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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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Anblick wird mir dieses verstatten: wenn ich ihr
dreist in die niedergeschlagenen Augen sehe!



Eben den Augenblick sagt mir Dorcas, sie
glaube, daß meine Geliebte komme, mich zu su-
chen. Sie hätte nach mir gefragt, und, wie
Dorcas von ihr gegangen wäre, ihre rothgeschwol-
lene Augen vor dem Spiegel ausgetrocknet. Sie
hat gewiß nicht die Absicht, mich durch ihre Thrä-
nen zu bewegen. Jedoch hat sie dabey merklich
genug über meinen unbeweglichen Muth geseuf-
zet. Warum bin ich aber so weit gegangen:
wo ich nun meine Hauptabsicht nicht verfolge?
- - Allzu große und zärtliche Bedenklichkeit muß
ein wenig vertrieben werden. Sie weiß das
ärgste. Daß sie mich nicht fliehen kann; daß
sie mich sehen und sprechen muß, daß ich sie durch
meine Blicke in eine angenehme Verwirrung zu
setzen vermögend bin: das sind alles Umstände,
die für mich sehr vortheilhaft sind. Was kann
sie mehr thun, als wunderlich reden und ausru-
fen? Jch bin schon gewohnt wunderliche Reden
und Ausrufungen zu hören - - Allein, wo sie
sich wieder erholet hat: so werde ich sehen, wie
sie sich nach dem, was sie gelitten, bey dieser un-
serer ersten Zusammenkunft, bey welcher sie ihrer
Sinne mächtig ist, bezeiget.

Da kommt sie! - -

Der



Anblick wird mir dieſes verſtatten: wenn ich ihr
dreiſt in die niedergeſchlagenen Augen ſehe!



Eben den Augenblick ſagt mir Dorcas, ſie
glaube, daß meine Geliebte komme, mich zu ſu-
chen. Sie haͤtte nach mir gefragt, und, wie
Dorcas von ihr gegangen waͤre, ihre rothgeſchwol-
lene Augen vor dem Spiegel ausgetrocknet. Sie
hat gewiß nicht die Abſicht, mich durch ihre Thraͤ-
nen zu bewegen. Jedoch hat ſie dabey merklich
genug uͤber meinen unbeweglichen Muth geſeuf-
zet. Warum bin ich aber ſo weit gegangen:
wo ich nun meine Hauptabſicht nicht verfolge?
‒ ‒ Allzu große und zaͤrtliche Bedenklichkeit muß
ein wenig vertrieben werden. Sie weiß das
aͤrgſte. Daß ſie mich nicht fliehen kann; daß
ſie mich ſehen und ſprechen muß, daß ich ſie durch
meine Blicke in eine angenehme Verwirrung zu
ſetzen vermoͤgend bin: das ſind alles Umſtaͤnde,
die fuͤr mich ſehr vortheilhaft ſind. Was kann
ſie mehr thun, als wunderlich reden und ausru-
fen? Jch bin ſchon gewohnt wunderliche Reden
und Ausrufungen zu hoͤren ‒ ‒ Allein, wo ſie
ſich wieder erholet hat: ſo werde ich ſehen, wie
ſie ſich nach dem, was ſie gelitten, bey dieſer un-
ſerer erſten Zuſammenkunft, bey welcher ſie ihrer
Sinne maͤchtig iſt, bezeiget.

Da kommt ſie! ‒ ‒

Der
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[644/0650] Anblick wird mir dieſes verſtatten: wenn ich ihr dreiſt in die niedergeſchlagenen Augen ſehe! Eben den Augenblick ſagt mir Dorcas, ſie glaube, daß meine Geliebte komme, mich zu ſu- chen. Sie haͤtte nach mir gefragt, und, wie Dorcas von ihr gegangen waͤre, ihre rothgeſchwol- lene Augen vor dem Spiegel ausgetrocknet. Sie hat gewiß nicht die Abſicht, mich durch ihre Thraͤ- nen zu bewegen. Jedoch hat ſie dabey merklich genug uͤber meinen unbeweglichen Muth geſeuf- zet. Warum bin ich aber ſo weit gegangen: wo ich nun meine Hauptabſicht nicht verfolge? ‒ ‒ Allzu große und zaͤrtliche Bedenklichkeit muß ein wenig vertrieben werden. Sie weiß das aͤrgſte. Daß ſie mich nicht fliehen kann; daß ſie mich ſehen und ſprechen muß, daß ich ſie durch meine Blicke in eine angenehme Verwirrung zu ſetzen vermoͤgend bin: das ſind alles Umſtaͤnde, die fuͤr mich ſehr vortheilhaft ſind. Was kann ſie mehr thun, als wunderlich reden und ausru- fen? Jch bin ſchon gewohnt wunderliche Reden und Ausrufungen zu hoͤren ‒ ‒ Allein, wo ſie ſich wieder erholet hat: ſo werde ich ſehen, wie ſie ſich nach dem, was ſie gelitten, bey dieſer un- ſerer erſten Zuſammenkunft, bey welcher ſie ihrer Sinne maͤchtig iſt, bezeiget. Da kommt ſie! ‒ ‒ Der

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 644. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/650>, abgerufen am 24.11.2024.