Jch eilte zu Smithens Hause und bekam nur eine sehr mittelmäßige Nachricht von der Ge- sundheit der Fräulein. Jch ließ meine Empfeh- lung vermelden: und sie verlangte mich Nach- mittags zu sehen.
Frau Lovick erzählte mir, daß sie wirklich, nachdem ich am Sonnabend weggegangen wäre, einen von den besten Anzügen der Fräulein an eine adliche Frau verkauft hätte, welche ihre Wohlthäterinn ist, und ihn für eine Base erstan- den hat, die in Geschwindigkeit verheyrathet wer- den soll, und von ihr, als ihre künstige Erbinn ausgestattet wird. Die Fräulein machte sich so viel Bedenken, ob auch das Geld von euch, oder von mir käme, daß sie die Käuferinn selbst sehen wollte. Diese gestand gegen Frau Lovick, daß sie den Anzug von Kleidern um das halbe Geld unter seinem Werth kaufte. Jedoch bewunder- te sie die Fräulein, wie die Witwe sagt, als eine der liebenswürdigsten von ihrem Geschlechte: ob ihr Gewissen gleich zuließ, die Kleider so weit unten ihrem Preiße zu nehmen. Ja, weil ihr ein kleiner Wink von ihrer Geschichte gegeben war: so konnte sie sich der Thränen nicht erweh- ren, als sie ihren Kauf zu sich nahm.
Sie mag wohl eine gute Frau seyn. Frau Lovick sagt, daß sie es ist. Aber der Eigennutz ist ein verhaßtes und teuflisches Ding, welches einigen Leuten die grausamsten und schändlichsten Handlungen angenehm machet. Nichts desto weniger bin ich der Meynung, daß diejenigen,
welche
K k 5
Jch eilte zu Smithens Hauſe und bekam nur eine ſehr mittelmaͤßige Nachricht von der Ge- ſundheit der Fraͤulein. Jch ließ meine Empfeh- lung vermelden: und ſie verlangte mich Nach- mittags zu ſehen.
Frau Lovick erzaͤhlte mir, daß ſie wirklich, nachdem ich am Sonnabend weggegangen waͤre, einen von den beſten Anzuͤgen der Fraͤulein an eine adliche Frau verkauft haͤtte, welche ihre Wohlthaͤterinn iſt, und ihn fuͤr eine Baſe erſtan- den hat, die in Geſchwindigkeit verheyrathet wer- den ſoll, und von ihr, als ihre kuͤnſtige Erbinn ausgeſtattet wird. Die Fraͤulein machte ſich ſo viel Bedenken, ob auch das Geld von euch, oder von mir kaͤme, daß ſie die Kaͤuferinn ſelbſt ſehen wollte. Dieſe geſtand gegen Frau Lovick, daß ſie den Anzug von Kleidern um das halbe Geld unter ſeinem Werth kaufte. Jedoch bewunder- te ſie die Fraͤulein, wie die Witwe ſagt, als eine der liebenswuͤrdigſten von ihrem Geſchlechte: ob ihr Gewiſſen gleich zuließ, die Kleider ſo weit unten ihrem Preiße zu nehmen. Ja, weil ihr ein kleiner Wink von ihrer Geſchichte gegeben war: ſo konnte ſie ſich der Thraͤnen nicht erweh- ren, als ſie ihren Kauf zu ſich nahm.
