welche es sich zu gute halten können, die Noth ihrer Mitgeschöpfe sich zu ihrem Vortheil zu ma- chen, und irgend etwas um einen geringern Preiß zu kaufen, als die gesetzmäßigen Zinsen von ih- rem Einkaufsgelde, wenn sie es etwa eher kau- fen sollten, als sie es brauchen, erlauben wür- den, nicht besser als Räuber sind, wenn sich gleich einiger Unterschied findet - - Bey einem Schiff- bruche zu plündern, und bey einem Feuer zu rau- ben, sind freylich höhere Grade der Bosheit. Aber vergrößern nicht diese so wohl, als jene, das Unglück eines Unglücklichen, und häufen mehr Elend auf einen Elenden, dem ein jeder nach sei- ner Pflicht die Last erleichtern muß?
Um drey Uhr ging ich wieder zu Smithen. Die Fräulein schrieb eben, als ich meinen Na- men hinaufsagen ließ: aber gestattete mir doch den Besuch. Jch sahe eine augenscheinliche Ver- änderung in ihrem Gesichte, die nicht zum guten war. Da Frau Lovick ihr, mit vieler Ehrerbie- tung, die allzu fleißige Beschäfftigung mit ihrer Feder, früh und spat, und ihr Fasten am vorigen Tage, zu einem Vorwurf machte: so erwähnte ich etwas von der Veränderung. Jch versicher- te sie, daß ihr Arzt sich größre Hoffnung von ihr machte, als sie von sich selbst hätte: ich wollte mir aber die Freyheit nehmen, zu sagen, daß keine Hülfe übrig wäre, wenn jemand selbst an seiner Genesung verzweifelte.
Sie verzweifelte nicht, und hoffete auch nicht, war ihre Antwort. Darauf ging sie mit großer
Ge-
welche es ſich zu gute halten koͤnnen, die Noth ihrer Mitgeſchoͤpfe ſich zu ihrem Vortheil zu ma- chen, und irgend etwas um einen geringern Preiß zu kaufen, als die geſetzmaͤßigen Zinſen von ih- rem Einkaufsgelde, wenn ſie es etwa eher kau- fen ſollten, als ſie es brauchen, erlauben wuͤr- den, nicht beſſer als Raͤuber ſind, wenn ſich gleich einiger Unterſchied findet ‒ ‒ Bey einem Schiff- bruche zu pluͤndern, und bey einem Feuer zu rau- ben, ſind freylich hoͤhere Grade der Bosheit. Aber vergroͤßern nicht dieſe ſo wohl, als jene, das Ungluͤck eines Ungluͤcklichen, und haͤufen mehr Elend auf einen Elenden, dem ein jeder nach ſei- ner Pflicht die Laſt erleichtern muß?
Um drey Uhr ging ich wieder zu Smithen. Die Fraͤulein ſchrieb eben, als ich meinen Na- men hinaufſagen ließ: aber geſtattete mir doch den Beſuch. Jch ſahe eine augenſcheinliche Ver- aͤnderung in ihrem Geſichte, die nicht zum guten war. Da Frau Lovick ihr, mit vieler Ehrerbie- tung, die allzu fleißige Beſchaͤfftigung mit ihrer Feder, fruͤh und ſpat, und ihr Faſten am vorigen Tage, zu einem Vorwurf machte: ſo erwaͤhnte ich etwas von der Veraͤnderung. Jch verſicher- te ſie, daß ihr Arzt ſich groͤßre Hoffnung von ihr machte, als ſie von ſich ſelbſt haͤtte: ich wollte mir aber die Freyheit nehmen, zu ſagen, daß keine Huͤlfe uͤbrig waͤre, wenn jemand ſelbſt an ſeiner Geneſung verzweifelte.
Sie verzweifelte nicht, und hoffete auch nicht, war ihre Antwort. Darauf ging ſie mit großer
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welche es ſich zu gute halten koͤnnen, die Noth
ihrer Mitgeſchoͤpfe ſich zu ihrem Vortheil zu ma-
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zu kaufen, als die geſetzmaͤßigen Zinſen von ih-
rem Einkaufsgelde, wenn ſie es etwa eher kau-
fen ſollten, als ſie es brauchen, erlauben wuͤr-
den, nicht beſſer als Raͤuber ſind, wenn ſich gleich
einiger Unterſchied findet ‒ ‒ Bey einem Schiff-
bruche zu pluͤndern, und bey einem Feuer zu rau-
ben, ſind freylich hoͤhere Grade der Bosheit.
Aber vergroͤßern nicht dieſe ſo wohl, als jene,
das Ungluͤck eines Ungluͤcklichen, und haͤufen mehr
Elend auf einen Elenden, dem ein jeder nach ſei-
ner Pflicht die Laſt erleichtern muß?
Um drey Uhr ging ich wieder zu Smithen.
Die Fraͤulein ſchrieb eben, als ich meinen Na-
men hinaufſagen ließ: aber geſtattete mir doch
den Beſuch. Jch ſahe eine augenſcheinliche Ver-
aͤnderung in ihrem Geſichte, die nicht zum guten
war. Da Frau Lovick ihr, mit vieler Ehrerbie-
tung, die allzu fleißige Beſchaͤfftigung mit ihrer
Feder, fruͤh und ſpat, und ihr Faſten am vorigen
Tage, zu einem Vorwurf machte: ſo erwaͤhnte
ich etwas von der Veraͤnderung. Jch verſicher-
te ſie, daß ihr Arzt ſich groͤßre Hoffnung von ihr
machte, als ſie von ſich ſelbſt haͤtte: ich wollte
mir aber die Freyheit nehmen, zu ſagen, daß
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/528>, abgerufen am 22.11.2024.
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