Er stellte hiernächst wiederum aufs nach- drücklichste vor, daß es in ihrer Gewalt stünde, den Augenblick, oder morgen, allen diesen Schwie- rigkeiten ein Ende zu machen.
Wie kann das möglich seyn? versetzte sie, da der Trauschein noch erst auszuwirken, die Ehestiftung noch erst zu unterschreiben, die Ant- wort der Fräulein Howe auf mein letztes noch nicht angekommen ist? - - Und soll ich mich so übereilen, mein Herr, als wenn ich dächte, daß meine Ehre in Gefahr wäre, wenn ich zögerts? dennoch aber denjenigen Mann hey- rathen, von dem sie allein Gefahr leiden kann? - - Unglückliche, höchst unglückliche Clarissa Harlowe! in wie viele Schwierigkeiten hat dich ein übereilter Schritt verwickelt? - - So wand- te sie sich von ihm und weinete.
Der Bube weinte zum Trost selbst mit. Jh- re Thränen waren gleichwohl, wie er leicht hätte bemerken können, mehr Zeichen eines nachge- benden als eigensinnigen Gemüths.
Es giebt eine Art von Steinen, wie du weißt, welche in dem Bruche so weich sind, daß sie sich fast mit einem Messer durchschneiden lassen. Ver- säumt man aber die rechte Zeit, und läßt sie eine Weile der Luft ausgesetzet bleiben: so werden sie so hart, als Marmor, und weichen alsdenn kaum vor dem Meißel (*). So geht es auch mit die- ser Fräulein. Da man sie nicht den Augenblick
ge-
(*) Von der Art sind ins besondre die Steine in der Gegend von Bath.
Er ſtellte hiernaͤchſt wiederum aufs nach- druͤcklichſte vor, daß es in ihrer Gewalt ſtuͤnde, den Augenblick, oder morgen, allen dieſen Schwie- rigkeiten ein Ende zu machen.
Wie kann das moͤglich ſeyn? verſetzte ſie, da der Trauſchein noch erſt auszuwirken, die Eheſtiftung noch erſt zu unterſchreiben, die Ant- wort der Fraͤulein Howe auf mein letztes noch nicht angekommen iſt? ‒ ‒ Und ſoll ich mich ſo uͤbereilen, mein Herr, als wenn ich daͤchte, daß meine Ehre in Gefahr waͤre, wenn ich zoͤgerts? dennoch aber denjenigen Mann hey- rathen, von dem ſie allein Gefahr leiden kann? ‒ ‒ Ungluͤckliche, hoͤchſt ungluͤckliche Clariſſa Harlowe! in wie viele Schwierigkeiten hat dich ein uͤbereilter Schritt verwickelt? ‒ ‒ So wand- te ſie ſich von ihm und weinete.
Der Bube weinte zum Troſt ſelbſt mit. Jh- re Thraͤnen waren gleichwohl, wie er leicht haͤtte bemerken koͤnnen, mehr Zeichen eines nachge- benden als eigenſinnigen Gemuͤths.
Es giebt eine Art von Steinen, wie du weißt, welche in dem Bruche ſo weich ſind, daß ſie ſich faſt mit einem Meſſer durchſchneiden laſſen. Ver- ſaͤumt man aber die rechte Zeit, und laͤßt ſie eine Weile der Luft ausgeſetzet bleiben: ſo werden ſie ſo hart, als Marmor, und weichen alsdenn kaum vor dem Meißel (*). So geht es auch mit die- ſer Fraͤulein. Da man ſie nicht den Augenblick
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(*) Von der Art ſind ins beſondre die Steine in der Gegend von Bath.
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Er ſtellte hiernaͤchſt wiederum aufs nach-
druͤcklichſte vor, daß es in ihrer Gewalt ſtuͤnde,
den Augenblick, oder morgen, allen dieſen Schwie-
rigkeiten ein Ende zu machen.
Wie kann das moͤglich ſeyn? verſetzte ſie,
da der Trauſchein noch erſt auszuwirken, die
Eheſtiftung noch erſt zu unterſchreiben, die Ant-
wort der Fraͤulein Howe auf mein letztes noch
nicht angekommen iſt? ‒ ‒ Und ſoll ich mich
ſo uͤbereilen, mein Herr, als wenn ich daͤchte,
daß meine Ehre in Gefahr waͤre, wenn ich
zoͤgerts? dennoch aber denjenigen Mann hey-
rathen, von dem ſie allein Gefahr leiden kann?
‒ ‒ Ungluͤckliche, hoͤchſt ungluͤckliche Clariſſa
Harlowe! in wie viele Schwierigkeiten hat dich
ein uͤbereilter Schritt verwickelt? ‒ ‒ So wand-
te ſie ſich von ihm und weinete.
Der Bube weinte zum Troſt ſelbſt mit. Jh-
re Thraͤnen waren gleichwohl, wie er leicht haͤtte
bemerken koͤnnen, mehr Zeichen eines nachge-
benden als eigenſinnigen Gemuͤths.
Es giebt eine Art von Steinen, wie du weißt,
welche in dem Bruche ſo weich ſind, daß ſie ſich
faſt mit einem Meſſer durchſchneiden laſſen. Ver-
ſaͤumt man aber die rechte Zeit, und laͤßt ſie eine
Weile der Luft ausgeſetzet bleiben: ſo werden ſie
ſo hart, als Marmor, und weichen alsdenn kaum
vor dem Meißel (*). So geht es auch mit die-
ſer Fraͤulein. Da man ſie nicht den Augenblick
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(*) Von der Art ſind ins beſondre die Steine in der
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/474>, abgerufen am 24.11.2024.
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