Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


"Jch habe so wohl eine vortreffliche Mutter,
"als einen vortrefflichen Vater - - Eine Frau
"von ansehnlichem Herkommen und gutem Ver-
"stande - - Eines bessern Kindes würdig - -
"Sie liebten mich beyde ungemein.

"Jch habe zween rechtschaffene Onkels:
"Männer von großem Vermögen; sehr für die
"Ehre ihrer Familie besorgt, welche ich verletzet
"habe.

"Jch war ihr inniges Vergnügen: und mit
"ihren und meines Vaters Wohnungen hatte ich
"drey Häuser, die ich meine eigne nennen konnte.
"Denn sie waren gewohnt mich wechselsweise
"bey sich zu haben, und sich beynahe gütig um
"mich zu streiten. Jch war also zween Monate
"im Jahr in des einen, zween Monate in des
"andern, sechs Monate in meines Vaters
"Hause, und zween Monate bey andern von mei-
"nen werthen Freunden, die sich selbst durch
"mich glücklich schätzten. So oft ich in des ei-
"nem Hause war: ward ich von allen übrigen,
"welche nach meiner Rückkehr zu ihnen verlang-
"te, mit Briefen überhäufet.

"Kurz; jedermann liebte mich. Die Armen
"- - Jch war gewohnt, ihre Herzen zu erfreuen.
"Jch verschloß meine Hand niemals vor einem
"Dürftigen - - Aber nun bin ich selbst arm!

"So, Fr. Smithen, so, Fr. Lovick, bin ich
"nicht verheyrathet. Es ist nicht mehr, als
"recht und billig, daß ich ihnen dieß sage. Jch
"bin nunmehr in einem Stande der Erniedri-

"gung
F f 2


„Jch habe ſo wohl eine vortreffliche Mutter,
„als einen vortrefflichen Vater ‒ ‒ Eine Frau
„von anſehnlichem Herkommen und gutem Ver-
„ſtande ‒ ‒ Eines beſſern Kindes wuͤrdig ‒ ‒
„Sie liebten mich beyde ungemein.

„Jch habe zween rechtſchaffene Onkels:
„Maͤnner von großem Vermoͤgen; ſehr fuͤr die
„Ehre ihrer Familie beſorgt, welche ich verletzet
„habe.

„Jch war ihr inniges Vergnuͤgen: und mit
„ihren und meines Vaters Wohnungen hatte ich
„drey Haͤuſer, die ich meine eigne nennen konnte.
„Denn ſie waren gewohnt mich wechſelsweiſe
„bey ſich zu haben, und ſich beynahe guͤtig um
„mich zu ſtreiten. Jch war alſo zween Monate
„im Jahr in des einen, zween Monate in des
„andern, ſechs Monate in meines Vaters
„Hauſe, und zween Monate bey andern von mei-
„nen werthen Freunden, die ſich ſelbſt durch
„mich gluͤcklich ſchaͤtzten. So oft ich in des ei-
„nem Hauſe war: ward ich von allen uͤbrigen,
„welche nach meiner Ruͤckkehr zu ihnen verlang-
„te, mit Briefen uͤberhaͤufet.

„Kurz; jedermann liebte mich. Die Armen
„‒ ‒ Jch war gewohnt, ihre Herzen zu erfreuen.
„Jch verſchloß meine Hand niemals vor einem
„Duͤrftigen ‒ ‒ Aber nun bin ich ſelbſt arm!

„So, Fr. Smithen, ſo, Fr. Lovick, bin ich
nicht verheyrathet. Es iſt nicht mehr, als
„recht und billig, daß ich ihnen dieß ſage. Jch
„bin nunmehr in einem Stande der Erniedri-

