letztern los seyn will: und gleichwohl hat er nicht mehr Munterkeit genug, sich wider sie einzulas- sen. Sein Haus ist Thomasinens Haus, nicht sein. Er ist seit vierzehn Tagen nicht in dem- selben gewesen. Er irret von einem Wirthshau- se zum andern herum. Er geht in ein jedes nur in der Absicht, etwas weniges zu sich zu nehmen: und bleibt hernach doch zween oder drey Tage da, ohne daß er wieder wegkommen kann; und weiß kaum, zu welchem er alsdenn zuerst gehen soll. Seine Krankheit ist in ihm: und er kann ihr nicht entlaufen.
Jhre Jungen; vormals dachte er, sie wären sein; sind verwegen genug, ihn in seinem eignen Hause, wie sie bey ihm vorbeygehen, mit der Schulter fortzuschieben. Da sie es mit der Mut- ter halten: so jagen sie ihn gewissermaßen hin- aus, und schwelgen, in seiner Abwesenheit, auf den Ueberrest seines geringe gewordenen Vermö- gens los. Jhre Mutter, die vormals so zärtlich, so demüthig, so gefällig war, daß wir ihn alle glücklich priesen, und seine Lebensart für etwas er- wünschtes hielten, ist nun so frech, so vermessen, daß er nicht mit ihr streiten kann, ohne seiner Gesundheit unsäglichen Schaden zu thun. Also ist es mit ihm so weit gekommen, daß er mit ei- ner kleinmüthigen Vertheidigung, die kaum eine Vertheidigung ist, zufrieden seyn muß. - - Wie weit heißt das zurückgekommen, für ein Herz, das so viele Jahre als angreiffender Theil Krieg geführet, und sich nicht darum be-
küm-
letztern los ſeyn will: und gleichwohl hat er nicht mehr Munterkeit genug, ſich wider ſie einzulaſ- ſen. Sein Haus iſt Thomaſinens Haus, nicht ſein. Er iſt ſeit vierzehn Tagen nicht in dem- ſelben geweſen. Er irret von einem Wirthshau- ſe zum andern herum. Er geht in ein jedes nur in der Abſicht, etwas weniges zu ſich zu nehmen: und bleibt hernach doch zween oder drey Tage da, ohne daß er wieder wegkommen kann; und weiß kaum, zu welchem er alsdenn zuerſt gehen ſoll. Seine Krankheit iſt in ihm: und er kann ihr nicht entlaufen.
Jhre Jungen; vormals dachte er, ſie waͤren ſein; ſind verwegen genug, ihn in ſeinem eignen Hauſe, wie ſie bey ihm vorbeygehen, mit der Schulter fortzuſchieben. Da ſie es mit der Mut- ter halten: ſo jagen ſie ihn gewiſſermaßen hin- aus, und ſchwelgen, in ſeiner Abweſenheit, auf den Ueberreſt ſeines geringe gewordenen Vermoͤ- gens los. Jhre Mutter, die vormals ſo zaͤrtlich, ſo demuͤthig, ſo gefaͤllig war, daß wir ihn alle gluͤcklich prieſen, und ſeine Lebensart fuͤr etwas er- wuͤnſchtes hielten, iſt nun ſo frech, ſo vermeſſen, daß er nicht mit ihr ſtreiten kann, ohne ſeiner Geſundheit unſaͤglichen Schaden zu thun. Alſo iſt es mit ihm ſo weit gekommen, daß er mit ei- ner kleinmuͤthigen Vertheidigung, die kaum eine Vertheidigung iſt, zufrieden ſeyn muß. ‒ ‒ Wie weit heißt das zuruͤckgekommen, fuͤr ein Herz, das ſo viele Jahre als angreiffender Theil Krieg gefuͤhret, und ſich nicht darum be-
kuͤm-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0400"n="394"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
letztern los ſeyn will: und gleichwohl hat er nicht<lb/>
