Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


Jch verzeihe ihnen, Herr Hickmann, Allein,
gesetzt, es wäre so: denken sie denn, daß niemals
ein Frauenzimmer durch Wein, oder dergleichen,
berückt sey? - - Denken sie, daß die vorsichtig-
ste Weibsperson von der Welt nicht durch ein
stärkeres Getränke, statt eines schwächern, wenn
sie durstig gewesen, nach einer Ermüdung bey die-
sem sehr heißen Wetter, betrogen werden könnte?
Und denken sie, daß, wenn sie auf die Art in ei-
nen tiefen Schlaf gefallen, sie das einzige Frauen-
zimmer sey, bey dem man sich eines solchen Vor-
theils bedient habe?

Auch so, wie sie es vorstellen, Herr Lovelace,
ist die Sache nicht geringe. Aber ich besorge,
daß sie um ein großes schwerer sey, als sie diesel-
be machen.

Was haben sie für Ursache, mein Herr, dieß
zu besorgen? Was hat die Fräulein gesagt?
Haben sie die Güte, es mir zu eröffnen. Jch
habe Ursache, so ernstlich darauf zu dringen.

Die Fräulein Howe weiß noch selbst nicht
alles, mein Herr. Die Fräulein verspricht, ihr
zu gelegner Zeit, wo sie lebet, alle Umstände zu
melden: aber sie hat schon genug gesagt, zu bewei-
sen, daß es eine sehr arge Sache sey.

Es ist mir lieb, daß die Fräulein Harlowe
noch nicht von allen Umständen genaue Nach-
richt gegeben hat. Weil sie es nicht gethan: so
können sie der Fräulein Howe von mir vermel-
den, daß weder sie, noch irgend ein Frauenzim-
mer auf der Welt, tugendhafter seyn kann, als

die


Jch verzeihe ihnen, Herr Hickmann, Allein,
geſetzt, es waͤre ſo: denken ſie denn, daß niemals
ein Frauenzimmer durch Wein, oder dergleichen,
beruͤckt ſey? ‒ ‒ Denken ſie, daß die vorſichtig-
ſte Weibsperſon von der Welt nicht durch ein
ſtaͤrkeres Getraͤnke, ſtatt eines ſchwaͤchern, wenn
ſie durſtig geweſen, nach einer Ermuͤdung bey die-
ſem ſehr heißen Wetter, betrogen werden koͤnnte?
Und denken ſie, daß, wenn ſie auf die Art in ei-
nen tiefen Schlaf gefallen, ſie das einzige Frauen-
zimmer ſey, bey dem man ſich eines ſolchen Vor-
theils bedient habe?

Auch ſo, wie ſie es vorſtellen, Herr Lovelace,
iſt die Sache nicht geringe. Aber ich beſorge,
daß ſie um ein großes ſchwerer ſey, als ſie dieſel-
be machen.

Was haben ſie fuͤr Urſache, mein Herr, dieß
zu beſorgen? Was hat die Fraͤulein geſagt?
Haben ſie die Guͤte, es mir zu eroͤffnen. Jch
habe Urſache, ſo ernſtlich darauf zu dringen.

Die Fraͤulein Howe weiß noch ſelbſt nicht
alles, mein Herr. Die Fraͤulein verſpricht, ihr
zu gelegner Zeit, wo ſie lebet, alle Umſtaͤnde zu
melden: aber ſie hat ſchon genug geſagt, zu bewei-
ſen, daß es eine ſehr arge Sache ſey.

Es iſt mir lieb, daß die Fraͤulein Harlowe
noch nicht von allen Umſtaͤnden genaue Nach-
richt gegeben hat. Weil ſie es nicht gethan: ſo
koͤnnen ſie der Fraͤulein Howe von mir vermel-
den, daß weder ſie, noch irgend ein Frauenzim-
mer auf der Welt, tugendhafter ſeyn kann, als

