Kreise springen wollten. Sie sank mir zu den Füßen, so bald sie nahe zu mir kam. Jhre rei- zungsvolle Brust hub sich zu ihrem in die Höhe gerichteten Gesichte. Sie schlug ihre Arme um meine Knie. Lieber Lovelace, sagte sie, wo je- mals - wo jemals - wo jemals - - Mehr war sie nicht im Stande zu sprechen. Sie ließ ihre Arme los und fiel ganz zu Boden, weder völlig in Ohnmacht, noch völlig frey davon.
Jch war ganz erstaunet. Alles, was ich mir vorgenommen hatte, blieb auf einige Augenblicke in gänzlicher Ungewißheit ausgesetzet. Jch wuß- te weder, was ich sagen, noch was ich thun sollte. Allein ich faßte mich wieder. Bin ich denn schon wiederum, dachte ich, in einem solchen Zustande, daß ich unterliegen und zu einem Nar- ren werden soll? - - - Wo ich nun zurückziehe: so bin ich auf ewig zurückgegangen.
Jch hub sie auf. Aber sie sank nieder, als wenn alle Gelenke aus einander gegangen wären. Jhre Glieder versagten ihr die gewöhnlichen Dienste: - - Doch war sie nicht in einer Ohn- macht. Jch habe niemals gehört oder gesehen, daß jemand in einem so unbegreiflichen Zustande gewesen, als dieß liebe Kind: beynahe ohne Leben und ohne Sprache auf einige Augenblicke! Wie groß mußte ihre Furcht damals seyn! Und wo- vor? - - Was für hochfliegende Begriffe in der theuren Seele! - - Große Unwissenheit! dachte ich.
Weil
Kreiſe ſpringen wollten. Sie ſank mir zu den Fuͤßen, ſo bald ſie nahe zu mir kam. Jhre rei- zungsvolle Bruſt hub ſich zu ihrem in die Hoͤhe gerichteten Geſichte. Sie ſchlug ihre Arme um meine Knie. Lieber Lovelace, ſagte ſie, wo je- mals ‒ wo jemals ‒ wo jemals ‒ ‒ Mehr war ſie nicht im Stande zu ſprechen. Sie ließ ihre Arme los und fiel ganz zu Boden, weder voͤllig in Ohnmacht, noch voͤllig frey davon.
Jch war ganz erſtaunet. Alles, was ich mir vorgenommen hatte, blieb auf einige Augenblicke in gaͤnzlicher Ungewißheit ausgeſetzet. Jch wuß- te weder, was ich ſagen, noch was ich thun ſollte. Allein ich faßte mich wieder. Bin ich denn ſchon wiederum, dachte ich, in einem ſolchen Zuſtande, daß ich unterliegen und zu einem Nar- ren werden ſoll? ‒ ‒ ‒ Wo ich nun zuruͤckziehe: ſo bin ich auf ewig zuruͤckgegangen.
Jch hub ſie auf. Aber ſie ſank nieder, als wenn alle Gelenke aus einander gegangen waͤren. Jhre Glieder verſagten ihr die gewoͤhnlichen Dienſte: ‒ ‒ Doch war ſie nicht in einer Ohn- macht. Jch habe niemals gehoͤrt oder geſehen, daß jemand in einem ſo unbegreiflichen Zuſtande geweſen, als dieß liebe Kind: beynahe ohne Leben und ohne Sprache auf einige Augenblicke! Wie groß mußte ihre Furcht damals ſeyn! Und wo- vor? ‒ ‒ Was fuͤr hochfliegende Begriffe in der theuren Seele! ‒ ‒ Große Unwiſſenheit! dachte ich.