„gung
F f 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0457" n="451"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>&#x201E;Jch habe &#x017F;o wohl eine vortreffliche Mutter,<lb/>
&#x201E;als einen vortrefflichen Vater &#x2012; &#x2012; Eine Frau<lb/>
&#x201E;von an&#x017F;ehnlichem Herkommen und gutem Ver-<lb/>
&#x201E;&#x017F;tande &#x2012; &#x2012; Eines be&#x017F;&#x017F;ern Kindes wu&#x0364;rdig &#x2012; &#x2012;<lb/>
&#x201E;Sie liebten mich beyde ungemein.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Jch habe zween recht&#x017F;chaffene Onkels:<lb/>
&#x201E;Ma&#x0364;nner von großem Vermo&#x0364;gen; &#x017F;ehr fu&#x0364;r die<lb/>
&#x201E;Ehre ihrer Familie be&#x017F;orgt, welche ich verletzet<lb/>
&#x201E;habe.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Jch war ihr inniges Vergnu&#x0364;gen: und mit<lb/>
&#x201E;ihren und meines Vaters Wohnungen hatte ich<lb/>
&#x201E;drey Ha&#x0364;u&#x017F;er, die ich meine eigne nennen konnte.<lb/>
&#x201E;Denn &#x017F;ie waren gewohnt mich wech&#x017F;elswei&#x017F;e<lb/>
&#x201E;bey &#x017F;ich zu haben, und &#x017F;ich beynahe gu&#x0364;tig um<lb/>
&#x201E;mich zu &#x017F;treiten. Jch war al&#x017F;o zween Monate<lb/>
&#x201E;im Jahr in des einen, zween Monate in des<lb/>
&#x201E;andern, &#x017F;echs Monate in meines Vaters<lb/>
&#x201E;Hau&#x017F;e, und zween Monate bey andern von mei-<lb/>
&#x201E;nen werthen Freunden, die &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t durch<lb/>
&#x201E;mich glu&#x0364;cklich &#x017F;cha&#x0364;tzten. So oft ich in des ei-<lb/>
&#x201E;nem Hau&#x017F;e war: ward ich von allen u&#x0364;brigen,<lb/>
&#x201E;welche nach meiner Ru&#x0364;ckkehr zu ihnen verlang-<lb/>
&#x201E;te, mit Briefen u&#x0364;berha&#x0364;ufet.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Kurz; jedermann liebte mich. Die Armen<lb/>
&#x201E;&#x2012; &#x2012; Jch war gewohnt, <hi rendition="#fr">ihre</hi> Herzen zu erfreuen.<lb/>
&#x201E;Jch ver&#x017F;chloß meine Hand niemals vor einem<lb/>
&#x201E;Du&#x0364;rftigen &#x2012; &#x2012; Aber nun bin ich &#x017F;elb&#x017F;t arm!</p><lb/>
          <p>&#x201E;So, Fr. Smithen, &#x017F;o, Fr. Lovick, bin ich<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">nicht</hi> verheyrathet. Es i&#x017F;t nicht mehr, als<lb/>
&#x201E;recht und billig, daß ich ihnen dieß &#x017F;age. Jch<lb/>
&#x201E;bin nunmehr in einem Stande der Erniedri-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F f 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201E;gung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[451/0457] „Jch habe ſo wohl eine vortreffliche Mutter, „als einen vortrefflichen Vater ‒ ‒ Eine Frau „von anſehnlichem Herkommen und gutem Ver- „ſtande ‒ ‒ Eines beſſern Kindes wuͤrdig ‒ ‒ „Sie liebten mich beyde ungemein. „Jch habe zween rechtſchaffene Onkels: „Maͤnner von großem Vermoͤgen; ſehr fuͤr die „Ehre ihrer Familie beſorgt, welche ich verletzet „habe. „Jch war ihr inniges Vergnuͤgen: und mit „ihren und meines Vaters Wohnungen hatte ich „drey Haͤuſer, die ich meine eigne nennen konnte. „Denn ſie waren gewohnt mich wechſelsweiſe „bey ſich zu haben, und ſich beynahe guͤtig um „mich zu ſtreiten. Jch war alſo zween Monate „im Jahr in des einen, zween Monate in des „andern, ſechs Monate in meines Vaters „Hauſe, und zween Monate bey andern von mei- „nen werthen Freunden, die ſich ſelbſt durch „mich gluͤcklich ſchaͤtzten. So oft ich in des ei- „nem Hauſe war: ward ich von allen uͤbrigen, „welche nach meiner Ruͤckkehr zu ihnen verlang- „te, mit Briefen uͤberhaͤufet. „Kurz; jedermann liebte mich. Die Armen „‒ ‒ Jch war gewohnt, ihre Herzen zu erfreuen. „Jch verſchloß meine Hand niemals vor einem „Duͤrftigen ‒ ‒ Aber nun bin ich ſelbſt arm! „So, Fr. Smithen, ſo, Fr. Lovick, bin ich „nicht verheyrathet. Es iſt nicht mehr, als „recht und billig, daß ich ihnen dieß ſage. Jch „bin nunmehr in einem Stande der Erniedri- „gung F f 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/457
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/457>, abgerufen am 22.11.2024.