Herrn Anton Harlowe, gesagt habe, mit dem ar- men gefallenen Engel Briefe zu wechseln - - Gewiß niemals ist wohl ein junges Frauenzim- mer dem, was wir uns von Engeln vorstellen, so wohl der Person, als dem Gemüthe nach, ähnlicher gewesen - - Aber nachdem ich ihres widerspenstigen Bezeigens müde geworden war; es ist mir leid, daß ich dieß von meinem eignen Kinde sagen muß: so ward ich genöthigt, es wieder geschehen zu lassen. Jn der That, sie be- stand so steif auf ihren Willen, daß mir bange war, es möchte auf einen Anfall von einer Krank- heit hinauslaufen: wie es nur allzu oft auf einen Anfall von störrischem Misvergnügen ausfiel.
Niemand, als Eltern selbst, weiß, was für Unruhe Kinder zuwege bringen. Diejenigen sind am glücklichsten, habe ich oft gedacht, wel- che keine haben. Und o Himmel! wie wenig lassen sich insbesondere diese aufgewachsene Mägd- chen regieren! - -
Jch glaube inzwischen, daß Sie nicht mehr solche Briefe von meiner Anna bekommen wer- den. Jch bin genöthigt worden, wegen Fräu- lein Clärchens Unpäßlichkeit; sie scheint aber recht krank zu seyn; Zwang bey ihr zu gebrau- chen: sonst würde sie nach London gelaufen seyn, ihr aufzuwarten. Dieß nennt sie die Pflicht ei- ner Freundinn: und vergißt, daß sie ihrer roma- nenmäßigen Freundschaft den schuldigen Gehor- sam gegen eine zärtliche und allzu gütige Mutter aufopfert.
Es
Herrn Anton Harlowe, geſagt habe, mit dem ar- men gefallenen Engel Briefe zu wechſeln ‒ ‒ Gewiß niemals iſt wohl ein junges Frauenzim- mer dem, was wir uns von Engeln vorſtellen, ſo wohl der Perſon, als dem Gemuͤthe nach, aͤhnlicher geweſen ‒ ‒ Aber nachdem ich ihres widerſpenſtigen Bezeigens muͤde geworden war; es iſt mir leid, daß ich dieß von meinem eignen Kinde ſagen muß: ſo ward ich genoͤthigt, es wieder geſchehen zu laſſen. Jn der That, ſie be- ſtand ſo ſteif auf ihren Willen, daß mir bange war, es moͤchte auf einen Anfall von einer Krank- heit hinauslaufen: wie es nur allzu oft auf einen Anfall von ſtoͤrriſchem Misvergnuͤgen ausfiel.
Niemand, als Eltern ſelbſt, weiß, was fuͤr Unruhe Kinder zuwege bringen. Diejenigen ſind am gluͤcklichſten, habe ich oft gedacht, wel- che keine haben. Und o Himmel! wie wenig laſſen ſich insbeſondere dieſe aufgewachſene Maͤgd- chen regieren! ‒ ‒
Jch glaube inzwiſchen, daß Sie nicht mehr ſolche Briefe von meiner Anna bekommen wer- den. Jch bin genoͤthigt worden, wegen Fraͤu- lein Claͤrchens Unpaͤßlichkeit; ſie ſcheint aber recht krank zu ſeyn; Zwang bey ihr zu gebrau- chen: ſonſt wuͤrde ſie nach London gelaufen ſeyn, ihr aufzuwarten. Dieß nennt ſie die Pflicht ei- ner Freundinn: und vergißt, daß ſie ihrer roma- nenmaͤßigen Freundſchaft den ſchuldigen Gehor- ſam gegen eine zaͤrtliche und allzu guͤtige Mutter aufopfert.
