guten Eigenschaften, unter welchen einige wären, die mir niemand, der mich kennte, abspräche, und auf die wenige von den Freunden der so genann- ten freyen Lebensart einen Anspruch machen könnten.
Nach diesen Unterredungen fingen sie an, die Fräulein mit vielem Eifer zu bewundern und zu erheben. Das war alles, wie ich gar wohl wuß- te, eine Vorbereitung zu der Hauptfrage: und diese ward von der Lady Sarah folgendergestalt auf die Bahn gebracht.
Wir haben so viel von den Briefen der ar- men Fräulein gesagt, als wir, meinen Gedanken nach, sagen können. Wollten wir uns bey dem Unglück aufhalten, das aus der Mishandlung ei- ner Person von ihrem Range leicht entstehen mag; wofern es nicht, auf alle nun mögliche Art, wieder gut gemacht wird: so würde das vielleicht wenig nützen. Aber, mein Herr, sie scheinen noch so wohl eine gute Meynung, die sie vollkom- men verdienet, von ihr zu begen, als Zuneigung zu ihr zu haben. Jhrer Tugend kann nicht der geringste Vorwurf gemacht werden. Sie könn- te nicht so zürnen, wie sie thut: wenn sie sich selbst etwas vorzuwerfen hätte. Sie ist, nach jeder- manns Geständnisse, ein feines Frauenzimmer, hat ein artiges Gut, als ihr Eigenthum, ist von keiner schlechten Familie, ob dieselbe gleich in Ansehung ihrer so wenig klug, als ihren Vorzü- gen gemäß gehandelt hat. Wegen ihres vor- tresflichen Gemüths und ihrer Geschicklichkeit in
der
guten Eigenſchaften, unter welchen einige waͤren, die mir niemand, der mich kennte, abſpraͤche, und auf die wenige von den Freunden der ſo genann- ten freyen Lebensart einen Anſpruch machen koͤnnten.
Nach dieſen Unterredungen fingen ſie an, die Fraͤulein mit vielem Eifer zu bewundern und zu erheben. Das war alles, wie ich gar wohl wuß- te, eine Vorbereitung zu der Hauptfrage: und dieſe ward von der Lady Sarah folgendergeſtalt auf die Bahn gebracht.
Wir haben ſo viel von den Briefen der ar- men Fraͤulein geſagt, als wir, meinen Gedanken nach, ſagen koͤnnen. Wollten wir uns bey dem Ungluͤck aufhalten, das aus der Mishandlung ei- ner Perſon von ihrem Range leicht entſtehen mag; wofern es nicht, auf alle nun moͤgliche Art, wieder gut gemacht wird: ſo wuͤrde das vielleicht wenig nuͤtzen. Aber, mein Herr, ſie ſcheinen noch ſo wohl eine gute Meynung, die ſie vollkom- men verdienet, von ihr zu begen, als Zuneigung zu ihr zu haben. Jhrer Tugend kann nicht der geringſte Vorwurf gemacht werden. Sie koͤnn- te nicht ſo zuͤrnen, wie ſie thut: wenn ſie ſich ſelbſt etwas vorzuwerfen haͤtte. Sie iſt, nach jeder- manns Geſtaͤndniſſe, ein feines Frauenzimmer, hat ein artiges Gut, als ihr Eigenthum, iſt von keiner ſchlechten Familie, ob dieſelbe gleich in Anſehung ihrer ſo wenig klug, als ihren Vorzuͤ- gen gemaͤß gehandelt hat. Wegen ihres vor- treſflichen Gemuͤths und ihrer Geſchicklichkeit in
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guten Eigenſchaften, unter welchen einige waͤren,
die mir niemand, der mich kennte, abſpraͤche, und
auf die wenige von den Freunden der ſo genann-
ten freyen Lebensart einen Anſpruch machen
koͤnnten.
Nach dieſen Unterredungen fingen ſie an, die
Fraͤulein mit vielem Eifer zu bewundern und zu
erheben. Das war alles, wie ich gar wohl wuß-
te, eine Vorbereitung zu der Hauptfrage: und
dieſe ward von der Lady Sarah folgendergeſtalt
auf die Bahn gebracht.
Wir haben ſo viel von den Briefen der ar-
men Fraͤulein geſagt, als wir, meinen Gedanken
nach, ſagen koͤnnen. Wollten wir uns bey dem
Ungluͤck aufhalten, das aus der Mishandlung ei-
ner Perſon von ihrem Range leicht entſtehen
mag; wofern es nicht, auf alle nun moͤgliche Art,
wieder gut gemacht wird: ſo wuͤrde das vielleicht
wenig nuͤtzen. Aber, mein Herr, ſie ſcheinen
noch ſo wohl eine gute Meynung, die ſie vollkom-
men verdienet, von ihr zu begen, als Zuneigung
zu ihr zu haben. Jhrer Tugend kann nicht der
geringſte Vorwurf gemacht werden. Sie koͤnn-
te nicht ſo zuͤrnen, wie ſie thut: wenn ſie ſich ſelbſt
etwas vorzuwerfen haͤtte. Sie iſt, nach jeder-
manns Geſtaͤndniſſe, ein feines Frauenzimmer,
hat ein artiges Gut, als ihr Eigenthum, iſt von
keiner ſchlechten Familie, ob dieſelbe gleich in
Anſehung ihrer ſo wenig klug, als ihren Vorzuͤ-
gen gemaͤß gehandelt hat. Wegen ihres vor-
treſflichen Gemuͤths und ihrer Geſchicklichkeit in
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/224>, abgerufen am 21.11.2024.
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