Wir können sie nicht entschuldigt halten: wir sind Gerichtsbediente - - Wir haben einen schriftlichen Befehl gegen sie. Sie müssen mit uns gehen, und sollen schon erfahren, auf wessen Rüge.
Rüge! versetzte die unschuldige Schöne: ich weiß nicht, was ihr meynet. Jch bitte euch, Leute, legt keine Hand an mich - - Man wollte sie in die Sänfte heben - - Jch bin nicht ge- wohnt, so mit mir umgehn zu lassen! - - Jch habe nichts gethan, wodurch ich es verdiente.
Darauf bekam sie deinen gottlosen Kerl zu Gesichte - - O du Bösewicht, sprach sie, wo ist dein schändlicher Herr? - - Soll ich wieder sei- ne Gefangene seyn? Helft, lieben Leute!
Es hatte sich schon vorher ein Schwarm zu sammlen angefangen.
Mein Herr ist auf dem Lande, Madame, viele Meilen von hier. Wenn sie sich nur belie- ben lassen, mit diesen Leuten zu gehen: so werden sie ihnen mit aller Höflichkeit begegnen.
Das Volk hatte größtentheils Mitleiden mit ihr. Ein feines junges Frauenzimmer! - - Tausend Schade! sagten einige - - Einige we- nige machten unterdessen schändliche und ärger- liche Anmerkungen. Ein ansehnlicher Mann aber schlug sich ins Mittel, und verlangte die Vollmacht der Leute zu sehen.
Sie zeigten ihm dieselbe. Jst ihr Name Clarissa Harlowe, Madame? fragte der Herr.
Ja,
Wir koͤnnen ſie nicht entſchuldigt halten: wir ſind Gerichtsbediente ‒ ‒ Wir haben einen ſchriftlichen Befehl gegen ſie. Sie muͤſſen mit uns gehen, und ſollen ſchon erfahren, auf weſſen Ruͤge.
Ruͤge! verſetzte die unſchuldige Schoͤne: ich weiß nicht, was ihr meynet. Jch bitte euch, Leute, legt keine Hand an mich ‒ ‒ Man wollte ſie in die Saͤnfte heben ‒ ‒ Jch bin nicht ge- wohnt, ſo mit mir umgehn zu laſſen! ‒ ‒ Jch habe nichts gethan, wodurch ich es verdiente.
Darauf bekam ſie deinen gottloſen Kerl zu Geſichte ‒ ‒ O du Boͤſewicht, ſprach ſie, wo iſt dein ſchaͤndlicher Herr? ‒ ‒ Soll ich wieder ſei- ne Gefangene ſeyn? Helft, lieben Leute!
Es hatte ſich ſchon vorher ein Schwarm zu ſammlen angefangen.
Mein Herr iſt auf dem Lande, Madame, viele Meilen von hier. Wenn ſie ſich nur belie- ben laſſen, mit dieſen Leuten zu gehen: ſo werden ſie ihnen mit aller Hoͤflichkeit begegnen.
Das Volk hatte groͤßtentheils Mitleiden mit ihr. Ein feines junges Frauenzimmer! ‒ ‒ Tauſend Schade! ſagten einige ‒ ‒ Einige we- nige machten unterdeſſen ſchaͤndliche und aͤrger- liche Anmerkungen. Ein anſehnlicher Mann aber ſchlug ſich ins Mittel, und verlangte die Vollmacht der Leute zu ſehen.
Sie zeigten ihm dieſelbe. Jſt ihr Name Clariſſa Harlowe, Madame? fragte der Herr.
Ja,
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Wir koͤnnen ſie nicht entſchuldigt halten: wir
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ſchriftlichen Befehl gegen ſie. Sie muͤſſen mit
uns gehen, und ſollen ſchon erfahren, auf weſſen
Ruͤge.
Ruͤge! verſetzte die unſchuldige Schoͤne:
ich weiß nicht, was ihr meynet. Jch bitte euch,
Leute, legt keine Hand an mich ‒ ‒ Man wollte
ſie in die Saͤnfte heben ‒ ‒ Jch bin nicht ge-
wohnt, ſo mit mir umgehn zu laſſen! ‒ ‒ Jch
habe nichts gethan, wodurch ich es verdiente.
Darauf bekam ſie deinen gottloſen Kerl zu
Geſichte ‒ ‒ O du Boͤſewicht, ſprach ſie, wo iſt
dein ſchaͤndlicher Herr? ‒ ‒ Soll ich wieder ſei-
ne Gefangene ſeyn? Helft, lieben Leute!
Es hatte ſich ſchon vorher ein Schwarm zu
ſammlen angefangen.
Mein Herr iſt auf dem Lande, Madame,
viele Meilen von hier. Wenn ſie ſich nur belie-
ben laſſen, mit dieſen Leuten zu gehen: ſo werden
ſie ihnen mit aller Hoͤflichkeit begegnen.
Das Volk hatte groͤßtentheils Mitleiden mit
ihr. Ein feines junges Frauenzimmer! ‒ ‒
Tauſend Schade! ſagten einige ‒ ‒ Einige we-
nige machten unterdeſſen ſchaͤndliche und aͤrger-
liche Anmerkungen. Ein anſehnlicher Mann
aber ſchlug ſich ins Mittel, und verlangte die
Vollmacht der Leute zu ſehen.
Sie zeigten ihm dieſelbe. Jſt ihr Name
Clariſſa Harlowe, Madame? fragte der Herr.
Ja,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/280>, abgerufen am 22.11.2024.
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