mehr Munterkeit genug, ſich wider ſie einzulaſ-<lb/>ſen. Sein Haus iſt Thomaſinens Haus, nicht<lb/>ſein. Er iſt ſeit vierzehn Tagen nicht in dem-<lb/>ſelben geweſen. Er irret von einem Wirthshau-<lb/>ſe zum andern herum. Er geht in ein jedes nur<lb/>
in der Abſicht, etwas weniges zu ſich zu nehmen:<lb/>
und bleibt hernach doch zween oder drey Tage<lb/>
da, ohne daß er wieder wegkommen kann; und<lb/>
weiß kaum, zu welchem er alsdenn zuerſt gehen<lb/>ſoll. Seine Krankheit iſt in ihm: und er kann<lb/>
ihr nicht entlaufen.</p><lb/><p>Jhre Jungen; vormals dachte er, ſie waͤren<lb/>ſein; ſind verwegen genug, ihn in ſeinem eignen<lb/>
Hauſe, wie ſie bey ihm vorbeygehen, mit der<lb/>
Schulter fortzuſchieben. Da ſie es mit der Mut-<lb/>
ter halten: ſo jagen ſie ihn gewiſſermaßen hin-<lb/>
aus, und ſchwelgen, in ſeiner Abweſenheit, auf<lb/>
den Ueberreſt ſeines geringe gewordenen Vermoͤ-<lb/>
gens los. Jhre Mutter, die vormals ſo zaͤrtlich,<lb/>ſo demuͤthig, ſo gefaͤllig war, daß wir ihn alle<lb/>
gluͤcklich prieſen, und ſeine Lebensart fuͤr etwas er-<lb/>
wuͤnſchtes hielten, iſt nun ſo frech, ſo vermeſſen,<lb/>
daß er nicht mit ihr ſtreiten kann, ohne ſeiner<lb/>
Geſundheit unſaͤglichen Schaden zu thun. Alſo<lb/>
iſt es mit ihm ſo weit gekommen, daß er mit ei-<lb/>
ner kleinmuͤthigen Vertheidigung, die <hirendition="#fr">kaum eine<lb/>
Vertheidigung</hi> iſt, zufrieden ſeyn muß. ‒‒<lb/>
Wie weit heißt das zuruͤckgekommen, fuͤr ein<lb/>
Herz, das ſo viele Jahre als <hirendition="#fr">angreiffender<lb/>
Theil</hi> Krieg gefuͤhret, und ſich nicht darum be-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">kuͤm-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[394/0400]
letztern los ſeyn will: und gleichwohl hat er nicht
mehr Munterkeit genug, ſich wider ſie einzulaſ-
ſen. Sein Haus iſt Thomaſinens Haus, nicht
ſein. Er iſt ſeit vierzehn Tagen nicht in dem-
ſelben geweſen. Er irret von einem Wirthshau-
ſe zum andern herum. Er geht in ein jedes nur
in der Abſicht, etwas weniges zu ſich zu nehmen:
und bleibt hernach doch zween oder drey Tage
da, ohne daß er wieder wegkommen kann; und
weiß kaum, zu welchem er alsdenn zuerſt gehen
ſoll. Seine Krankheit iſt in ihm: und er kann
ihr nicht entlaufen.
Jhre Jungen; vormals dachte er, ſie waͤren
ſein; ſind verwegen genug, ihn in ſeinem eignen
Hauſe, wie ſie bey ihm vorbeygehen, mit der
Schulter fortzuſchieben. Da ſie es mit der Mut-
ter halten: ſo jagen ſie ihn gewiſſermaßen hin-
aus, und ſchwelgen, in ſeiner Abweſenheit, auf
den Ueberreſt ſeines geringe gewordenen Vermoͤ-
gens los. Jhre Mutter, die vormals ſo zaͤrtlich,
ſo demuͤthig, ſo gefaͤllig war, daß wir ihn alle
gluͤcklich prieſen, und ſeine Lebensart fuͤr etwas er-
wuͤnſchtes hielten, iſt nun ſo frech, ſo vermeſſen,
daß er nicht mit ihr ſtreiten kann, ohne ſeiner
Geſundheit unſaͤglichen Schaden zu thun. Alſo
iſt es mit ihm ſo weit gekommen, daß er mit ei-
ner kleinmuͤthigen Vertheidigung, die kaum eine
Vertheidigung iſt, zufrieden ſeyn muß. ‒ ‒
Wie weit heißt das zuruͤckgekommen, fuͤr ein
Herz, das ſo viele Jahre als angreiffender
Theil Krieg gefuͤhret, und ſich nicht darum be-
kuͤm-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/400>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.