Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



durch die erste Hand erheben dürfen, welche ihm
zu einem Zweykampf oder zu der Ehre, vor Ge-
richt als der Anführer angesehn zu werden, einen
Anschein geben konnte.

Wenn man einen solchen alten Trojaner an-
siehet, der eben in das Grab sinket, welches,
meiner Hoffnung nach, schon eher gegraben und
mit ihm ausgefüllet seyn sollte; der vor Schmer-
zen schreiet und vor Zagheit ächzet; und dennoch
eben den Augenblick sein ledernes Gesicht mit ei-
nem abscheulichen Gelächter in Falten ziehet, ei-
nen jungen Sünder einen trefflichen Schalk nen-
net, und ihn noch mehr ermuntert, wie er vor-
dem die Verschnittenen in Jtalien anzureizen
pflegte: was ist das für eine widersinnische, für
eine unnatürliche Liebe zu alten Gewohnheiten!

Meine beyden Basen sind gemeiniglich zuge-
gen, wenn ich die Zeit vertreibe, wie es der
alte Lord nennet. Es müssen scheusliche Historien
seyn, die nicht mehr Hörer und Bewunderer fin-
den als Erzähler.

Bewunderer!

Ja, Belford, Bewunderer, sage ich
noch einmal. Denn ob diese Mägdchen mich
gleich bisweilen der verübten Thaten wegen
tadeln wollen: so rühmen sie doch meine Art sie
auszuführen, meine Erfindung, meine Uner-
schrockenheit - - Außerdem nenne ich das Ruhm,
was andere Tadel nennen. Das habe ich alle-
zeit gethan: und auf die Weise beyzeiten die
Schaam abgeleget, welche einen zu Unterneh-

mun-
M 3



durch die erſte Hand erheben duͤrfen, welche ihm
zu einem Zweykampf oder zu der Ehre, vor Ge-
richt als der Anfuͤhrer angeſehn zu werden, einen
Anſchein geben konnte.

Wenn man einen ſolchen alten Trojaner an-
ſiehet, der eben in das Grab ſinket, welches,
meiner Hoffnung nach, ſchon eher gegraben und
mit ihm ausgefuͤllet ſeyn ſollte; der vor Schmer-
zen ſchreiet und vor Zagheit aͤchzet; und dennoch
eben den Augenblick ſein ledernes Geſicht mit ei-
nem abſcheulichen Gelaͤchter in Falten ziehet, ei-
nen jungen Suͤnder einen trefflichen Schalk nen-
net, und ihn noch mehr ermuntert, wie er vor-
dem die Verſchnittenen in Jtalien anzureizen
pflegte: was iſt das fuͤr eine widerſinniſche, fuͤr
eine unnatuͤrliche Liebe zu alten Gewohnheiten!

Meine beyden Baſen ſind gemeiniglich zuge-
gen, wenn ich die Zeit vertreibe, wie es der
alte Lord nennet. Es muͤſſen ſcheusliche Hiſtorien
ſeyn, die nicht mehr Hoͤrer und Bewunderer fin-
den als Erzaͤhler.

Bewunderer!

Ja, Belford, Bewunderer, ſage ich
noch einmal. Denn ob dieſe Maͤgdchen mich
gleich bisweilen der veruͤbten Thaten wegen
tadeln wollen: ſo ruͤhmen ſie doch meine Art ſie
auszufuͤhren, meine Erfindung, meine Uner-
ſchrockenheit ‒ ‒ Außerdem nenne ich das Ruhm,
was andere Tadel nennen. Das habe ich alle-
zeit gethan: und auf die Weiſe beyzeiten die
Schaam abgeleget, welche einen zu Unterneh-

