"solche beständig gleichmäßige Proben derselben "gegeben hätte, oder könnte gegeben haben. "Denn in ihrer ganzen Aufführung hat sie sich "gleich weit über Versuchung, und Ränke, und, "ich hätte beynahe gesagt, über menschliche "Schwachheit erhaben bewiesen.
"Der Schritt, den sie gethan, und sich so "frey zu einem Vorwurfe macht, war in Wahr- "heit erzwungen, wie sie ihn nennet. Denn "ob sie gleich so weit gereizet war, daß sie daran "gedachte, mit mir davon zu gehen: so war "sie es doch nicht willens, und hatte sich auch "mit nichts dazu versorget. Ja sie würde nie- "mals nur einmal daran gedacht haben: wenn "ihre Verwandten, auf die von ihr selbst vorge- "schlagene Vermittelung, ihr frey gelassen hät- "ten, dem Manne zu entsagen, den sie nicht "hassete, damit sie des Mannes, den sie wirklich "haßte, los werden möchte.
"Es reizte meinen Ehrgeiz ich gestehe es, "daß ich mich so wenig auf die Kraft des Ein- "drucks, welchen ich nach meiner Eitelkeit in ei- "nem so zärtlichen Herzen gemacht zu haben hof- "fete, verlassen konnte: und in meinen ärgsten "Ränken gegen sie, munterte ich mich selbst da- "mit auf, daß ich kein Vertrauen dabey mis- "brauchte; denn sie hatte gar keines zu meiner "Ehre.
"Es würde mehr, als ein Wunderwerk ge- "wesen seyn: wenn sie den Uebeln entgangen wä- "re, die sie gelitten hat. Jhre Wachsamkeit
"machte,
„ſolche beſtaͤndig gleichmaͤßige Proben derſelben „gegeben haͤtte, oder koͤnnte gegeben haben. „Denn in ihrer ganzen Auffuͤhrung hat ſie ſich „gleich weit uͤber Verſuchung, und Raͤnke, und, „ich haͤtte beynahe geſagt, uͤber menſchliche „Schwachheit erhaben bewieſen.
„Der Schritt, den ſie gethan, und ſich ſo „frey zu einem Vorwurfe macht, war in Wahr- „heit erzwungen, wie ſie ihn nennet. Denn „ob ſie gleich ſo weit gereizet war, daß ſie daran „gedachte, mit mir davon zu gehen: ſo war „ſie es doch nicht willens, und hatte ſich auch „mit nichts dazu verſorget. Ja ſie wuͤrde nie- „mals nur einmal daran gedacht haben: wenn „ihre Verwandten, auf die von ihr ſelbſt vorge- „ſchlagene Vermittelung, ihr frey gelaſſen haͤt- „ten, dem Manne zu entſagen, den ſie nicht „haſſete, damit ſie des Mannes, den ſie wirklich „haßte, los werden moͤchte.
„Es reizte meinen Ehrgeiz ich geſtehe es, „daß ich mich ſo wenig auf die Kraft des Ein- „drucks, welchen ich nach meiner Eitelkeit in ei- „nem ſo zaͤrtlichen Herzen gemacht zu haben hof- „fete, verlaſſen konnte: und in meinen aͤrgſten „Raͤnken gegen ſie, munterte ich mich ſelbſt da- „mit auf, daß ich kein Vertrauen dabey mis- „brauchte; denn ſie hatte gar keines zu meiner „Ehre.
