dem Meißel (*). So geht es auch mit die-
ser Fräulein. Da man sie nicht den Augenblick

ge-
(*) Von der Art sind ins besondre die Steine in der
Gegend von Bath.


Er ſtellte hiernaͤchſt wiederum aufs nach-
druͤcklichſte vor, daß es in ihrer Gewalt ſtuͤnde,
den Augenblick, oder morgen, allen dieſen Schwie-
rigkeiten ein Ende zu machen.

Wie kann das moͤglich ſeyn? verſetzte ſie,
da der Trauſchein noch erſt auszuwirken, die
Eheſtiftung noch erſt zu unterſchreiben, die Ant-
wort der Fraͤulein Howe auf mein letztes noch
nicht angekommen iſt?
‒ ‒ Und ſoll ich mich
ſo uͤbereilen, mein Herr, als wenn ich daͤchte,
daß meine Ehre in Gefahr waͤre, wenn ich
zoͤgerts?
dennoch aber denjenigen Mann hey-
rathen,
von dem ſie allein Gefahr leiden kann?
‒ ‒ Ungluͤckliche, hoͤchſt ungluͤckliche Clariſſa
Harlowe! in wie viele Schwierigkeiten hat dich
ein uͤbereilter Schritt verwickelt? ‒ ‒ So wand-
te ſie ſich von ihm und weinete.

Der Bube weinte zum Troſt ſelbſt mit. Jh-
re Thraͤnen waren gleichwohl, wie er leicht haͤtte
bemerken koͤnnen, mehr Zeichen eines nachge-
benden
als eigenſinnigen Gemuͤths.

Es giebt eine Art von Steinen, wie du weißt,
welche in dem Bruche ſo weich ſind, daß ſie ſich
faſt mit einem Meſſer durchſchneiden laſſen. Ver-
ſaͤumt man aber die rechte Zeit, und laͤßt ſie eine
Weile der Luft ausgeſetzet bleiben: ſo werden ſie
ſo hart, als Marmor, und weichen alsdenn kaum
vor dem Meißel (*). So geht es auch mit die-
ſer Fraͤulein. Da man ſie nicht den Augenblick

ge-
(*) Von der Art ſind ins beſondre die Steine in der
Gegend von Bath.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0474" n="468"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Er &#x017F;tellte hierna&#x0364;ch&#x017F;t wiederum aufs nach-<lb/>
dru&#x0364;cklich&#x017F;te vor, daß es in ihrer Gewalt &#x017F;tu&#x0364;nde,<lb/>
den Augenblick, oder morgen, allen die&#x017F;en Schwie-<lb/>
rigkeiten ein Ende zu machen.</p><lb/>
          <p>Wie kann das mo&#x0364;glich &#x017F;eyn? ver&#x017F;etzte &#x017F;ie,<lb/>
da der Trau&#x017F;chein <hi rendition="#fr">noch er&#x017F;t</hi> auszuwirken, die<lb/>
Ehe&#x017F;tiftung <hi rendition="#fr">noch er&#x017F;t</hi> zu unter&#x017F;chreiben, die Ant-<lb/>
wort der Fra&#x0364;ulein Howe auf mein letztes <hi rendition="#fr">noch<lb/>
nicht angekommen i&#x017F;t?</hi> &#x2012; &#x2012; Und &#x017F;oll ich mich<lb/>
&#x017F;o <hi rendition="#fr">u&#x0364;bereilen,</hi> mein Herr, als wenn ich da&#x0364;chte,<lb/>
daß meine <hi rendition="#fr">Ehre in Gefahr wa&#x0364;re, wenn ich<lb/>
zo&#x0364;gerts?</hi> dennoch aber denjenigen Mann <hi rendition="#fr">hey-<lb/>
rathen,</hi> von dem &#x017F;ie allein Gefahr leiden <hi rendition="#fr">kann?</hi><lb/>
&#x2012; &#x2012; Unglu&#x0364;ckliche, ho&#x0364;ch&#x017F;t unglu&#x0364;ckliche Clari&#x017F;&#x017F;a<lb/>
Harlowe! in wie viele Schwierigkeiten hat dich<lb/>
ein u&#x0364;bereilter Schritt verwickelt? &#x2012; &#x2012; So wand-<lb/>
te &#x017F;ie &#x017F;ich von ihm und weinete.</p><lb/>
          <p>Der Bube weinte zum Tro&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t mit. Jh-<lb/>
re Thra&#x0364;nen waren gleichwohl, wie er leicht ha&#x0364;tte<lb/>
bemerken ko&#x0364;nnen, mehr Zeichen eines <hi rendition="#fr">nachge-<lb/>
benden</hi> als <hi rendition="#fr">eigen&#x017F;innigen</hi> Gemu&#x0364;ths.</p><lb/>
          <p>Es giebt eine Art von Steinen, wie du weißt,<lb/>
welche in dem Bruche &#x017F;o weich &#x017F;ind, daß &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
fa&#x017F;t mit einem Me&#x017F;&#x017F;er durch&#x017F;chneiden la&#x017F;&#x017F;en. Ver-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;umt man aber die rechte Zeit, und la&#x0364;ßt &#x017F;ie eine<lb/>
Weile der Luft ausge&#x017F;etzet bleiben: &#x017F;o werden &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;o hart, als Marmor, und weichen alsdenn kaum<lb/>
vor dem Meißel <note place="foot" n="(*)">Von der Art &#x017F;ind ins be&#x017F;ondre die Steine in der<lb/>
Gegend von Bath.</note>. So geht es auch mit die-<lb/>
&#x017F;er Fra&#x0364;ulein. Da man &#x017F;ie nicht den Augenblick<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0474] Er ſtellte hiernaͤchſt wiederum aufs nach- druͤcklichſte vor, daß es in ihrer Gewalt ſtuͤnde, den Augenblick, oder morgen, allen dieſen Schwie- rigkeiten ein Ende zu machen. Wie kann das moͤglich ſeyn? verſetzte ſie, da der Trauſchein noch erſt auszuwirken, die Eheſtiftung noch erſt zu unterſchreiben, die Ant- wort der Fraͤulein Howe auf mein letztes noch nicht angekommen iſt? ‒ ‒ Und ſoll ich mich ſo uͤbereilen, mein Herr, als wenn ich daͤchte, daß meine Ehre in Gefahr waͤre, wenn ich zoͤgerts? dennoch aber denjenigen Mann hey- rathen, von dem ſie allein Gefahr leiden kann? ‒ ‒ Ungluͤckliche, hoͤchſt ungluͤckliche Clariſſa Harlowe! in wie viele Schwierigkeiten hat dich ein uͤbereilter Schritt verwickelt? ‒ ‒ So wand- te ſie ſich von ihm und weinete. Der Bube weinte zum Troſt ſelbſt mit. Jh- re Thraͤnen waren gleichwohl, wie er leicht haͤtte bemerken koͤnnen, mehr Zeichen eines nachge- benden als eigenſinnigen Gemuͤths. Es giebt eine Art von Steinen, wie du weißt, welche in dem Bruche ſo weich ſind, daß ſie ſich faſt mit einem Meſſer durchſchneiden laſſen. Ver- ſaͤumt man aber die rechte Zeit, und laͤßt ſie eine Weile der Luft ausgeſetzet bleiben: ſo werden ſie ſo hart, als Marmor, und weichen alsdenn kaum vor dem Meißel (*). So geht es auch mit die- ſer Fraͤulein. Da man ſie nicht den Augenblick ge- (*) Von der Art ſind ins beſondre die Steine in der Gegend von Bath.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/474
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/474>, abgerufen am 24.11.2024.