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0420" n="414"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jch verzeihe ihnen, Herr Hickmann, Allein,<lb/>
ge&#x017F;etzt, es wa&#x0364;re &#x017F;o: denken &#x017F;ie denn, daß niemals<lb/>
ein Frauenzimmer durch Wein, oder dergleichen,<lb/>
beru&#x0364;ckt &#x017F;ey? &#x2012; &#x2012; Denken &#x017F;ie, daß die vor&#x017F;ichtig-<lb/>
&#x017F;te Weibsper&#x017F;on von der Welt nicht durch ein<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rkeres Getra&#x0364;nke, &#x017F;tatt eines &#x017F;chwa&#x0364;chern, wenn<lb/>
&#x017F;ie dur&#x017F;tig gewe&#x017F;en, nach einer Ermu&#x0364;dung bey die-<lb/>
&#x017F;em &#x017F;ehr heißen Wetter, betrogen werden ko&#x0364;nnte?<lb/>
Und denken &#x017F;ie, daß, wenn &#x017F;ie auf die Art in ei-<lb/>
nen tiefen Schlaf gefallen, &#x017F;ie das einzige Frauen-<lb/>
zimmer &#x017F;ey, bey dem man &#x017F;ich eines &#x017F;olchen Vor-<lb/>
theils bedient habe?</p><lb/>
          <p>Auch &#x017F;o, wie &#x017F;ie es vor&#x017F;tellen, Herr Lovelace,<lb/>
i&#x017F;t die Sache nicht geringe. Aber ich be&#x017F;orge,<lb/>
daß &#x017F;ie um ein großes &#x017F;chwerer &#x017F;ey, als &#x017F;ie die&#x017F;el-<lb/>
be machen.</p><lb/>
          <p>Was haben &#x017F;ie fu&#x0364;r Ur&#x017F;ache, mein Herr, dieß<lb/>
zu be&#x017F;orgen? Was hat die Fra&#x0364;ulein ge&#x017F;agt?<lb/>
Haben &#x017F;ie die Gu&#x0364;te, es mir zu ero&#x0364;ffnen. Jch<lb/>
habe <hi rendition="#fr">Ur&#x017F;ache,</hi> &#x017F;o ern&#x017F;tlich darauf zu dringen.</p><lb/>
          <p>Die Fra&#x0364;ulein Howe weiß noch &#x017F;elb&#x017F;t nicht<lb/>
alles, mein Herr. Die Fra&#x0364;ulein ver&#x017F;pricht, ihr<lb/>
zu gelegner Zeit, wo &#x017F;ie lebet, alle Um&#x017F;ta&#x0364;nde zu<lb/>
melden: aber &#x017F;ie hat &#x017F;chon genug ge&#x017F;agt, zu bewei-<lb/>
&#x017F;en, daß es eine &#x017F;ehr arge Sache &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t mir lieb, daß die Fra&#x0364;ulein Harlowe<lb/>
noch nicht von allen Um&#x017F;ta&#x0364;nden genaue Nach-<lb/>
richt gegeben hat. Weil &#x017F;ie es nicht gethan: &#x017F;o<lb/>
ko&#x0364;nnen &#x017F;ie der Fra&#x0364;ulein Howe von mir vermel-<lb/>
den, daß weder &#x017F;ie, noch irgend ein Frauenzim-<lb/>
mer auf der Welt, tugendhafter &#x017F;eyn kann, als<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[414/0420] Jch verzeihe ihnen, Herr Hickmann, Allein, geſetzt, es waͤre ſo: denken ſie denn, daß niemals ein Frauenzimmer durch Wein, oder dergleichen, beruͤckt ſey? ‒ ‒ Denken ſie, daß die vorſichtig- ſte Weibsperſon von der Welt nicht durch ein ſtaͤrkeres Getraͤnke, ſtatt eines ſchwaͤchern, wenn ſie durſtig geweſen, nach einer Ermuͤdung bey die- ſem ſehr heißen Wetter, betrogen werden koͤnnte? Und denken ſie, daß, wenn ſie auf die Art in ei- nen tiefen Schlaf gefallen, ſie das einzige Frauen- zimmer ſey, bey dem man ſich eines ſolchen Vor- theils bedient habe? Auch ſo, wie ſie es vorſtellen, Herr Lovelace, iſt die Sache nicht geringe. Aber ich beſorge, daß ſie um ein großes ſchwerer ſey, als ſie dieſel- be machen. Was haben ſie fuͤr Urſache, mein Herr, dieß zu beſorgen? Was hat die Fraͤulein geſagt? Haben ſie die Guͤte, es mir zu eroͤffnen. Jch habe Urſache, ſo ernſtlich darauf zu dringen. Die Fraͤulein Howe weiß noch ſelbſt nicht alles, mein Herr. Die Fraͤulein verſpricht, ihr zu gelegner Zeit, wo ſie lebet, alle Umſtaͤnde zu melden: aber ſie hat ſchon genug geſagt, zu bewei- ſen, daß es eine ſehr arge Sache ſey. Es iſt mir lieb, daß die Fraͤulein Harlowe noch nicht von allen Umſtaͤnden genaue Nach- richt gegeben hat. Weil ſie es nicht gethan: ſo koͤnnen ſie der Fraͤulein Howe von mir vermel- den, daß weder ſie, noch irgend ein Frauenzim- mer auf der Welt, tugendhafter ſeyn kann, als die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/420
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/420>, abgerufen am 17.09.2024.