Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



wurde, und setzte sich darauf nieder, an ihren On-
kel zu schreiben: allein sie ward genöthigt, ver-
schiedne male abzubrechen - - weil sie mit sich
selbst zu streiten hatte, wie sie sich gegen Fr. Lo-
vick verlauten ließ, um eine demüthige Gemüths-
verfassung zu erlangen. "Mein Herz, sagte sie
"zu der guten Frauen, ist ein stolzes Herz, und,
"wie ich finde, noch nicht mürbe genug gemacht,
"sich in meine Umstände zu schicken, sondern will
"meiner Feder, ich mag thun, was ich kann, Din-
"ge vorschreiben, die von Empfindlichkeit und
"Unwillen zeugen."

Heute Abends, an eben dem Donnerstage,
kam ich von Belton wieder in London an, und
ging alsobald zu Smithens Hause. Sie befand
sich zu schlecht, meinen Besuch anzunehmen:
ließ mir aber, da ich hinauf schickte, meine Em-
pfehlung machen zu lassen, herunter sagen, daß
es ihr lieb seyn würde, mich morgen zu sehen.

Fr. Lovick that mir den Gefallen, mir die Ab-
schrift von einer geistlichen Betrachtung mitzu-
theilen, welche die Fräulein aus der heil. Schrift
gezogen hat. Sie hat derselben die Ueberschrift
vorgesetzet: Die armen Sterblichen, als die
Ursache ihres eignen Jammers;
in der Ab-
sicht, wie ich vermuthe, ihrem Unwillen über Wi-
derwärtigkeiten, die mit ihrem Fehler in so un-
gleichem Verhältnisse stehen, wenn er auch so groß
wäre, als sie zu denken geneigt ist, seine Stärke
zu benehmen. Wir können hieraus sehen, auf
was für Art sie ihr Gemüth zu befestigen suchet,

welcher
Z z 3



wurde, und ſetzte ſich darauf nieder, an ihren On-
kel zu ſchreiben: allein ſie ward genoͤthigt, ver-
ſchiedne male abzubrechen ‒ ‒ weil ſie mit ſich
ſelbſt zu ſtreiten hatte, wie ſie ſich gegen Fr. Lo-
vick verlauten ließ, um eine demuͤthige Gemuͤths-
verfaſſung zu erlangen. „Mein Herz, ſagte ſie
„zu der guten Frauen, iſt ein ſtolzes Herz, und,
„wie ich finde, noch nicht muͤrbe genug gemacht,
„ſich in meine Umſtaͤnde zu ſchicken, ſondern will
„meiner Feder, ich mag thun, was ich kann, Din-
„ge vorſchreiben, die von Empfindlichkeit und
„Unwillen zeugen.“

Heute Abends, an eben dem Donnerſtage,
kam ich von Belton wieder in London an, und
ging alſobald zu Smithens Hauſe. Sie befand
ſich zu ſchlecht, meinen Beſuch anzunehmen:
ließ mir aber, da ich hinauf ſchickte, meine Em-
pfehlung machen zu laſſen, herunter ſagen, daß
es ihr lieb ſeyn wuͤrde, mich morgen zu ſehen.

Fr. Lovick that mir den Gefallen, mir die Ab-
ſchrift von einer geiſtlichen Betrachtung mitzu-
theilen, welche die Fraͤulein aus der heil. Schrift
gezogen hat. Sie hat derſelben die Ueberſchrift
vorgeſetzet: Die armen Sterblichen, als die
Urſache ihres eignen Jammers;
in der Ab-
ſicht, wie ich vermuthe, ihrem Unwillen uͤber Wi-
derwaͤrtigkeiten, die mit ihrem Fehler in ſo un-
gleichem Verhaͤltniſſe ſtehen, wenn er auch ſo groß
waͤre, als ſie zu denken geneigt iſt, ſeine Staͤrke
zu benehmen. Wir koͤnnen hieraus ſehen, auf
was fuͤr Art ſie ihr Gemuͤth zu befeſtigen ſuchet,

