keit als Schönheiten an sich gezogen hätten. Al- lein so gezwungene, so flatterwitzige, bloß, so weit die Haut geht, leidliche Schönheiten! - - Sie hatten sich selbst nicht weiter untersucht, als was ihre Spiegel sie zu sehen in den Stand gesetzt hatten: und ihre Spiegel hatten ihnen noch da- zu geschmeichelt. Denn ich hielte sie für un- wirksame Gesichter, die niemand rühren können, und für Gesichter ohne alle Lebhaftigkeit. Jedoch waren ihre Augen auf Eroberungen aus, und suchten anderer Aufmerksamkeit an sich zu ziehen, damit sie der ihrigen zu statten kämen. - - Jch glaube, ich hätte mit weniger Mühe ihnen Seel und Leben und allen Zügen ihres Gesichts einen Glanz geben können - - Aber meine Clarissa! - - O Belford, meine Clarissa hat mich gegen alle andere Schönheit blind und unempfindlich ge- macht. - - Suche sie für mich auf, daß meine Feder eine würdige Beschäfftigung habe, sonst soll dieß der letzte Brief seyn von
deinem Lovelace.
Der dreyßigste Brief von Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford.
Sonntags Abends, den 9ten Jul.
Nun, Bruder, habe ich etwas zu schreiben, aber auch eine Rache über mich. Jch bin in der
äußer-
keit als Schoͤnheiten an ſich gezogen haͤtten. Al- lein ſo gezwungene, ſo flatterwitzige, bloß, ſo weit die Haut geht, leidliche Schoͤnheiten! ‒ ‒ Sie hatten ſich ſelbſt nicht weiter unterſucht, als was ihre Spiegel ſie zu ſehen in den Stand geſetzt hatten: und ihre Spiegel hatten ihnen noch da- zu geſchmeichelt. Denn ich hielte ſie fuͤr un- wirkſame Geſichter, die niemand ruͤhren koͤnnen, und fuͤr Geſichter ohne alle Lebhaftigkeit. Jedoch waren ihre Augen auf Eroberungen aus, und ſuchten anderer Aufmerkſamkeit an ſich zu ziehen, damit ſie der ihrigen zu ſtatten kaͤmen. ‒ ‒ Jch glaube, ich haͤtte mit weniger Muͤhe ihnen Seel und Leben und allen Zuͤgen ihres Geſichts einen Glanz geben koͤnnen ‒ ‒ Aber meine Clariſſa! ‒ ‒ O Belford, meine Clariſſa hat mich gegen alle andere Schoͤnheit blind und unempfindlich ge- macht. ‒ ‒ Suche ſie fuͤr mich auf, daß meine Feder eine wuͤrdige Beſchaͤfftigung habe, ſonſt ſoll dieß der letzte Brief ſeyn von
deinem Lovelace.
Der dreyßigſte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford.
Sonntags Abends, den 9ten Jul.
Nun, Bruder, habe ich etwas zu ſchreiben, aber auch eine Rache uͤber mich. Jch bin in der
aͤußer-
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keit als Schoͤnheiten an ſich gezogen haͤtten. Al-
lein ſo gezwungene, ſo flatterwitzige, bloß, ſo weit
die Haut geht, leidliche Schoͤnheiten! ‒ ‒ Sie
hatten ſich ſelbſt nicht weiter unterſucht, als was
ihre Spiegel ſie zu ſehen in den Stand geſetzt
hatten: und ihre Spiegel hatten ihnen noch da-
zu geſchmeichelt. Denn ich hielte ſie fuͤr un-
wirkſame Geſichter, die niemand ruͤhren koͤnnen,
und fuͤr Geſichter ohne alle Lebhaftigkeit. Jedoch
waren ihre Augen auf Eroberungen aus, und
ſuchten anderer Aufmerkſamkeit an ſich zu ziehen,
damit ſie der ihrigen zu ſtatten kaͤmen. ‒ ‒ Jch
glaube, ich haͤtte mit weniger Muͤhe ihnen Seel
und Leben und allen Zuͤgen ihres Geſichts einen
Glanz geben koͤnnen ‒ ‒ Aber meine Clariſſa! ‒ ‒
O Belford, meine Clariſſa hat mich gegen alle
andere Schoͤnheit blind und unempfindlich ge-
macht. ‒ ‒ Suche ſie fuͤr mich auf, daß meine
Feder eine wuͤrdige Beſchaͤfftigung habe, ſonſt ſoll
dieß der letzte Brief ſeyn von
deinem
Lovelace.
Der dreyßigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/194>, abgerufen am 21.11.2024.
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