sie in der That in einem schwachen und matten Zustande ist, laßt mich euch bitten, daran nicht zu gedenken.
Gestern, Nachmittags, bekam sie einen grau- samen Brief von ihrer Schwester. Fr. Lovick vermuthet aus der Wirkung, die er über sie ge- habt hat, daß er grausam gewesen seyn müsse. Es war eine Antwort auf ihr Schreiben vom ver- wichnen Sonnabend, worinn sie um einen Se- gen und um Vergebung von ihren Eltern ersu- chet hat.
Sie erkennet, daß, wo alle deine Briefe mit gleicher Beobachtung des Wohlstandes und glei- cher Gerechtigkeit geschrieben sind, wie ich sie ver- sichert habe, sie sich von der sonst nöthigen Mü- he, ihre eigne Geschichte aufzusetzen, befreyet ach- ten werde. Dieß ist ein Vortheil, der dir von den auf ihr Verlangen ertheilten Auszügen zu- wächst: ob du mir gleich vielleicht nicht danken wirst, daß ich ihr darinn gefällig gewesen bin.
Aber was meynst du, ist die zwote Bitte, wel- che Sie an mich zu thun hatte? Keine andere, als daß ich die Vollziehung ihres letzten Wil- lens über mich nehmen möchte - - Jhre Be- wegungsgründe sollst du zu gehöriger Zeit erfah- ren: und alsdenn, ich kann für sie stehen, werden sie dir vollkommen Genüge thun.
Jhr könnt euch nicht einbilden, was für eine Ehre ich mir aus dem anvertrauten Amte mache. Mir ist nur bange, daß ich allzu bald zur Ausübung desselben kommen werde. Was für
ein
Sechster Theil. X x
ſie in der That in einem ſchwachen und matten Zuſtande iſt, laßt mich euch bitten, daran nicht zu gedenken.
Geſtern, Nachmittags, bekam ſie einen grau- ſamen Brief von ihrer Schweſter. Fr. Lovick vermuthet aus der Wirkung, die er uͤber ſie ge- habt hat, daß er grauſam geweſen ſeyn muͤſſe. Es war eine Antwort auf ihr Schreiben vom ver- wichnen Sonnabend, worinn ſie um einen Se- gen und um Vergebung von ihren Eltern erſu- chet hat.
Sie erkennet, daß, wo alle deine Briefe mit gleicher Beobachtung des Wohlſtandes und glei- cher Gerechtigkeit geſchrieben ſind, wie ich ſie ver- ſichert habe, ſie ſich von der ſonſt noͤthigen Muͤ- he, ihre eigne Geſchichte aufzuſetzen, befreyet ach- ten werde. Dieß iſt ein Vortheil, der dir von den auf ihr Verlangen ertheilten Auszuͤgen zu- waͤchſt: ob du mir gleich vielleicht nicht danken wirſt, daß ich ihr darinn gefaͤllig geweſen bin.
Aber was meynſt du, iſt die zwote Bitte, wel- che Sie an mich zu thun hatte? Keine andere, als daß ich die Vollziehung ihres letzten Wil- lens uͤber mich nehmen moͤchte ‒ ‒ Jhre Be- wegungsgruͤnde ſollſt du zu gehoͤriger Zeit erfah- ren: und alsdenn, ich kann fuͤr ſie ſtehen, werden ſie dir vollkommen Genuͤge thun.
Jhr koͤnnt euch nicht einbilden, was fuͤr eine Ehre ich mir aus dem anvertrauten Amte mache. Mir iſt nur bange, daß ich allzu bald zur Ausuͤbung deſſelben kommen werde. Was fuͤr
ein
Sechſter Theil. X x
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ſie in der That in einem ſchwachen und matten
Zuſtande iſt, laßt mich euch bitten, daran nicht zu
gedenken.
Geſtern, Nachmittags, bekam ſie einen grau-
ſamen Brief von ihrer Schweſter. Fr. Lovick
vermuthet aus der Wirkung, die er uͤber ſie ge-
habt hat, daß er grauſam geweſen ſeyn muͤſſe. Es
war eine Antwort auf ihr Schreiben vom ver-
wichnen Sonnabend, worinn ſie um einen Se-
gen und um Vergebung von ihren Eltern erſu-
chet hat.
Sie erkennet, daß, wo alle deine Briefe mit
gleicher Beobachtung des Wohlſtandes und glei-
cher Gerechtigkeit geſchrieben ſind, wie ich ſie ver-
ſichert habe, ſie ſich von der ſonſt noͤthigen Muͤ-
he, ihre eigne Geſchichte aufzuſetzen, befreyet ach-
ten werde. Dieß iſt ein Vortheil, der dir von
den auf ihr Verlangen ertheilten Auszuͤgen zu-
waͤchſt: ob du mir gleich vielleicht nicht danken
wirſt, daß ich ihr darinn gefaͤllig geweſen bin.
Aber was meynſt du, iſt die zwote Bitte, wel-
che Sie an mich zu thun hatte? Keine andere,
als daß ich die Vollziehung ihres letzten Wil-
lens uͤber mich nehmen moͤchte ‒ ‒ Jhre Be-
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ren: und alsdenn, ich kann fuͤr ſie ſtehen, werden
ſie dir vollkommen Genuͤge thun.
Jhr koͤnnt euch nicht einbilden, was fuͤr eine
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/695>, abgerufen am 22.11.2024.
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