welcher
Z z 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0731" n="725"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
wurde, und &#x017F;etzte &#x017F;ich darauf nieder, an ihren On-<lb/>
kel zu &#x017F;chreiben: allein &#x017F;ie ward geno&#x0364;thigt, ver-<lb/>
&#x017F;chiedne male abzubrechen &#x2012; &#x2012; weil &#x017F;ie mit &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;treiten hatte, wie &#x017F;ie &#x017F;ich gegen Fr. Lo-<lb/>
vick verlauten ließ, um eine demu&#x0364;thige Gemu&#x0364;ths-<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ung zu erlangen. &#x201E;Mein Herz, &#x017F;agte &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;zu der guten Frauen, i&#x017F;t ein &#x017F;tolzes Herz, und,<lb/>
&#x201E;wie ich finde, noch nicht mu&#x0364;rbe genug gemacht,<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich in meine Um&#x017F;ta&#x0364;nde zu &#x017F;chicken, &#x017F;ondern will<lb/>
&#x201E;meiner Feder, ich mag thun, was ich kann, Din-<lb/>
&#x201E;ge vor&#x017F;chreiben, die von Empfindlichkeit und<lb/>
&#x201E;Unwillen zeugen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Heute Abends, an eben dem Donner&#x017F;tage,<lb/>
kam ich von Belton wieder in London an, und<lb/>
ging al&#x017F;obald zu Smithens Hau&#x017F;e. Sie befand<lb/>
&#x017F;ich zu &#x017F;chlecht, meinen Be&#x017F;uch anzunehmen:<lb/>
ließ mir aber, da ich hinauf &#x017F;chickte, meine Em-<lb/>
pfehlung machen zu la&#x017F;&#x017F;en, herunter &#x017F;agen, daß<lb/>
es ihr lieb &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, mich morgen zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Fr. Lovick that mir den Gefallen, mir die Ab-<lb/>
&#x017F;chrift von einer gei&#x017F;tlichen Betrachtung mitzu-<lb/>
theilen, welche die Fra&#x0364;ulein aus der heil. Schrift<lb/>
gezogen hat. Sie hat der&#x017F;elben die Ueber&#x017F;chrift<lb/>
vorge&#x017F;etzet: <hi rendition="#fr">Die armen Sterblichen, als die<lb/>
Ur&#x017F;ache ihres eignen Jammers;</hi> in der Ab-<lb/>
&#x017F;icht, wie ich vermuthe, ihrem Unwillen u&#x0364;ber Wi-<lb/>
derwa&#x0364;rtigkeiten, die mit ihrem Fehler in &#x017F;o un-<lb/>
gleichem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tehen, wenn er auch &#x017F;o groß<lb/>
wa&#x0364;re, als &#x017F;ie zu denken geneigt i&#x017F;t, &#x017F;eine Sta&#x0364;rke<lb/>
zu benehmen. Wir ko&#x0364;nnen hieraus &#x017F;ehen, auf<lb/>
was fu&#x0364;r Art &#x017F;ie ihr Gemu&#x0364;th zu befe&#x017F;tigen &#x017F;uchet,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z z 3</fw><fw place="bottom" type="catch">welcher</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[725/0731] wurde, und ſetzte ſich darauf nieder, an ihren On- kel zu ſchreiben: allein ſie ward genoͤthigt, ver- ſchiedne male abzubrechen ‒ ‒ weil ſie mit ſich ſelbſt zu ſtreiten hatte, wie ſie ſich gegen Fr. Lo- vick verlauten ließ, um eine demuͤthige Gemuͤths- verfaſſung zu erlangen. „Mein Herz, ſagte ſie „zu der guten Frauen, iſt ein ſtolzes Herz, und, „wie ich finde, noch nicht muͤrbe genug gemacht, „ſich in meine Umſtaͤnde zu ſchicken, ſondern will „meiner Feder, ich mag thun, was ich kann, Din- „ge vorſchreiben, die von Empfindlichkeit und „Unwillen zeugen.“ Heute Abends, an eben dem Donnerſtage, kam ich von Belton wieder in London an, und ging alſobald zu Smithens Hauſe. Sie befand ſich zu ſchlecht, meinen Beſuch anzunehmen: ließ mir aber, da ich hinauf ſchickte, meine Em- pfehlung machen zu laſſen, herunter ſagen, daß es ihr lieb ſeyn wuͤrde, mich morgen zu ſehen. Fr. Lovick that mir den Gefallen, mir die Ab- ſchrift von einer geiſtlichen Betrachtung mitzu- theilen, welche die Fraͤulein aus der heil. Schrift gezogen hat. Sie hat derſelben die Ueberſchrift vorgeſetzet: Die armen Sterblichen, als die Urſache ihres eignen Jammers; in der Ab- ſicht, wie ich vermuthe, ihrem Unwillen uͤber Wi- derwaͤrtigkeiten, die mit ihrem Fehler in ſo un- gleichem Verhaͤltniſſe ſtehen, wenn er auch ſo groß waͤre, als ſie zu denken geneigt iſt, ſeine Staͤrke zu benehmen. Wir koͤnnen hieraus ſehen, auf was fuͤr Art ſie ihr Gemuͤth zu befeſtigen ſuchet, welcher Z z 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/731
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/731>, abgerufen am 22.11.2024.