Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



"gemacht, da sie sich eines allgemeinen Beyfalls
"versichert zu seyn geglaubet, weil sie eben das
"trügen, und auf eben die Art angelegt hätten,
"was diejenige trug, die aller Bewunderung auf
"sich zog; ohne zu bedenken, daß, wenn diese
"ihre
Person, oder ihre Mängel gehabt hätte,
"sie eine ganz andere Mode würde aufgebracht
"haben: denn sie hätte sich in allen Stücken nach
"der Natur gerichtet und auf das Ungezwun-
"gene
gesehen; welches, nebst einer Vermischung
"von einem erhabenen Anstande und einer Ge-
"fälligkeit, sich zu andern herabzulassen, in ihrem
"Ansehen und Betragen, sie mochte entweder
"von andern Höflichkeiten anzunehmen haben,
"oder selbst andern Höflichkeiten bezeigen, ihr vot
"allen Personen ihres Geschlechts einen wirklichen
"Vorzug gegeben hätte.

"Er sagte in diesem Stücke nicht bloß seine
"Meynung, setzte er hinzu, sondern das Urtheil,
"welches jedermann fällte. Denn die Lobeserhe-
"bungen der Fräulein Clarissa Harlowe wären eine
"so beliebte Gelegenheit zum Gespräche gewesen,
"daß einer, der von einer andern Sache nicht
"wohl zu reden gewußt, versichert gewesen wäre,
"hievon wohl zu reden: weil er nichts hätte sagen
"können, was er nicht zwanzigmal wiederholet
"und mit Beyfall aufgenommen gehöret hätte."

Hiedurch gab der artige Herr vielleicht den
Grund von den besten Dingen an, die er selbst
sagte. Jedoch muß ich gestehen, daß die persön-
liche Bekanntschaft mit der Fräulein, welche mir

gegön-
Z z 5



„gemacht, da ſie ſich eines allgemeinen Beyfalls
„verſichert zu ſeyn geglaubet, weil ſie eben das
„truͤgen, und auf eben die Art angelegt haͤtten,
„was diejenige trug, die aller Bewunderung auf
„ſich zog; ohne zu bedenken, daß, wenn dieſe
„ihre
Perſon, oder ihre Maͤngel gehabt haͤtte,
„ſie eine ganz andere Mode wuͤrde aufgebracht
„haben: denn ſie haͤtte ſich in allen Stuͤcken nach
„der Natur gerichtet und auf das Ungezwun-
„gene
geſehen; welches, nebſt einer Vermiſchung
„von einem erhabenen Anſtande und einer Ge-
„faͤlligkeit, ſich zu andern herabzulaſſen, in ihrem
„Anſehen und Betragen, ſie mochte entweder
„von andern Hoͤflichkeiten anzunehmen haben,
„oder ſelbſt andern Hoͤflichkeiten bezeigen, ihr vot
„allen Perſonen ihres Geſchlechts einen wirklichen
„Vorzug gegeben haͤtte.

„Er ſagte in dieſem Stuͤcke nicht bloß ſeine
„Meynung, ſetzte er hinzu, ſondern das Urtheil,
„welches jedermann faͤllte. Denn die Lobeserhe-
„bungen der Fraͤulein Clariſſa Harlowe waͤren eine
„ſo beliebte Gelegenheit zum Geſpraͤche geweſen,
„daß einer, der von einer andern Sache nicht
„wohl zu reden gewußt, verſichert geweſen waͤre,
„hievon wohl zu reden: weil er nichts haͤtte ſagen
„koͤnnen, was er nicht zwanzigmal wiederholet
„und mit Beyfall aufgenommen gehoͤret haͤtte.“

Hiedurch gab der artige Herr vielleicht den
Grund von den beſten Dingen an, die er ſelbſt
ſagte. Jedoch muß ich geſtehen, daß die perſoͤn-
liche Bekanntſchaft mit der Fraͤulein, welche mir

