Jch schäme mich itzo, werthe Freundinn, da ich weiß, was es für nichtswürdige Personen ge- wesen sind, Jhnen alle das Zärtliche, das Verbind- liche, und das Ehrerbietige zu wiederholen, was ich zu denselben sagte.
Darauf kam der nichtswürdige Mensch selbst hervor. Er warf sich zu meinen Füßen. Wie war ich besetzt! - - Die Weibsleute hielten, ei- ne, meine rechte, die andere, meine linke Hand. Die vermeynte Fräulein Montague drückte mehr als einmal die Hand, welche sie gefaßt hatte, an ihre Lippen. Der böse Mensch bat auf den Knie- en flehentlich um Vergebung, und stellte mir meine glücklichen und unglücklichen Umstände vor Augen, die ich zu erwarteu haben würde, nachdem ich ihm entweder vergeben oder nicht vergeben wollte. Al- les, was er unter den vorhergehenden Vorstellungen von ihm und von dem Capitain Tomlinson für geschickt hielte, mich zu rühren, wiederholte er. Er gelobte, er versprach, er bat die vermeynten ehrlichen Frauenzimmer, für ihn gut zu sagen: und diese setzten ihre Ehre für ihn zum Pfande.
Jn Wahrheit, meine Wertheste, ich war in der Enge, vollkommen in der Enge. Es war mir leid, daß ich diesen Besuch zugelassen hatte. Denn ich wußte nicht, wie ich, bey der Zärtlichkeit gegen so würdige Anverwandten, wofür ich sie ansahe, einem so nahen Angehörigen von ihnen so frey begegnen sollte, als er es verdiente. - - Dadurch verlohren meine Gründe und meine Entschließungen ihre größte Stärke.
Jch
Jch ſchaͤme mich itzo, werthe Freundinn, da ich weiß, was es fuͤr nichtswuͤrdige Perſonen ge- weſen ſind, Jhnen alle das Zaͤrtliche, das Verbind- liche, und das Ehrerbietige zu wiederholen, was ich zu denſelben ſagte.
Darauf kam der nichtswuͤrdige Menſch ſelbſt hervor. Er warf ſich zu meinen Fuͤßen. Wie war ich beſetzt! ‒ ‒ Die Weibsleute hielten, ei- ne, meine rechte, die andere, meine linke Hand. Die vermeynte Fraͤulein Montague druͤckte mehr als einmal die Hand, welche ſie gefaßt hatte, an ihre Lippen. Der boͤſe Menſch bat auf den Knie- en flehentlich um Vergebung, und ſtellte mir meine gluͤcklichen und ungluͤcklichen Umſtaͤnde vor Augen, die ich zu erwarteu haben wuͤrde, nachdem ich ihm entweder vergeben oder nicht vergeben wollte. Al- les, was er unter den vorhergehenden Vorſtellungen von ihm und von dem Capitain Tomlinſon fuͤr geſchickt hielte, mich zu ruͤhren, wiederholte er. Er gelobte, er verſprach, er bat die vermeynten ehrlichen Frauenzimmer, fuͤr ihn gut zu ſagen: und dieſe ſetzten ihre Ehre fuͤr ihn zum Pfande.
Jn Wahrheit, meine Wertheſte, ich war in der Enge, vollkommen in der Enge. Es war mir leid, daß ich dieſen Beſuch zugelaſſen hatte. Denn ich wußte nicht, wie ich, bey der Zaͤrtlichkeit gegen ſo wuͤrdige Anverwandten, wofuͤr ich ſie anſahe, einem ſo nahen Angehoͤrigen von ihnen ſo frey begegnen ſollte, als er es verdiente. ‒ ‒ Dadurch verlohren meine Gruͤnde und meine Entſchließungen ihre groͤßte Staͤrke.
Jch
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Jch ſchaͤme mich itzo, werthe Freundinn, da
ich weiß, was es fuͤr nichtswuͤrdige Perſonen ge-
weſen ſind, Jhnen alle das Zaͤrtliche, das Verbind-
liche, und das Ehrerbietige zu wiederholen, was
ich zu denſelben ſagte.
Darauf kam der nichtswuͤrdige Menſch ſelbſt
hervor. Er warf ſich zu meinen Fuͤßen. Wie
war ich beſetzt! ‒ ‒ Die Weibsleute hielten, ei-
ne, meine rechte, die andere, meine linke Hand.
Die vermeynte Fraͤulein Montague druͤckte mehr
als einmal die Hand, welche ſie gefaßt hatte, an
ihre Lippen. Der boͤſe Menſch bat auf den Knie-
en flehentlich um Vergebung, und ſtellte mir meine
gluͤcklichen und ungluͤcklichen Umſtaͤnde vor Augen,
die ich zu erwarteu haben wuͤrde, nachdem ich ihm
entweder vergeben oder nicht vergeben wollte. Al-
les, was er unter den vorhergehenden Vorſtellungen
von ihm und von dem Capitain Tomlinſon fuͤr
geſchickt hielte, mich zu ruͤhren, wiederholte er.
Er gelobte, er verſprach, er bat die vermeynten
ehrlichen Frauenzimmer, fuͤr ihn gut zu ſagen:
und dieſe ſetzten ihre Ehre fuͤr ihn zum Pfande.
Jn Wahrheit, meine Wertheſte, ich war in
der Enge, vollkommen in der Enge. Es war
mir leid, daß ich dieſen Beſuch zugelaſſen hatte.
Denn ich wußte nicht, wie ich, bey der Zaͤrtlichkeit
gegen ſo wuͤrdige Anverwandten, wofuͤr ich ſie
anſahe, einem ſo nahen Angehoͤrigen von ihnen
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Dadurch verlohren meine Gruͤnde und meine
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/106>, abgerufen am 21.11.2024.
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