Die Fräulein verweiset mich, wegen meines Schicksals, auf einen Brief, den sie an Fräulein Howe geschrieben, wirklich geschrieben hat. Die- ser, scheint es, hat sie ihre Ursachen entdecket, warum sie mich nicht haben will. Mich verlangt sehr, den Jnhalt dieses Briefes zu erfahren. Aber ich mache mir große Hoffnung, daß sie ihre abschlägige Antwort so ausgedrückt habe, daß dieselbe Raum läßt, zu denken, sie wolle nur zu dem Gegentheil beredet seyn, damit sie mit sich selbst einig werde.
Jch könnte über eine oder zwo Stellen von der geistlichen Betrachtung der Fräulein einige artige Anmerkungen machen. Allein, für so gottlos man mich auch ansieht, so bin ich doch niemals so verrucht gewesen, daß ich heilige Din- ge lächerlich gemacht hätte, oder nur leichtsinnig damit zu Werke gegangen wäre. Jch halte es für den höchsten Grad der Ungezogenheit, mit solchen Sachen einen Scherz zu treiben, welche die Welt überhaupt mit Ehrerbietung ansiehet, und heilig nennet. Jch würde nicht einmal an der Fabellehre der Heiden gegen einen Heiden das Lächerliche aufdecken, was vielleicht aus ei- nigen Ungereimtheiten, die einem jeden von bloß gemeiner Ueberlegung in die Augen fällt, von selbst fließen möchte. Jch habe mich auch zu Rom, und an andern papistischen Oertern, nie- mals gegen diejenigen Gebräuche, welche ich für sehr außerordentlich hielte, ärgerlich aufgeführet. Denn ich sahe, daß einige Leute durch dieselbe ge-
rührt,
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Die Fraͤulein verweiſet mich, wegen meines Schickſals, auf einen Brief, den ſie an Fraͤulein Howe geſchrieben, wirklich geſchrieben hat. Die- ſer, ſcheint es, hat ſie ihre Urſachen entdecket, warum ſie mich nicht haben will. Mich verlangt ſehr, den Jnhalt dieſes Briefes zu erfahren. Aber ich mache mir große Hoffnung, daß ſie ihre abſchlaͤgige Antwort ſo ausgedruͤckt habe, daß dieſelbe Raum laͤßt, zu denken, ſie wolle nur zu dem Gegentheil beredet ſeyn, damit ſie mit ſich ſelbſt einig werde.
Jch koͤnnte uͤber eine oder zwo Stellen von der geiſtlichen Betrachtung der Fraͤulein einige artige Anmerkungen machen. Allein, fuͤr ſo gottlos man mich auch anſieht, ſo bin ich doch niemals ſo verrucht geweſen, daß ich heilige Din- ge laͤcherlich gemacht haͤtte, oder nur leichtſinnig damit zu Werke gegangen waͤre. Jch halte es fuͤr den hoͤchſten Grad der Ungezogenheit, mit ſolchen Sachen einen Scherz zu treiben, welche die Welt uͤberhaupt mit Ehrerbietung anſiehet, und heilig nennet. Jch wuͤrde nicht einmal an der Fabellehre der Heiden gegen einen Heiden das Laͤcherliche aufdecken, was vielleicht aus ei- nigen Ungereimtheiten, die einem jeden von bloß gemeiner Ueberlegung in die Augen faͤllt, von ſelbſt fließen moͤchte. Jch habe mich auch zu Rom, und an andern papiſtiſchen Oertern, nie- mals gegen diejenigen Gebraͤuche, welche ich fuͤr ſehr außerordentlich hielte, aͤrgerlich aufgefuͤhret. Denn ich ſahe, daß einige Leute durch dieſelbe ge-
ruͤhrt,
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Die Fraͤulein verweiſet mich, wegen meines
Schickſals, auf einen Brief, den ſie an Fraͤulein
Howe geſchrieben, wirklich geſchrieben hat. Die-
ſer, ſcheint es, hat ſie ihre Urſachen entdecket,
warum ſie mich nicht haben will. Mich verlangt
ſehr, den Jnhalt dieſes Briefes zu erfahren.
Aber ich mache mir große Hoffnung, daß ſie ihre
abſchlaͤgige Antwort ſo ausgedruͤckt habe, daß
dieſelbe Raum laͤßt, zu denken, ſie wolle nur zu
dem Gegentheil beredet ſeyn, damit ſie mit ſich
ſelbſt einig werde.
Jch koͤnnte uͤber eine oder zwo Stellen von
der geiſtlichen Betrachtung der Fraͤulein einige
artige Anmerkungen machen. Allein, fuͤr ſo
gottlos man mich auch anſieht, ſo bin ich doch
niemals ſo verrucht geweſen, daß ich heilige Din-
ge laͤcherlich gemacht haͤtte, oder nur leichtſinnig
damit zu Werke gegangen waͤre. Jch halte es
fuͤr den hoͤchſten Grad der Ungezogenheit, mit
ſolchen Sachen einen Scherz zu treiben, welche
die Welt uͤberhaupt mit Ehrerbietung anſiehet,
und heilig nennet. Jch wuͤrde nicht einmal an
der Fabellehre der Heiden gegen einen Heiden
das Laͤcherliche aufdecken, was vielleicht aus ei-
nigen Ungereimtheiten, die einem jeden von bloß
gemeiner Ueberlegung in die Augen faͤllt, von
ſelbſt fließen moͤchte. Jch habe mich auch zu
Rom, und an andern papiſtiſchen Oertern, nie-
mals gegen diejenigen Gebraͤuche, welche ich fuͤr
ſehr außerordentlich hielte, aͤrgerlich aufgefuͤhret.
Denn ich ſahe, daß einige Leute durch dieſelbe ge-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/589>, abgerufen am 22.11.2024.
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