Es
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><floatingText><body><p><pbfacs="#f0478"n="472"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Herrn Anton Harlowe, geſagt habe, mit dem ar-<lb/>
men gefallenen Engel Briefe zu wechſeln ‒‒<lb/>
Gewiß niemals iſt wohl ein junges Frauenzim-<lb/>
mer dem, was wir uns von Engeln vorſtellen,<lb/>ſo wohl der Perſon, als dem Gemuͤthe nach,<lb/>
aͤhnlicher geweſen ‒‒ Aber nachdem ich ihres<lb/>
widerſpenſtigen Bezeigens muͤde geworden war;<lb/>
es iſt mir leid, daß ich dieß von meinem eignen<lb/>
Kinde ſagen muß: ſo ward ich genoͤthigt, es<lb/>
wieder geſchehen zu laſſen. Jn der That, ſie be-<lb/>ſtand ſo ſteif auf ihren Willen, daß mir bange<lb/>
war, es moͤchte auf einen Anfall von einer Krank-<lb/>
heit hinauslaufen: wie es nur allzu oft auf einen<lb/>
Anfall von ſtoͤrriſchem Misvergnuͤgen ausfiel.</p><lb/><p>Niemand, als Eltern ſelbſt, weiß, was fuͤr<lb/>
Unruhe Kinder zuwege bringen. Diejenigen<lb/>ſind am gluͤcklichſten, habe ich oft gedacht, wel-<lb/>
che keine haben. Und o Himmel! wie wenig<lb/>
laſſen ſich insbeſondere dieſe aufgewachſene Maͤgd-<lb/>
chen regieren! ‒‒</p><lb/><p>Jch glaube inzwiſchen, daß Sie nicht mehr<lb/>ſolche Briefe von meiner Anna bekommen wer-<lb/>
den. Jch bin genoͤthigt worden, wegen Fraͤu-<lb/>
lein Claͤrchens Unpaͤßlichkeit; ſie ſcheint aber<lb/>
recht krank zu ſeyn; Zwang bey ihr zu gebrau-<lb/>
chen: ſonſt wuͤrde ſie nach London gelaufen ſeyn,<lb/>
ihr aufzuwarten. Dieß nennt ſie die Pflicht ei-<lb/>
ner Freundinn: und vergißt, daß ſie ihrer roma-<lb/>
nenmaͤßigen Freundſchaft den ſchuldigen Gehor-<lb/>ſam gegen eine zaͤrtliche und allzu guͤtige Mutter<lb/>
aufopfert.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Es</fw><lb/></body></floatingText></div></div></body></text></TEI>
[472/0478]
Herrn Anton Harlowe, geſagt habe, mit dem ar-
men gefallenen Engel Briefe zu wechſeln ‒ ‒
Gewiß niemals iſt wohl ein junges Frauenzim-
mer dem, was wir uns von Engeln vorſtellen,
ſo wohl der Perſon, als dem Gemuͤthe nach,
aͤhnlicher geweſen ‒ ‒ Aber nachdem ich ihres
widerſpenſtigen Bezeigens muͤde geworden war;
es iſt mir leid, daß ich dieß von meinem eignen
Kinde ſagen muß: ſo ward ich genoͤthigt, es
wieder geſchehen zu laſſen. Jn der That, ſie be-
ſtand ſo ſteif auf ihren Willen, daß mir bange
war, es moͤchte auf einen Anfall von einer Krank-
heit hinauslaufen: wie es nur allzu oft auf einen
Anfall von ſtoͤrriſchem Misvergnuͤgen ausfiel.
Niemand, als Eltern ſelbſt, weiß, was fuͤr
Unruhe Kinder zuwege bringen. Diejenigen
ſind am gluͤcklichſten, habe ich oft gedacht, wel-
che keine haben. Und o Himmel! wie wenig
laſſen ſich insbeſondere dieſe aufgewachſene Maͤgd-
chen regieren! ‒ ‒
Jch glaube inzwiſchen, daß Sie nicht mehr
ſolche Briefe von meiner Anna bekommen wer-
den. Jch bin genoͤthigt worden, wegen Fraͤu-
lein Claͤrchens Unpaͤßlichkeit; ſie ſcheint aber
recht krank zu ſeyn; Zwang bey ihr zu gebrau-
chen: ſonſt wuͤrde ſie nach London gelaufen ſeyn,
ihr aufzuwarten. Dieß nennt ſie die Pflicht ei-
ner Freundinn: und vergißt, daß ſie ihrer roma-
nenmaͤßigen Freundſchaft den ſchuldigen Gehor-
ſam gegen eine zaͤrtliche und allzu guͤtige Mutter
aufopfert.
Es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/478>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.