gebe ich hiemit meine Hand, den 19ten Jun. des obengenannten Jahres.
Clarissa Harlowe.
Nun, Bruder, was soll ich mit einer so lie- ben Betrügerinn, die mir die Leute besticht, für Maaßregeln beobachten? Was meynest du? - - Siehst du nicht, wie sie mich hasset? - - Siehst du nicht, daß sie sich fest vorgesetzet hat, mir nim- mermehr zu vergeben? - - Siehst du nicht, bey dem allen, daß sie sich selbst in den Augen der Welt schänden muß, wenn sie wirklich entkom- men sollte? - - Daß sie unsäglichem Unglück, unsäglicher Gefahr unterworfen seyn muß? - - Denn wen hat sie, der sie aufnehmen und schü- tzen möge? - - Und dennoch entschließet sie sich, es auf alle diese Gefahr zu wagen! - - Ja, was noch mehr ist, verfällt auf niedrige Kunstgriffe, und macht sich des herrschenden Lasters unserer Zeiten, der Verblendung durch Geld, der Beste- chung, schuldig! O Bruder, Bruder! sage, schreibe mir nicht ein Wort mehr zu ihrem Be- sten. - -
Du hast mir verwiefen, daß ich sie in dieß Haus gebracht habe. Allein hätte ich sie in ir- gend ein anderes Haus in England geführet, wo nur ein Bedienter oder Einwohner gewesen wä- re, der sich entweder hätte zum Mitleiden be- wegen, oder bestechen lassen können: was würde nothwendig erfolget seyn?
Siehst
gebe ich hiemit meine Hand, den 19ten Jun. des obengenannten Jahres.
Clariſſa Harlowe.
Nun, Bruder, was ſoll ich mit einer ſo lie- ben Betruͤgerinn, die mir die Leute beſticht, fuͤr Maaßregeln beobachten? Was meyneſt du? ‒ ‒ Siehſt du nicht, wie ſie mich haſſet? ‒ ‒ Siehſt du nicht, daß ſie ſich feſt vorgeſetzet hat, mir nim- mermehr zu vergeben? ‒ ‒ Siehſt du nicht, bey dem allen, daß ſie ſich ſelbſt in den Augen der Welt ſchaͤnden muß, wenn ſie wirklich entkom- men ſollte? ‒ ‒ Daß ſie unſaͤglichem Ungluͤck, unſaͤglicher Gefahr unterworfen ſeyn muß? ‒ ‒ Denn wen hat ſie, der ſie aufnehmen und ſchuͤ- tzen moͤge? ‒ ‒ Und dennoch entſchließet ſie ſich, es auf alle dieſe Gefahr zu wagen! ‒ ‒ Ja, was noch mehr iſt, verfaͤllt auf niedrige Kunſtgriffe, und macht ſich des herrſchenden Laſters unſerer Zeiten, der Verblendung durch Geld, der Beſte- chung, ſchuldig! O Bruder, Bruder! ſage, ſchreibe mir nicht ein Wort mehr zu ihrem Be- ſten. ‒ ‒
Du haſt mir verwiefen, daß ich ſie in dieß Haus gebracht habe. Allein haͤtte ich ſie in ir- gend ein anderes Haus in England gefuͤhret, wo nur ein Bedienter oder Einwohner geweſen waͤ- re, der ſich entweder haͤtte zum Mitleiden be- wegen, oder beſtechen laſſen koͤnnen: was wuͤrde nothwendig erfolget ſeyn?
Siehſt
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gebe ich hiemit meine Hand, den 19ten Jun.
des obengenannten Jahres.
Clariſſa Harlowe.
Nun, Bruder, was ſoll ich mit einer ſo lie-
ben Betruͤgerinn, die mir die Leute beſticht, fuͤr
Maaßregeln beobachten? Was meyneſt du? ‒ ‒
Siehſt du nicht, wie ſie mich haſſet? ‒ ‒ Siehſt
du nicht, daß ſie ſich feſt vorgeſetzet hat, mir nim-
mermehr zu vergeben? ‒ ‒ Siehſt du nicht, bey
dem allen, daß ſie ſich ſelbſt in den Augen der
Welt ſchaͤnden muß, wenn ſie wirklich entkom-
men ſollte? ‒ ‒ Daß ſie unſaͤglichem Ungluͤck,
unſaͤglicher Gefahr unterworfen ſeyn muß? ‒ ‒
Denn wen hat ſie, der ſie aufnehmen und ſchuͤ-
tzen moͤge? ‒ ‒ Und dennoch entſchließet ſie ſich,
es auf alle dieſe Gefahr zu wagen! ‒ ‒ Ja, was
noch mehr iſt, verfaͤllt auf niedrige Kunſtgriffe,
und macht ſich des herrſchenden Laſters unſerer
Zeiten, der Verblendung durch Geld, der Beſte-
chung, ſchuldig! O Bruder, Bruder! ſage,
ſchreibe mir nicht ein Wort mehr zu ihrem Be-
ſten. ‒ ‒
Du haſt mir verwiefen, daß ich ſie in dieß
Haus gebracht habe. Allein haͤtte ich ſie in ir-
gend ein anderes Haus in England gefuͤhret, wo
nur ein Bedienter oder Einwohner geweſen waͤ-
re, der ſich entweder haͤtte zum Mitleiden be-
wegen, oder beſtechen laſſen koͤnnen: was
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Siehſt
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 708. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/714>, abgerufen am 24.11.2024.
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