bunten Farben, wie es sich gehörte, ausgesticket, welches alles, zur Bewunderung ihrer künftigen Enkel, in Rähmen, und mit Glaß bedecket, auf- gehangen war. Sie hatte auch ein Recht auf ein gar sehr kleines Gut. Sie war aus einer sehr kleinen Familie von einem hundertjährigen Adel entsprossen, welche eine recht sehr kleine Le- bensart führte, und in Betrachtung ihrer selbst sehr wenig, in Betrachtung dieser Tochter aber sehr viel geachtet wurde. - -
Für so eine sehr kleine Fräulein, als dieß ist, muß es eine recht betrübte Sache seyn, daß sie in ein so sehr großes Unglück geräth. Aber sage mir einmal: Würde der Verlust eines gemeinen Kindes, von einer andern noch weniger beträcht- lichen Familie, von geringern oder nicht so lie- benswürdigen Gaben, nicht eben so groß und eben so schwer für die Familie gewesen seyn, als der Verlust dieser sehr kleinen Fräulein für ihre Fa- milie ist?
Jch will mich herablassen und ein recht niedri- driges Beyspiel geben, bloß damit ich bey der Person bleibe. Zweifelst du wohl, daß dein starksehnichtes und beinichtes Gesicht von deiner Mutter eben so sehr bewundert worden, als wenn es das Gesicht eines Lovelace oder eines andern leidli- chen Kerls gewesen wäre? Und würde sie, wenn du abgemahlet wärest, es dem Mahler vergeben ha- ben, wenn er deine Züge nicht so genau ausge- drücket hätte, daß ein jeder die Aehnlichkeit be- merkt haben sollte? Die ziemliche Aehnlich-
keit
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bunten Farben, wie es ſich gehoͤrte, ausgeſticket, welches alles, zur Bewunderung ihrer kuͤnftigen Enkel, in Raͤhmen, und mit Glaß bedecket, auf- gehangen war. Sie hatte auch ein Recht auf ein gar ſehr kleines Gut. Sie war aus einer ſehr kleinen Familie von einem hundertjaͤhrigen Adel entſproſſen, welche eine recht ſehr kleine Le- bensart fuͤhrte, und in Betrachtung ihrer ſelbſt ſehr wenig, in Betrachtung dieſer Tochter aber ſehr viel geachtet wurde. ‒ ‒
Fuͤr ſo eine ſehr kleine Fraͤulein, als dieß iſt, muß es eine recht betruͤbte Sache ſeyn, daß ſie in ein ſo ſehr großes Ungluͤck geraͤth. Aber ſage mir einmal: Wuͤrde der Verluſt eines gemeinen Kindes, von einer andern noch weniger betraͤcht- lichen Familie, von geringern oder nicht ſo lie- benswuͤrdigen Gaben, nicht eben ſo groß und eben ſo ſchwer fuͤr die Familie geweſen ſeyn, als der Verluſt dieſer ſehr kleinen Fraͤulein fuͤr ihre Fa- milie iſt?
Jch will mich herablaſſen und ein recht niedri- driges Beyſpiel geben, bloß damit ich bey der Perſon bleibe. Zweifelſt du wohl, daß dein ſtarkſehnichtes und beinichtes Geſicht von deiner Mutter eben ſo ſehr bewundert worden, als wenn es das Geſicht eines Lovelace oder eines andern leidli- chen Kerls geweſen waͤre? Und wuͤrde ſie, wenn du abgemahlet waͤreſt, es dem Mahler vergeben ha- ben, wenn er deine Zuͤge nicht ſo genau ausge- druͤcket haͤtte, daß ein jeder die Aehnlichkeit be- merkt haben ſollte? Die ziemliche Aehnlich-
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[7/0013]
bunten Farben, wie es ſich gehoͤrte, ausgeſticket,
welches alles, zur Bewunderung ihrer kuͤnftigen
Enkel, in Raͤhmen, und mit Glaß bedecket, auf-
gehangen war. Sie hatte auch ein Recht auf
ein gar ſehr kleines Gut. Sie war aus einer ſehr
kleinen Familie von einem hundertjaͤhrigen Adel
entſproſſen, welche eine recht ſehr kleine Le-
bensart fuͤhrte, und in Betrachtung ihrer ſelbſt
ſehr wenig, in Betrachtung dieſer Tochter aber
ſehr viel geachtet wurde. ‒ ‒
Fuͤr ſo eine ſehr kleine Fraͤulein, als dieß iſt,
muß es eine recht betruͤbte Sache ſeyn, daß ſie in
ein ſo ſehr großes Ungluͤck geraͤth. Aber ſage
mir einmal: Wuͤrde der Verluſt eines gemeinen
Kindes, von einer andern noch weniger betraͤcht-
lichen Familie, von geringern oder nicht ſo lie-
benswuͤrdigen Gaben, nicht eben ſo groß und eben
ſo ſchwer fuͤr die Familie geweſen ſeyn, als der
Verluſt dieſer ſehr kleinen Fraͤulein fuͤr ihre Fa-
milie iſt?
Jch will mich herablaſſen und ein recht niedri-
driges Beyſpiel geben, bloß damit ich bey
der Perſon bleibe. Zweifelſt du wohl, daß dein
ſtarkſehnichtes und beinichtes Geſicht von deiner
Mutter eben ſo ſehr bewundert worden, als wenn es
das Geſicht eines Lovelace oder eines andern leidli-
chen Kerls geweſen waͤre? Und wuͤrde ſie, wenn du
abgemahlet waͤreſt, es dem Mahler vergeben ha-
ben, wenn er deine Zuͤge nicht ſo genau ausge-
druͤcket haͤtte, daß ein jeder die Aehnlichkeit be-
merkt haben ſollte? Die ziemliche Aehnlich-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/13>, abgerufen am 21.11.2024.
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