Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



Jedoch redete sie es mit einem gedultigen Gemü-
the, als wenn sie ihre Schmerzen fühlte.

Das vermessene Weibsbild ging weg, und
verordnete vor ihren Ohren, daß sie ihr sehr höf-
lich begegnen, und nichts mangeln lassen sollten.
Nun hätte sie, gestand sie mir, ihren gewünschten
Sieg über diese hochmüthige Schöne, die gegen
sie alle in ihrem eignen Hause so fremde und vor-
nehm gethan.

Was denkst du hievon, Lovelace! - -
Der Sieg dieses nichtswürdigen Weibsbil-
des war über eine Clarissa.

Um sechse, des Abends, nöthigte sie Rowlands
Weib, daß sie Thee trinken möchte. Sie wollte
lieber ein Glaß Wasser haben, sagte sie: denn
ihre Zunge wollte ihr beynahe an dem Gaumen
kleben.

Das Weib brachte ihr ein Glaß, und etwas
Brodt und Butter. Sie versuchte das letztere zu
kosten: aber konnte es nicht niederschlucken. Al-
lein das Wasser trank sie mit heißer Begierde,
und schlug ihre Augen in Dankbarkeit dafür in
die Höhe!!!

Die göttliche Clarissa, Lovelace - - so
weit gebracht, daß sie sich über einen Be-
cher kalten Wassers freuen muß! - - Durch
wen so weit gebracht!

Um neun Uhr fragte sie, ob jemand bey ihr
schlafen sollte?

Jhre Magd; wo es ihr gefällig wäre: oder,
weil sie so schwach und krank wäre, sollte das

Mägd-



Jedoch redete ſie es mit einem gedultigen Gemuͤ-
the, als wenn ſie ihre Schmerzen fuͤhlte.

Das vermeſſene Weibsbild ging weg, und
verordnete vor ihren Ohren, daß ſie ihr ſehr hoͤf-
lich begegnen, und nichts mangeln laſſen ſollten.
Nun haͤtte ſie, geſtand ſie mir, ihren gewuͤnſchten
Sieg uͤber dieſe hochmuͤthige Schoͤne, die gegen
ſie alle in ihrem eignen Hauſe ſo fremde und vor-
nehm gethan.

Was denkſt du hievon, Lovelace! ‒ ‒
Der Sieg dieſes nichtswuͤrdigen Weibsbil-
des war uͤber eine Clariſſa.

Um ſechſe, des Abends, noͤthigte ſie Rowlands
Weib, daß ſie Thee trinken moͤchte. Sie wollte
lieber ein Glaß Waſſer haben, ſagte ſie: denn
ihre Zunge wollte ihr beynahe an dem Gaumen
kleben.

Das Weib brachte ihr ein Glaß, und etwas
Brodt und Butter. Sie verſuchte das letztere zu
koſten: aber konnte es nicht niederſchlucken. Al-
lein das Waſſer trank ſie mit heißer Begierde,
und ſchlug ihre Augen in Dankbarkeit dafuͤr in
die Hoͤhe!!!

Die goͤttliche Clariſſa, Lovelace ‒ ‒ ſo
weit gebracht, daß ſie ſich uͤber einen Be-
cher kalten Waſſers freuen muß! ‒ ‒ Durch
wen ſo weit gebracht!

Um neun Uhr fragte ſie, ob jemand bey ihr
ſchlafen ſollte?

Jhre Magd; wo es ihr gefaͤllig waͤre: oder,
weil ſie ſo ſchwach und krank waͤre, ſollte das