gegoͤn-
Z z 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0735" n="729"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;gemacht, da &#x017F;ie &#x017F;ich eines allgemeinen Beyfalls<lb/>
&#x201E;ver&#x017F;ichert zu &#x017F;eyn geglaubet, weil &#x017F;ie eben das<lb/>
&#x201E;tru&#x0364;gen, und auf eben die Art angelegt ha&#x0364;tten,<lb/>
&#x201E;was <hi rendition="#fr">diejenige</hi> trug, die aller Bewunderung auf<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich zog; ohne zu bedenken, daß, wenn <hi rendition="#fr">die&#x017F;e<lb/>
&#x201E;ihre</hi> Per&#x017F;on, oder <hi rendition="#fr">ihre</hi> Ma&#x0364;ngel gehabt ha&#x0364;tte,<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie eine ganz andere Mode wu&#x0364;rde aufgebracht<lb/>
&#x201E;haben: denn &#x017F;ie ha&#x0364;tte &#x017F;ich in allen Stu&#x0364;cken nach<lb/>
&#x201E;der <hi rendition="#fr">Natur</hi> gerichtet und auf das <hi rendition="#fr">Ungezwun-<lb/>
&#x201E;gene</hi> ge&#x017F;ehen; welches, neb&#x017F;t einer Vermi&#x017F;chung<lb/>
&#x201E;von einem erhabenen An&#x017F;tande und einer Ge-<lb/>
&#x201E;fa&#x0364;lligkeit, &#x017F;ich zu andern herabzula&#x017F;&#x017F;en, in ihrem<lb/>
&#x201E;An&#x017F;ehen und Betragen, &#x017F;ie mochte entweder<lb/>
&#x201E;von andern Ho&#x0364;flichkeiten anzunehmen haben,<lb/>
&#x201E;oder &#x017F;elb&#x017F;t andern Ho&#x0364;flichkeiten bezeigen, ihr vot<lb/>
&#x201E;allen Per&#x017F;onen ihres Ge&#x017F;chlechts einen wirklichen<lb/>
&#x201E;Vorzug gegeben ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Er &#x017F;agte in die&#x017F;em Stu&#x0364;cke nicht bloß &#x017F;eine<lb/>
&#x201E;Meynung, &#x017F;etzte er hinzu, &#x017F;ondern das Urtheil,<lb/>
&#x201E;welches jedermann fa&#x0364;llte. Denn die Lobeserhe-<lb/>
&#x201E;bungen der Fra&#x0364;ulein Clari&#x017F;&#x017F;a Harlowe wa&#x0364;ren eine<lb/>
&#x201E;&#x017F;o beliebte Gelegenheit zum Ge&#x017F;pra&#x0364;che gewe&#x017F;en,<lb/>
&#x201E;daß einer, der von einer andern Sache nicht<lb/>
&#x201E;wohl zu reden gewußt, ver&#x017F;ichert gewe&#x017F;en wa&#x0364;re,<lb/>
&#x201E;hievon wohl zu reden: weil er nichts ha&#x0364;tte &#x017F;agen<lb/>
&#x201E;ko&#x0364;nnen, was er nicht zwanzigmal wiederholet<lb/>
&#x201E;und mit Beyfall aufgenommen geho&#x0364;ret ha&#x0364;tte.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Hiedurch gab der artige Herr vielleicht den<lb/>
Grund von den be&#x017F;ten Dingen an, die er &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;agte. Jedoch muß ich ge&#x017F;tehen, daß die per&#x017F;o&#x0364;n-<lb/>
liche Bekannt&#x017F;chaft mit der Fra&#x0364;ulein, welche mir<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z z 5</fw><fw place="bottom" type="catch">gego&#x0364;n-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[729/0735] „gemacht, da ſie ſich eines allgemeinen Beyfalls „verſichert zu ſeyn geglaubet, weil ſie eben das „truͤgen, und auf eben die Art angelegt haͤtten, „was diejenige trug, die aller Bewunderung auf „ſich zog; ohne zu bedenken, daß, wenn dieſe „ihre Perſon, oder ihre Maͤngel gehabt haͤtte, „ſie eine ganz andere Mode wuͤrde aufgebracht „haben: denn ſie haͤtte ſich in allen Stuͤcken nach „der Natur gerichtet und auf das Ungezwun- „gene geſehen; welches, nebſt einer Vermiſchung „von einem erhabenen Anſtande und einer Ge- „faͤlligkeit, ſich zu andern herabzulaſſen, in ihrem „Anſehen und Betragen, ſie mochte entweder „von andern Hoͤflichkeiten anzunehmen haben, „oder ſelbſt andern Hoͤflichkeiten bezeigen, ihr vot „allen Perſonen ihres Geſchlechts einen wirklichen „Vorzug gegeben haͤtte. „Er ſagte in dieſem Stuͤcke nicht bloß ſeine „Meynung, ſetzte er hinzu, ſondern das Urtheil, „welches jedermann faͤllte. Denn die Lobeserhe- „bungen der Fraͤulein Clariſſa Harlowe waͤren eine „ſo beliebte Gelegenheit zum Geſpraͤche geweſen, „daß einer, der von einer andern Sache nicht „wohl zu reden gewußt, verſichert geweſen waͤre, „hievon wohl zu reden: weil er nichts haͤtte ſagen „koͤnnen, was er nicht zwanzigmal wiederholet „und mit Beyfall aufgenommen gehoͤret haͤtte.“ Hiedurch gab der artige Herr vielleicht den Grund von den beſten Dingen an, die er ſelbſt ſagte. Jedoch muß ich geſtehen, daß die perſoͤn- liche Bekanntſchaft mit der Fraͤulein, welche mir gegoͤn- Z z 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/735
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 729. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/735>, abgerufen am 22.11.2024.