mun-
M 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0187" n="181"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
durch die er&#x017F;te Hand erheben du&#x0364;rfen, welche ihm<lb/>
zu einem Zweykampf oder zu der Ehre, vor Ge-<lb/>
richt als der Anfu&#x0364;hrer ange&#x017F;ehn zu werden, einen<lb/>
An&#x017F;chein geben konnte.</p><lb/>
          <p>Wenn man einen &#x017F;olchen alten Trojaner an-<lb/>
&#x017F;iehet, der eben in das Grab &#x017F;inket, welches,<lb/>
meiner Hoffnung nach, &#x017F;chon eher gegraben und<lb/>
mit ihm ausgefu&#x0364;llet &#x017F;eyn &#x017F;ollte; der vor Schmer-<lb/>
zen &#x017F;chreiet und vor Zagheit a&#x0364;chzet; und dennoch<lb/>
eben den Augenblick &#x017F;ein ledernes Ge&#x017F;icht mit ei-<lb/>
nem ab&#x017F;cheulichen Gela&#x0364;chter in Falten ziehet, ei-<lb/>
nen jungen Su&#x0364;nder einen trefflichen Schalk nen-<lb/>
net, und ihn noch mehr ermuntert, wie er vor-<lb/>
dem die Ver&#x017F;chnittenen in Jtalien anzureizen<lb/>
pflegte: was i&#x017F;t das fu&#x0364;r eine wider&#x017F;inni&#x017F;che, fu&#x0364;r<lb/>
eine unnatu&#x0364;rliche Liebe zu alten Gewohnheiten!</p><lb/>
          <p>Meine beyden Ba&#x017F;en &#x017F;ind gemeiniglich zuge-<lb/>
gen, wenn ich <hi rendition="#fr">die Zeit vertreibe,</hi> wie es der<lb/>
alte Lord nennet. Es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;cheusliche Hi&#x017F;torien<lb/>
&#x017F;eyn, die nicht mehr Ho&#x0364;rer und Bewunderer fin-<lb/>
den als Erza&#x0364;hler.</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#fr">Bewunderer!</hi> </p><lb/>
          <p>Ja, Belford, <hi rendition="#fr">Bewunderer,</hi> &#x017F;age ich<lb/>
noch einmal. Denn ob die&#x017F;e Ma&#x0364;gdchen mich<lb/>
gleich bisweilen der <hi rendition="#fr">veru&#x0364;bten Thaten</hi> wegen<lb/>
tadeln wollen: &#x017F;o ru&#x0364;hmen &#x017F;ie doch meine Art &#x017F;ie<lb/>
auszufu&#x0364;hren, meine Erfindung, meine Uner-<lb/>
&#x017F;chrockenheit &#x2012; &#x2012; Außerdem nenne ich das <hi rendition="#fr">Ruhm,</hi><lb/>
was andere <hi rendition="#fr">Tadel</hi> nennen. Das habe ich alle-<lb/>
zeit gethan: und auf die Wei&#x017F;e beyzeiten die<lb/><hi rendition="#fr">Schaam</hi> abgeleget, welche einen zu Unterneh-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 3</fw><fw place="bottom" type="catch">mun-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0187] durch die erſte Hand erheben duͤrfen, welche ihm zu einem Zweykampf oder zu der Ehre, vor Ge- richt als der Anfuͤhrer angeſehn zu werden, einen Anſchein geben konnte. Wenn man einen ſolchen alten Trojaner an- ſiehet, der eben in das Grab ſinket, welches, meiner Hoffnung nach, ſchon eher gegraben und mit ihm ausgefuͤllet ſeyn ſollte; der vor Schmer- zen ſchreiet und vor Zagheit aͤchzet; und dennoch eben den Augenblick ſein ledernes Geſicht mit ei- nem abſcheulichen Gelaͤchter in Falten ziehet, ei- nen jungen Suͤnder einen trefflichen Schalk nen- net, und ihn noch mehr ermuntert, wie er vor- dem die Verſchnittenen in Jtalien anzureizen pflegte: was iſt das fuͤr eine widerſinniſche, fuͤr eine unnatuͤrliche Liebe zu alten Gewohnheiten! Meine beyden Baſen ſind gemeiniglich zuge- gen, wenn ich die Zeit vertreibe, wie es der alte Lord nennet. Es muͤſſen ſcheusliche Hiſtorien ſeyn, die nicht mehr Hoͤrer und Bewunderer fin- den als Erzaͤhler. Bewunderer! Ja, Belford, Bewunderer, ſage ich noch einmal. Denn ob dieſe Maͤgdchen mich gleich bisweilen der veruͤbten Thaten wegen tadeln wollen: ſo ruͤhmen ſie doch meine Art ſie auszufuͤhren, meine Erfindung, meine Uner- ſchrockenheit ‒ ‒ Außerdem nenne ich das Ruhm, was andere Tadel nennen. Das habe ich alle- zeit gethan: und auf die Weiſe beyzeiten die Schaam abgeleget, welche einen zu Unterneh- mun- M 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/187
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/187>, abgerufen am 21.11.2024.