es um ihrer selbst willen zu wünschen: sollte sie es denn nicht um ihrer Familie und um ihres Ge- schlechtes willen thun, dessen Sache sie sich bis- weilen so sehr, wie sie vorgiebt, angelegen seyn lässet? Wo ihr aber nichts werth genug ist, ih- ren harlowischen Sinn zu meinem Besten zu be- wegen: hat sie denn wohl einiges Recht zu dem Mitleiden, welches du so mitleidig allezeit für sie zu erregen suchest?
Was die Mishelligkeit betrifft, welche ihr Brief zwischen mir und der einfältigen Familie an diesem Orte angerichtet hat; ich muß dir aber sagen, daß wir alle gänzlich zerfallen sind: so ach- te ich die so viel, als nichts. Sie sind albern, daß sie auf mich fluchen: da ich ihnen zehn Flü- che für einen wieder geben kann; wenn sie es ei- nen ganzen Tag aushalten sollten.
Jch habe eine Hälfte von dem Hause für mich allein, und zwar die beste. Denn die Gro- ßen genießen desjenigen am wenigsten, was sie am meisten kostet. Große Bequemlichkeiten haben und sie gebrauchen, sind zwey verschiedne Dinge. Sie haben die ordentlichen Zimmer für sich: ich die Staatszimmer für mich. Hier spiele ich den großen Herrn, und will ihn so lan- ge spielen, als es mir beliebt: da unterdessen die beyden engbrüstigen Schwestern, der alte poda- grische Bruder und die zwo verdrieslichen Nef- fen in der andern Hälfte eingesperret sind und keinen Fuß heraussetzen dürfen, aus Furcht, mich anzutreffen; dem sie, was der Spaß dabey ist,
ver-
es um ihrer ſelbſt willen zu wuͤnſchen: ſollte ſie es denn nicht um ihrer Familie und um ihres Ge- ſchlechtes willen thun, deſſen Sache ſie ſich bis- weilen ſo ſehr, wie ſie vorgiebt, angelegen ſeyn laͤſſet? Wo ihr aber nichts werth genug iſt, ih- ren harlowiſchen Sinn zu meinem Beſten zu be- wegen: hat ſie denn wohl einiges Recht zu dem Mitleiden, welches du ſo mitleidig allezeit fuͤr ſie zu erregen ſucheſt?
Was die Mishelligkeit betrifft, welche ihr Brief zwiſchen mir und der einfaͤltigen Familie an dieſem Orte angerichtet hat; ich muß dir aber ſagen, daß wir alle gaͤnzlich zerfallen ſind: ſo ach- te ich die ſo viel, als nichts. Sie ſind albern, daß ſie auf mich fluchen: da ich ihnen zehn Fluͤ- che fuͤr einen wieder geben kann; wenn ſie es ei- nen ganzen Tag aushalten ſollten.
Jch habe eine Haͤlfte von dem Hauſe fuͤr mich allein, und zwar die beſte. Denn die Gro- ßen genießen desjenigen am wenigſten, was ſie am meiſten koſtet. Große Bequemlichkeiten haben und ſie gebrauchen, ſind zwey verſchiedne Dinge. Sie haben die ordentlichen Zimmer fuͤr ſich: ich die Staatszimmer fuͤr mich. Hier ſpiele ich den großen Herrn, und will ihn ſo lan- ge ſpielen, als es mir beliebt: da unterdeſſen die beyden engbruͤſtigen Schweſtern, der alte poda- griſche Bruder und die zwo verdrieslichen Nef- fen in der andern Haͤlfte eingeſperret ſind und keinen Fuß herausſetzen duͤrfen, aus Furcht, mich anzutreffen; dem ſie, was der Spaß dabey iſt,
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es um ihrer ſelbſt willen zu wuͤnſchen: ſollte ſie
es denn nicht um ihrer Familie und um ihres Ge-
ſchlechtes willen thun, deſſen Sache ſie ſich bis-
weilen ſo ſehr, wie ſie vorgiebt, angelegen ſeyn
laͤſſet? Wo ihr aber nichts werth genug iſt, ih-
ren harlowiſchen Sinn zu meinem Beſten zu be-
wegen: hat ſie denn wohl einiges Recht zu dem
Mitleiden, welches du ſo mitleidig allezeit fuͤr ſie
zu erregen ſucheſt?
Was die Mishelligkeit betrifft, welche ihr
Brief zwiſchen mir und der einfaͤltigen Familie
an dieſem Orte angerichtet hat; ich muß dir aber
ſagen, daß wir alle gaͤnzlich zerfallen ſind: ſo ach-
te ich die ſo viel, als nichts. Sie ſind albern,
daß ſie auf mich fluchen: da ich ihnen zehn Fluͤ-
che fuͤr einen wieder geben kann; wenn ſie es ei-
nen ganzen Tag aushalten ſollten.
Jch habe eine Haͤlfte von dem Hauſe fuͤr
mich allein, und zwar die beſte. Denn die Gro-
ßen genießen desjenigen am wenigſten, was ſie
am meiſten koſtet. Große Bequemlichkeiten
haben und ſie gebrauchen, ſind zwey verſchiedne
Dinge. Sie haben die ordentlichen Zimmer fuͤr
ſich: ich die Staatszimmer fuͤr mich. Hier
ſpiele ich den großen Herrn, und will ihn ſo lan-
ge ſpielen, als es mir beliebt: da unterdeſſen die
beyden engbruͤſtigen Schweſtern, der alte poda-
griſche Bruder und die zwo verdrieslichen Nef-
fen in der andern Haͤlfte eingeſperret ſind und
keinen Fuß herausſetzen duͤrfen, aus Furcht, mich
anzutreffen; dem ſie, was der Spaß dabey iſt,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/710>, abgerufen am 22.11.2024.
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