Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite




Der hundert und vierte Brief
von
Herrn Lovelace an Fräulein Clarissa
Harlowe.

So wenig ich auch Ursache habe, ein geneigtes
Ohr oder ein vergebendes Herz bey Jhnen
für mich zu erwarten: so kann ich mich doch nicht
entbrechen, noch einmal an Sie zu schreiben; wel-
ches ein Zudringen ist, das eher zu verzeihen seyn
wird, als ein Besuch seyn würde; um Sie zu er-
suchen, daß Sie mich in den Stand setzen, die
Beleidigungen, welche Jhnen von mir widerfah-
ren sind, so weit es möglich ist, auszusöhnen und
wieder gut zu machen.

Jhre englischreine Tugend und mein erwach-
tes Gewissen sind beständige Zeugnisse Jhrer er-
habenen Verdienste und meiner abscheulichen
Niederträchtigkeit: allein Jhre Vergebung wird
mir eine ewige Verbindlichkeit gegen Sie aufle-
gen - - Vergeben Sie mir denn, mein liebstes
Leben, mein irdisches Gut und sichtbarer Anker
meiner künstigen Hoffnung! Wie Sie selbst; da
Sie glauben, etwas an sich zu haben, weswegen
Jhnen Vergebung nöthig ist; wie Sie selbst hof-
fen, Verzeihung zu erlangen: so vergeben Sie
auch mir, und erklären sich geneigt, unter Jhuen

beliebi-




Der hundert und vierte Brief
von
Herrn Lovelace an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.

So wenig ich auch Urſache habe, ein geneigtes
Ohr oder ein vergebendes Herz bey Jhnen
fuͤr mich zu erwarten: ſo kann ich mich doch nicht
entbrechen, noch einmal an Sie zu ſchreiben; wel-
ches ein Zudringen iſt, das eher zu verzeihen ſeyn
wird, als ein Beſuch ſeyn wuͤrde; um Sie zu er-
ſuchen, daß Sie mich in den Stand ſetzen, die
Beleidigungen, welche Jhnen von mir widerfah-
ren ſind, ſo weit es moͤglich iſt, auszuſoͤhnen und
wieder gut zu machen.

Jhre engliſchreine Tugend und mein erwach-
tes Gewiſſen ſind beſtaͤndige Zeugniſſe Jhrer er-
habenen Verdienſte und meiner abſcheulichen
Niedertraͤchtigkeit: allein Jhre Vergebung wird
mir eine ewige Verbindlichkeit gegen Sie aufle-
gen ‒ ‒ Vergeben Sie mir denn, mein liebſtes
Leben, mein irdiſches Gut und ſichtbarer Anker
meiner kuͤnſtigen Hoffnung! Wie Sie ſelbſt; da
Sie glauben, etwas an ſich zu haben, weswegen
Jhnen Vergebung noͤthig iſt; wie Sie ſelbſt hof-
fen, Verzeihung zu erlangen: ſo vergeben Sie
auch mir, und erklaͤren ſich geneigt, unter Jhuen

beliebi-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0718" n="712"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Der hundert und vierte Brief</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Herrn Lovelace an Fra&#x0364;ulein Clari&#x017F;&#x017F;a<lb/>
Harlowe.</hi></head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Montags, den 7ten Aug.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">S</hi>o wenig ich auch Ur&#x017F;ache habe, ein geneigtes<lb/>
Ohr oder ein vergebendes Herz bey Jhnen<lb/>
fu&#x0364;r mich zu erwarten: &#x017F;o kann ich mich doch nicht<lb/>
entbrechen, noch einmal an Sie zu &#x017F;chreiben; wel-<lb/>
ches ein Zudringen i&#x017F;t, das eher zu verzeihen &#x017F;eyn<lb/>
wird, als ein Be&#x017F;uch &#x017F;eyn wu&#x0364;rde; um Sie zu er-<lb/>
&#x017F;uchen, daß Sie mich in den Stand &#x017F;etzen, die<lb/>
Beleidigungen, welche Jhnen von mir widerfah-<lb/>
ren &#x017F;ind, &#x017F;o weit es mo&#x0364;glich i&#x017F;t, auszu&#x017F;o&#x0364;hnen und<lb/>
wieder gut zu machen.</p><lb/>
          <p>Jhre engli&#x017F;chreine Tugend und mein erwach-<lb/>
tes Gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind be&#x017F;ta&#x0364;ndige Zeugni&#x017F;&#x017F;e Jhrer er-<lb/>
habenen Verdien&#x017F;te und meiner ab&#x017F;cheulichen<lb/>
Niedertra&#x0364;chtigkeit: allein Jhre Vergebung wird<lb/>
mir eine ewige Verbindlichkeit gegen Sie aufle-<lb/>
gen &#x2012; &#x2012; Vergeben Sie mir denn, mein lieb&#x017F;tes<lb/>
Leben, mein irdi&#x017F;ches Gut und &#x017F;ichtbarer Anker<lb/>
meiner ku&#x0364;n&#x017F;tigen Hoffnung! Wie Sie &#x017F;elb&#x017F;t; da<lb/>
Sie glauben, etwas an &#x017F;ich zu haben, weswegen<lb/>
Jhnen Vergebung no&#x0364;thig i&#x017F;t; wie Sie &#x017F;elb&#x017F;t hof-<lb/>
fen, Verzeihung zu erlangen: &#x017F;o vergeben Sie<lb/>
auch mir, und erkla&#x0364;ren &#x017F;ich geneigt, unter Jhuen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">beliebi-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[712/0718] Der hundert und vierte Brief von Herrn Lovelace an Fraͤulein Clariſſa Harlowe. Montags, den 7ten Aug. So wenig ich auch Urſache habe, ein geneigtes Ohr oder ein vergebendes Herz bey Jhnen fuͤr mich zu erwarten: ſo kann ich mich doch nicht entbrechen, noch einmal an Sie zu ſchreiben; wel- ches ein Zudringen iſt, das eher zu verzeihen ſeyn wird, als ein Beſuch ſeyn wuͤrde; um Sie zu er- ſuchen, daß Sie mich in den Stand ſetzen, die Beleidigungen, welche Jhnen von mir widerfah- ren ſind, ſo weit es moͤglich iſt, auszuſoͤhnen und wieder gut zu machen. Jhre engliſchreine Tugend und mein erwach- tes Gewiſſen ſind beſtaͤndige Zeugniſſe Jhrer er- habenen Verdienſte und meiner abſcheulichen Niedertraͤchtigkeit: allein Jhre Vergebung wird mir eine ewige Verbindlichkeit gegen Sie aufle- gen ‒ ‒ Vergeben Sie mir denn, mein liebſtes Leben, mein irdiſches Gut und ſichtbarer Anker meiner kuͤnſtigen Hoffnung! Wie Sie ſelbſt; da Sie glauben, etwas an ſich zu haben, weswegen Jhnen Vergebung noͤthig iſt; wie Sie ſelbſt hof- fen, Verzeihung zu erlangen: ſo vergeben Sie auch mir, und erklaͤren ſich geneigt, unter Jhuen beliebi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/718
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 712. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/718>, abgerufen am 22.11.2024.