Gedanken, Betrübniß und Verwirrung überfie- len mich auf einmal in so großer Menge; das eine wollte das erste seyn, das andere wollte das erste seyn, alles wollte das erste seyn; daß ich gar nichts schreiben kann - - Nur dieß einzige will ich schreiben. Jch kann nicht sagen, was sie mit mir gemacht haben: aber ich bin in kei- nem Stücke das mehr, was ich gewesen bin - - Jn keinem Stücke sagte ich? Ja; nur in einem bin ich noch, was ich war: denn ich bin noch und werde allezeit seyn
Jhre getreue - -
Der Henker hole es! Jch kann von diesem rednerischen Unsinn, der mehr von einer erhitzten als geschwächten Einbildungskraft zeuget, selber nichts mehr schreiben. Dorcas soll die übrigen auf einzelnen Papieren abschreiben, wie sie von der grillensüchtigen Schönen geschrieben sind. Nach Verlauf einiger Zeit, wenn alles vorbey ist, und es mir erträglicher wird, sie zu lesen, kann ich sie wohl von dir zum Durchsehen fordern. Verwahre sie dießfalls gut: denn wir sehen oft mit Vergnügen auf die traurigsten Begebenhei- ten zurück, wenn die Ursache der Traurigkeit ge- hoben ist.
Das II Blatt. Es war durchstrichen und unter den Tisch geworfen.
- - Und können sie, lieber geehrtester Herr Va- ter, sich auf ewig entschließen, ihr ar- mes Kind zu verstoßen? - - Jch weiß gewiß,
sie
Gedanken, Betruͤbniß und Verwirrung uͤberfie- len mich auf einmal in ſo großer Menge; das eine wollte das erſte ſeyn, das andere wollte das erſte ſeyn, alles wollte das erſte ſeyn; daß ich gar nichts ſchreiben kann ‒ ‒ Nur dieß einzige will ich ſchreiben. Jch kann nicht ſagen, was ſie mit mir gemacht haben: aber ich bin in kei- nem Stuͤcke das mehr, was ich geweſen bin ‒ ‒ Jn keinem Stuͤcke ſagte ich? Ja; nur in einem bin ich noch, was ich war: denn ich bin noch und werde allezeit ſeyn
Jhre getreue ‒ ‒
Der Henker hole es! Jch kann von dieſem redneriſchen Unſinn, der mehr von einer erhitzten als geſchwaͤchten Einbildungskraft zeuget, ſelber nichts mehr ſchreiben. Dorcas ſoll die uͤbrigen auf einzelnen Papieren abſchreiben, wie ſie von der grillenſuͤchtigen Schoͤnen geſchrieben ſind. Nach Verlauf einiger Zeit, wenn alles vorbey iſt, und es mir ertraͤglicher wird, ſie zu leſen, kann ich ſie wohl von dir zum Durchſehen fordern. Verwahre ſie dießfalls gut: denn wir ſehen oft mit Vergnuͤgen auf die traurigſten Begebenhei- ten zuruͤck, wenn die Urſache der Traurigkeit ge- hoben iſt.
Das II Blatt. Es war durchſtrichen und unter den Tiſch geworfen.
‒ ‒ Und koͤnnen ſie, lieber geehrteſter Herr Va- ter, ſich auf ewig entſchließen, ihr ar- mes Kind zu verſtoßen? ‒ ‒ Jch weiß gewiß,
ſie
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Gedanken, Betruͤbniß und Verwirrung uͤberfie-
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eine wollte das erſte ſeyn, das andere wollte das
erſte ſeyn, alles wollte das erſte ſeyn; daß ich
gar nichts ſchreiben kann ‒ ‒ Nur dieß einzige
will ich ſchreiben. Jch kann nicht ſagen, was
ſie mit mir gemacht haben: aber ich bin in kei-
nem Stuͤcke das mehr, was ich geweſen bin ‒ ‒
Jn keinem Stuͤcke ſagte ich? Ja; nur in einem
bin ich noch, was ich war: denn ich bin noch und
werde allezeit ſeyn
Jhre getreue ‒ ‒
Der Henker hole es! Jch kann von dieſem
redneriſchen Unſinn, der mehr von einer erhitzten
als geſchwaͤchten Einbildungskraft zeuget, ſelber
nichts mehr ſchreiben. Dorcas ſoll die uͤbrigen
auf einzelnen Papieren abſchreiben, wie ſie von
der grillenſuͤchtigen Schoͤnen geſchrieben ſind.
Nach Verlauf einiger Zeit, wenn alles vorbey iſt,
und es mir ertraͤglicher wird, ſie zu leſen, kann
ich ſie wohl von dir zum Durchſehen fordern.
Verwahre ſie dießfalls gut: denn wir ſehen oft
mit Vergnuͤgen auf die traurigſten Begebenhei-
ten zuruͤck, wenn die Urſache der Traurigkeit ge-
hoben iſt.
Das II Blatt.
Es war durchſtrichen und unter den Tiſch geworfen.
‒ ‒ Und koͤnnen ſie, lieber geehrteſter Herr Va-
ter, ſich auf ewig entſchließen, ihr ar-
mes Kind zu verſtoßen? ‒ ‒ Jch weiß gewiß,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/624>, abgerufen am 24.11.2024.
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