„Es wuͤrde mehr, als ein Wunderwerk ge- „weſen ſeyn: wenn ſie den Uebeln entgangen waͤ- „re, die ſie gelitten hat. Jhre Wachſamkeit
„machte,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0230"n="224"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>„ſolche beſtaͤndig gleichmaͤßige Proben derſelben<lb/>„<hirendition="#fr">gegeben haͤtte,</hi> oder <hirendition="#fr">koͤnnte</hi> gegeben haben.<lb/>„Denn in ihrer ganzen Auffuͤhrung hat ſie ſich<lb/>„gleich weit uͤber Verſuchung, und Raͤnke, und,<lb/>„ich haͤtte beynahe geſagt, uͤber menſchliche<lb/>„Schwachheit erhaben bewieſen.</p><lb/><p>„Der Schritt, den ſie gethan, und ſich ſo<lb/>„frey zu einem Vorwurfe macht, war in Wahr-<lb/>„heit <hirendition="#fr">erzwungen,</hi> wie ſie ihn nennet. Denn<lb/>„ob ſie gleich ſo weit gereizet war, daß ſie daran<lb/>„<hirendition="#fr">gedachte,</hi> mit mir davon zu gehen: ſo war<lb/>„ſie es doch nicht willens, und hatte ſich auch<lb/>„mit nichts dazu verſorget. Ja ſie wuͤrde nie-<lb/>„mals nur einmal daran <hirendition="#fr">gedacht</hi> haben: wenn<lb/>„ihre Verwandten, auf die von ihr ſelbſt vorge-<lb/>„ſchlagene Vermittelung, ihr frey gelaſſen haͤt-<lb/>„ten, dem Manne zu entſagen, den ſie <hirendition="#fr">nicht</hi><lb/>„haſſete, damit ſie des Mannes, den ſie <hirendition="#fr">wirklich</hi><lb/>„haßte, los werden moͤchte.</p><lb/><p>„Es reizte meinen Ehrgeiz ich geſtehe es,<lb/>„daß ich mich ſo wenig auf die Kraft des Ein-<lb/>„drucks, welchen ich nach meiner Eitelkeit in ei-<lb/>„nem ſo zaͤrtlichen Herzen gemacht zu haben hof-<lb/>„fete, verlaſſen konnte: und in meinen aͤrgſten<lb/>„Raͤnken gegen ſie, munterte ich mich ſelbſt da-<lb/>„mit auf, daß ich kein Vertrauen dabey mis-<lb/>„brauchte; denn ſie hatte gar keines zu meiner<lb/>„Ehre.</p><lb/><p>„Es wuͤrde mehr, als ein Wunderwerk ge-<lb/>„weſen ſeyn: wenn ſie den Uebeln entgangen waͤ-<lb/>„re, die ſie gelitten hat. Jhre Wachſamkeit<lb/><fwplace="bottom"type="catch">„machte,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[224/0230]
„ſolche beſtaͤndig gleichmaͤßige Proben derſelben
„gegeben haͤtte, oder koͤnnte gegeben haben.
„Denn in ihrer ganzen Auffuͤhrung hat ſie ſich
„gleich weit uͤber Verſuchung, und Raͤnke, und,
„ich haͤtte beynahe geſagt, uͤber menſchliche
„Schwachheit erhaben bewieſen.
„Der Schritt, den ſie gethan, und ſich ſo
„frey zu einem Vorwurfe macht, war in Wahr-
„heit erzwungen, wie ſie ihn nennet. Denn
„ob ſie gleich ſo weit gereizet war, daß ſie daran
„gedachte, mit mir davon zu gehen: ſo war
„ſie es doch nicht willens, und hatte ſich auch
„mit nichts dazu verſorget. Ja ſie wuͤrde nie-
„mals nur einmal daran gedacht haben: wenn
„ihre Verwandten, auf die von ihr ſelbſt vorge-
„ſchlagene Vermittelung, ihr frey gelaſſen haͤt-
„ten, dem Manne zu entſagen, den ſie nicht
„haſſete, damit ſie des Mannes, den ſie wirklich
„haßte, los werden moͤchte.
„Es reizte meinen Ehrgeiz ich geſtehe es,
„daß ich mich ſo wenig auf die Kraft des Ein-
„drucks, welchen ich nach meiner Eitelkeit in ei-
„nem ſo zaͤrtlichen Herzen gemacht zu haben hof-
„fete, verlaſſen konnte: und in meinen aͤrgſten
„Raͤnken gegen ſie, munterte ich mich ſelbſt da-
„mit auf, daß ich kein Vertrauen dabey mis-
„brauchte; denn ſie hatte gar keines zu meiner
„Ehre.
„Es wuͤrde mehr, als ein Wunderwerk ge-
„weſen ſeyn: wenn ſie den Uebeln entgangen waͤ-
„re, die ſie gelitten hat. Jhre Wachſamkeit
„machte,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/230>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.