Sie mag wohl eine gute Frau ſeyn. Frau Lovick ſagt, daß ſie es iſt. Aber der Eigennutz iſt ein verhaßtes und teufliſches Ding, welches einigen Leuten die grauſamſten und ſchaͤndlichſten Handlungen angenehm machet. Nichts deſto weniger bin ich der Meynung, daß diejenigen,
welche
K k 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0527"n="521"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jch eilte zu Smithens Hauſe und bekam nur<lb/>
eine ſehr mittelmaͤßige Nachricht von der Ge-<lb/>ſundheit der Fraͤulein. Jch ließ meine Empfeh-<lb/>
lung vermelden: und ſie verlangte mich Nach-<lb/>
mittags zu ſehen.</p><lb/><p>Frau Lovick erzaͤhlte mir, daß ſie wirklich,<lb/>
nachdem ich am Sonnabend weggegangen waͤre,<lb/>
einen von den beſten Anzuͤgen der Fraͤulein an<lb/>
eine adliche Frau verkauft haͤtte, welche ihre<lb/>
Wohlthaͤterinn iſt, und ihn fuͤr eine Baſe erſtan-<lb/>
den hat, die in Geſchwindigkeit verheyrathet wer-<lb/>
den ſoll, und von ihr, als ihre kuͤnſtige Erbinn<lb/>
ausgeſtattet wird. Die Fraͤulein machte ſich ſo<lb/>
viel Bedenken, ob auch das Geld von euch, oder<lb/>
von mir kaͤme, daß ſie die Kaͤuferinn ſelbſt ſehen<lb/>
wollte. Dieſe geſtand gegen Frau Lovick, daß<lb/>ſie den Anzug von Kleidern um das halbe Geld<lb/>
unter ſeinem Werth kaufte. Jedoch bewunder-<lb/>
te ſie die Fraͤulein, wie die Witwe ſagt, als eine<lb/>
der liebenswuͤrdigſten von ihrem Geſchlechte: ob<lb/>
ihr Gewiſſen gleich zuließ, die Kleider ſo weit<lb/>
unten ihrem Preiße zu nehmen. Ja, weil ihr<lb/>
ein kleiner Wink von ihrer Geſchichte gegeben<lb/>
war: ſo konnte ſie ſich der Thraͤnen nicht erweh-<lb/>
ren, als ſie ihren Kauf zu ſich nahm.</p><lb/><p>Sie mag wohl eine gute Frau ſeyn. Frau<lb/>
Lovick ſagt, daß ſie es iſt. Aber der <hirendition="#fr">Eigennutz</hi><lb/>
iſt ein verhaßtes und teufliſches Ding, welches<lb/>
einigen Leuten die grauſamſten und ſchaͤndlichſten<lb/>
Handlungen angenehm machet. Nichts deſto<lb/>
weniger bin ich der Meynung, daß diejenigen,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K k 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">welche</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[521/0527]
Jch eilte zu Smithens Hauſe und bekam nur
eine ſehr mittelmaͤßige Nachricht von der Ge-
ſundheit der Fraͤulein. Jch ließ meine Empfeh-
lung vermelden: und ſie verlangte mich Nach-
mittags zu ſehen.
Frau Lovick erzaͤhlte mir, daß ſie wirklich,
nachdem ich am Sonnabend weggegangen waͤre,
einen von den beſten Anzuͤgen der Fraͤulein an
eine adliche Frau verkauft haͤtte, welche ihre
Wohlthaͤterinn iſt, und ihn fuͤr eine Baſe erſtan-
den hat, die in Geſchwindigkeit verheyrathet wer-
den ſoll, und von ihr, als ihre kuͤnſtige Erbinn
ausgeſtattet wird. Die Fraͤulein machte ſich ſo
viel Bedenken, ob auch das Geld von euch, oder
von mir kaͤme, daß ſie die Kaͤuferinn ſelbſt ſehen
wollte. Dieſe geſtand gegen Frau Lovick, daß
ſie den Anzug von Kleidern um das halbe Geld
unter ſeinem Werth kaufte. Jedoch bewunder-
te ſie die Fraͤulein, wie die Witwe ſagt, als eine
der liebenswuͤrdigſten von ihrem Geſchlechte: ob
ihr Gewiſſen gleich zuließ, die Kleider ſo weit
unten ihrem Preiße zu nehmen. Ja, weil ihr
ein kleiner Wink von ihrer Geſchichte gegeben
war: ſo konnte ſie ſich der Thraͤnen nicht erweh-
ren, als ſie ihren Kauf zu ſich nahm.
Sie mag wohl eine gute Frau ſeyn. Frau
Lovick ſagt, daß ſie es iſt. Aber der Eigennutz
iſt ein verhaßtes und teufliſches Ding, welches
einigen Leuten die grauſamſten und ſchaͤndlichſten
Handlungen angenehm machet. Nichts deſto
weniger bin ich der Meynung, daß diejenigen,
welche
K k 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/527>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.