Der sechzigste Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.
Eben komme ich von den Weibsleuten.
"Bin ich so weit gegangen, und fürchte "mich itzo weiter zu gehen? - Habe ich nicht "schon so schwer gesündiget, wie ihr Verhalten "zeiget, daß ich keine Vergebung erlangen kann? "- - Thränen einer Weibsperson pflegten ja "bey mir nichts mehr zu seyn, als Wasser, das "in kleinen Tropfen auf ein glühendes Feuer ge- "sprenget wird, und nur eine stärkere und hellere "Gluth machet. Und womit kann sich diese "Fräulein anders wehren, als mit ihren Thrä- "nen und mit ihrer beredten Zunge? Sie ist "vorher an keiner schwachen Seite angegrif- "fen worden. Sie war ohne Empfindung "in denen Augenblicken, in welchen sie die Pro- "be aushalten mußte. Hätte sie Empfindung "gehabt: so hätte sie Empfindung haben müssen. "So sagten sie. Selbst die Art und Weise, wie "ich es mit ihr gemacht habe, haben ihren Ruhm "und ihren Stolz vermehret. Sie hat nun ein "Histörchen zu erzählen, daß sie zu ihrer eignen "Ehre erzählen kann. Keine ihrer Neigungen "ist mitschuldig. Sie kann mich durch ihre "Blicke in Verwirrung setzen, und ist sich dabey
"nicht
Der ſechzigſte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.
Eben komme ich von den Weibsleuten.
„Bin ich ſo weit gegangen, und fuͤrchte „mich itzo weiter zu gehen? ‒ Habe ich nicht „ſchon ſo ſchwer geſuͤndiget, wie ihr Verhalten „zeiget, daß ich keine Vergebung erlangen kann? „‒ ‒ Thraͤnen einer Weibsperſon pflegten ja „bey mir nichts mehr zu ſeyn, als Waſſer, das „in kleinen Tropfen auf ein gluͤhendes Feuer ge- „ſprenget wird, und nur eine ſtaͤrkere und hellere „Gluth machet. Und womit kann ſich dieſe „Fraͤulein anders wehren, als mit ihren Thraͤ- „nen und mit ihrer beredten Zunge? Sie iſt „vorher an keiner ſchwachen Seite angegrif- „fen worden. Sie war ohne Empfindung „in denen Augenblicken, in welchen ſie die Pro- „be aushalten mußte. Haͤtte ſie Empfindung „gehabt: ſo haͤtte ſie Empfindung haben muͤſſen. „So ſagten ſie. Selbſt die Art und Weiſe, wie „ich es mit ihr gemacht habe, haben ihren Ruhm „und ihren Stolz vermehret. Sie hat nun ein „Hiſtoͤrchen zu erzaͤhlen, daß ſie zu ihrer eignen „Ehre erzaͤhlen kann. Keine ihrer Neigungen „iſt mitſchuldig. Sie kann mich durch ihre „Blicke in Verwirrung ſetzen, und iſt ſich dabey
„nicht
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Der ſechzigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.
Eben komme ich von den Weibsleuten.
„Bin ich ſo weit gegangen, und fuͤrchte
„mich itzo weiter zu gehen? ‒ Habe ich nicht
„ſchon ſo ſchwer geſuͤndiget, wie ihr Verhalten
„zeiget, daß ich keine Vergebung erlangen kann?
„‒ ‒ Thraͤnen einer Weibsperſon pflegten ja
„bey mir nichts mehr zu ſeyn, als Waſſer, das
„in kleinen Tropfen auf ein gluͤhendes Feuer ge-
„ſprenget wird, und nur eine ſtaͤrkere und hellere
„Gluth machet. Und womit kann ſich dieſe
„Fraͤulein anders wehren, als mit ihren Thraͤ-
„nen und mit ihrer beredten Zunge? Sie iſt
„vorher an keiner ſchwachen Seite angegrif-
„fen worden. Sie war ohne Empfindung
„in denen Augenblicken, in welchen ſie die Pro-
„be aushalten mußte. Haͤtte ſie Empfindung
„gehabt: ſo haͤtte ſie Empfindung haben muͤſſen.
„So ſagten ſie. Selbſt die Art und Weiſe, wie
„ich es mit ihr gemacht habe, haben ihren Ruhm
„und ihren Stolz vermehret. Sie hat nun ein
„Hiſtoͤrchen zu erzaͤhlen, daß ſie zu ihrer eignen
„Ehre erzaͤhlen kann. Keine ihrer Neigungen
„iſt mitſchuldig. Sie kann mich durch ihre
„Blicke in Verwirrung ſetzen, und iſt ſich dabey
„nicht
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 790. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/796>, abgerufen am 24.11.2024.
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