klagst du dich über mein Stillschweigen: und in einem erzählst du mir, daß du nicht leben kön- nest, wo ich dir nicht alle Tage, oder wenigstens einen Tag um den andern schreibe.
Wohlan denn, Bruder, stirb, wo du willst - - Was für Lust, meynst du, kann ich zu schreiben haben: da der einzige Gegenstand, der es verdiener, daß man davon schreibe, mir entrissen ist.
Hilf mir wieder zu meinem Engel, zu mei- ner Clarissa: so sollst du alle Stunden einen Brief, oder wenigstens etwas geschriebenes, ein Stück von einem Briefe, von mir bekommen. Alles, was die Beherrscherinn meines Herzens sagen wird, will ich niederschreiben. Eine jede Bewegung, eine jede Miene an ihrer liebens- würdigen Person, einen jeden Blick, will ich zu beschreiben versuchen: und wenn sie stille schwei- get, will ich mich bemühen, dir ihre Gedanken zu erzählen, entweder was sie sind, oder was sie nach meinem Wunsche seyn sollten. - So wird es mir, wenn ich sie habe, niemals an Stoffe zu schreiben fehlen. Da ich ihrer verlustig bin, ist meine ganze Seele ein Blanket: die ganze Schöpfung um mich herum, die Elemente oben, unten, und alle Dinge, die ich sehe; denn ge- nießen kann ich nichts; sind ohne sie ein Blanket.
O kehre wieder, kehre wieder, allerliebste Beherrscherinn meiner Seele! Kehre wieder zu deinem Anbeter Lovelace! Was ist das Licht,
was
klagſt du dich uͤber mein Stillſchweigen: und in einem erzaͤhlſt du mir, daß du nicht leben koͤn- neſt, wo ich dir nicht alle Tage, oder wenigſtens einen Tag um den andern ſchreibe.
Wohlan denn, Bruder, ſtirb, wo du willſt ‒ ‒ Was fuͤr Luſt, meynſt du, kann ich zu ſchreiben haben: da der einzige Gegenſtand, der es verdiener, daß man davon ſchreibe, mir entriſſen iſt.
Hilf mir wieder zu meinem Engel, zu mei- ner Clariſſa: ſo ſollſt du alle Stunden einen Brief, oder wenigſtens etwas geſchriebenes, ein Stuͤck von einem Briefe, von mir bekommen. Alles, was die Beherrſcherinn meines Herzens ſagen wird, will ich niederſchreiben. Eine jede Bewegung, eine jede Miene an ihrer liebens- wuͤrdigen Perſon, einen jeden Blick, will ich zu beſchreiben verſuchen: und wenn ſie ſtille ſchwei- get, will ich mich bemuͤhen, dir ihre Gedanken zu erzaͤhlen, entweder was ſie ſind, oder was ſie nach meinem Wunſche ſeyn ſollten. ‒ So wird es mir, wenn ich ſie habe, niemals an Stoffe zu ſchreiben fehlen. Da ich ihrer verluſtig bin, iſt meine ganze Seele ein Blanket: die ganze Schoͤpfung um mich herum, die Elemente oben, unten, und alle Dinge, die ich ſehe; denn ge- nießen kann ich nichts; ſind ohne ſie ein Blanket.
O kehre wieder, kehre wieder, allerliebſte Beherrſcherinn meiner Seele! Kehre wieder zu deinem Anbeter Lovelace! Was iſt das Licht,
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klagſt du dich uͤber mein Stillſchweigen: und in
einem erzaͤhlſt du mir, daß du nicht leben koͤn-
neſt, wo ich dir nicht alle Tage, oder wenigſtens
einen Tag um den andern ſchreibe.
Wohlan denn, Bruder, ſtirb, wo du
willſt ‒ ‒ Was fuͤr Luſt, meynſt du, kann ich
zu ſchreiben haben: da der einzige Gegenſtand,
der es verdiener, daß man davon ſchreibe, mir
entriſſen iſt.
Hilf mir wieder zu meinem Engel, zu mei-
ner Clariſſa: ſo ſollſt du alle Stunden einen
Brief, oder wenigſtens etwas geſchriebenes, ein
Stuͤck von einem Briefe, von mir bekommen.
Alles, was die Beherrſcherinn meines Herzens
ſagen wird, will ich niederſchreiben. Eine jede
Bewegung, eine jede Miene an ihrer liebens-
wuͤrdigen Perſon, einen jeden Blick, will ich zu
beſchreiben verſuchen: und wenn ſie ſtille ſchwei-
get, will ich mich bemuͤhen, dir ihre Gedanken
zu erzaͤhlen, entweder was ſie ſind, oder was ſie
nach meinem Wunſche ſeyn ſollten. ‒ So wird
es mir, wenn ich ſie habe, niemals an Stoffe
zu ſchreiben fehlen. Da ich ihrer verluſtig bin,
iſt meine ganze Seele ein Blanket: die ganze
Schoͤpfung um mich herum, die Elemente oben,
unten, und alle Dinge, die ich ſehe; denn ge-
nießen kann ich nichts; ſind ohne ſie ein
Blanket.
O kehre wieder, kehre wieder, allerliebſte
Beherrſcherinn meiner Seele! Kehre wieder zu
deinem Anbeter Lovelace! Was iſt das Licht,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/184>, abgerufen am 24.11.2024.
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