Weil
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0593"n="587"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Kreiſe ſpringen wollten. Sie ſank mir zu den<lb/>
Fuͤßen, ſo bald ſie nahe zu mir kam. Jhre rei-<lb/>
zungsvolle Bruſt hub ſich zu ihrem in die Hoͤhe<lb/>
gerichteten Geſichte. Sie ſchlug ihre Arme um<lb/>
meine Knie. Lieber Lovelace, ſagte ſie, wo je-<lb/>
mals ‒ wo jemals ‒ wo jemals ‒‒ Mehr war<lb/>ſie nicht im Stande zu ſprechen. Sie ließ ihre<lb/>
Arme los und fiel ganz zu Boden, weder voͤllig<lb/>
in Ohnmacht, noch voͤllig frey davon.</p><lb/><p>Jch war ganz erſtaunet. Alles, was ich mir<lb/>
vorgenommen hatte, blieb auf einige Augenblicke<lb/>
in gaͤnzlicher Ungewißheit ausgeſetzet. Jch wuß-<lb/>
te weder, was ich ſagen, noch was ich thun ſollte.<lb/>
Allein ich faßte mich wieder. Bin ich denn<lb/>ſchon <hirendition="#fr">wiederum,</hi> dachte ich, in einem ſolchen<lb/>
Zuſtande, daß ich unterliegen und zu einem Nar-<lb/>
ren werden ſoll? ‒‒‒ Wo ich nun zuruͤckziehe:<lb/>ſo bin ich auf ewig zuruͤckgegangen.</p><lb/><p>Jch hub ſie auf. Aber ſie ſank nieder, als<lb/>
wenn alle Gelenke aus einander gegangen waͤren.<lb/>
Jhre Glieder verſagten ihr die gewoͤhnlichen<lb/>
Dienſte: ‒‒ Doch war ſie nicht in einer Ohn-<lb/>
macht. Jch habe niemals gehoͤrt oder geſehen,<lb/>
daß jemand in einem ſo unbegreiflichen Zuſtande<lb/>
geweſen, als dieß liebe Kind: beynahe ohne Leben<lb/>
und ohne Sprache auf einige Augenblicke! Wie<lb/>
groß mußte ihre Furcht damals ſeyn! Und wo-<lb/>
vor? ‒‒ Was fuͤr hochfliegende Begriffe in der<lb/>
theuren Seele! ‒‒ Große Unwiſſenheit! dachte<lb/>
ich.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Weil</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[587/0593]
Kreiſe ſpringen wollten. Sie ſank mir zu den
Fuͤßen, ſo bald ſie nahe zu mir kam. Jhre rei-
zungsvolle Bruſt hub ſich zu ihrem in die Hoͤhe
gerichteten Geſichte. Sie ſchlug ihre Arme um
meine Knie. Lieber Lovelace, ſagte ſie, wo je-
mals ‒ wo jemals ‒ wo jemals ‒ ‒ Mehr war
ſie nicht im Stande zu ſprechen. Sie ließ ihre
Arme los und fiel ganz zu Boden, weder voͤllig
in Ohnmacht, noch voͤllig frey davon.
Jch war ganz erſtaunet. Alles, was ich mir
vorgenommen hatte, blieb auf einige Augenblicke
in gaͤnzlicher Ungewißheit ausgeſetzet. Jch wuß-
te weder, was ich ſagen, noch was ich thun ſollte.
Allein ich faßte mich wieder. Bin ich denn
ſchon wiederum, dachte ich, in einem ſolchen
Zuſtande, daß ich unterliegen und zu einem Nar-
ren werden ſoll? ‒ ‒ ‒ Wo ich nun zuruͤckziehe:
ſo bin ich auf ewig zuruͤckgegangen.
Jch hub ſie auf. Aber ſie ſank nieder, als
wenn alle Gelenke aus einander gegangen waͤren.
Jhre Glieder verſagten ihr die gewoͤhnlichen
Dienſte: ‒ ‒ Doch war ſie nicht in einer Ohn-
macht. Jch habe niemals gehoͤrt oder geſehen,
daß jemand in einem ſo unbegreiflichen Zuſtande
geweſen, als dieß liebe Kind: beynahe ohne Leben
und ohne Sprache auf einige Augenblicke! Wie
groß mußte ihre Furcht damals ſeyn! Und wo-
vor? ‒ ‒ Was fuͤr hochfliegende Begriffe in der
theuren Seele! ‒ ‒ Große Unwiſſenheit! dachte
ich.
Weil
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/593>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.