Maͤgd-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0288" n="282"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Jedoch redete &#x017F;ie es mit einem gedultigen Gemu&#x0364;-<lb/>
the, als wenn &#x017F;ie ihre Schmerzen fu&#x0364;hlte.</p><lb/>
          <p>Das verme&#x017F;&#x017F;ene Weibsbild ging weg, und<lb/>
verordnete vor ihren Ohren, daß &#x017F;ie ihr &#x017F;ehr ho&#x0364;f-<lb/>
lich begegnen, und nichts mangeln la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollten.<lb/>
Nun ha&#x0364;tte &#x017F;ie, ge&#x017F;tand &#x017F;ie mir, ihren gewu&#x0364;n&#x017F;chten<lb/>
Sieg u&#x0364;ber die&#x017F;e hochmu&#x0364;thige Scho&#x0364;ne, die gegen<lb/>
&#x017F;ie alle in ihrem eignen Hau&#x017F;e &#x017F;o fremde und vor-<lb/>
nehm gethan.</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#fr">Was denk&#x017F;t du hievon, Lovelace! &#x2012; &#x2012;<lb/>
Der Sieg die&#x017F;es nichtswu&#x0364;rdigen Weibsbil-<lb/>
des war u&#x0364;ber eine Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi> </p><lb/>
          <p>Um &#x017F;ech&#x017F;e, des Abends, no&#x0364;thigte &#x017F;ie Rowlands<lb/>
Weib, daß &#x017F;ie Thee trinken mo&#x0364;chte. Sie wollte<lb/>
lieber ein Glaß Wa&#x017F;&#x017F;er haben, &#x017F;agte &#x017F;ie: denn<lb/>
ihre Zunge wollte ihr beynahe an dem Gaumen<lb/>
kleben.</p><lb/>
          <p>Das Weib brachte ihr ein Glaß, und etwas<lb/>
Brodt und Butter. Sie ver&#x017F;uchte das letztere zu<lb/>
ko&#x017F;ten: aber konnte es nicht nieder&#x017F;chlucken. Al-<lb/>
lein das Wa&#x017F;&#x017F;er trank &#x017F;ie mit heißer Begierde,<lb/>
und &#x017F;chlug ihre Augen in Dankbarkeit dafu&#x0364;r in<lb/>
die Ho&#x0364;he!!!</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#fr">Die go&#x0364;ttliche Clari&#x017F;&#x017F;a, Lovelace &#x2012; &#x2012; &#x017F;o<lb/>
weit gebracht, daß &#x017F;ie &#x017F;ich u&#x0364;ber einen Be-<lb/>
cher kalten Wa&#x017F;&#x017F;ers freuen muß! &#x2012; &#x2012; Durch<lb/>
wen &#x017F;o weit gebracht!</hi> </p><lb/>
          <p>Um neun Uhr fragte &#x017F;ie, ob jemand bey ihr<lb/>
&#x017F;chlafen &#x017F;ollte?</p><lb/>
          <p>Jhre Magd; wo es ihr gefa&#x0364;llig wa&#x0364;re: oder,<lb/>
weil &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;chwach und krank wa&#x0364;re, &#x017F;ollte das<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ma&#x0364;gd-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0288] Jedoch redete ſie es mit einem gedultigen Gemuͤ- the, als wenn ſie ihre Schmerzen fuͤhlte. Das vermeſſene Weibsbild ging weg, und verordnete vor ihren Ohren, daß ſie ihr ſehr hoͤf- lich begegnen, und nichts mangeln laſſen ſollten. Nun haͤtte ſie, geſtand ſie mir, ihren gewuͤnſchten Sieg uͤber dieſe hochmuͤthige Schoͤne, die gegen ſie alle in ihrem eignen Hauſe ſo fremde und vor- nehm gethan. Was denkſt du hievon, Lovelace! ‒ ‒ Der Sieg dieſes nichtswuͤrdigen Weibsbil- des war uͤber eine Clariſſa. Um ſechſe, des Abends, noͤthigte ſie Rowlands Weib, daß ſie Thee trinken moͤchte. Sie wollte lieber ein Glaß Waſſer haben, ſagte ſie: denn ihre Zunge wollte ihr beynahe an dem Gaumen kleben. Das Weib brachte ihr ein Glaß, und etwas Brodt und Butter. Sie verſuchte das letztere zu koſten: aber konnte es nicht niederſchlucken. Al- lein das Waſſer trank ſie mit heißer Begierde, und ſchlug ihre Augen in Dankbarkeit dafuͤr in die Hoͤhe!!! Die goͤttliche Clariſſa, Lovelace ‒ ‒ ſo weit gebracht, daß ſie ſich uͤber einen Be- cher kalten Waſſers freuen muß! ‒ ‒ Durch wen ſo weit gebracht! Um neun Uhr fragte ſie, ob jemand bey ihr ſchlafen ſollte? Jhre Magd; wo es ihr gefaͤllig waͤre: oder, weil ſie ſo ſchwach und krank waͤre, ſollte das Maͤgd-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/288
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/288>, abgerufen am 22.11.2024.