Eine Aussöhnung mit meinen Freunden er- warte ich nicht; auch keine Verzeihung: wenig- stens nicht eher, als in meinen letzten Nöthen, und wie eine Mitgabe auf den Weg.
O meine geliebte Fr. Norton, Sie können sich nicht einbilden, was ich ausgestanden habe! - - Jn der That ist mein Herz gebrochen. Jch weiß gewiß, ich werde nicht so lange leben, daß ich zu der Ununterwürfigkeit komme, welche mich nach Jhren Gedanken in den Stand setzen wür- de, meine vergangene Aufführung einigermaßen gut zu machen.
Da ich dieser Meynung bin: so können Sie leicht glauben, daß ich nicht geruhig seyn werde, bis ich mir die Widerrufung des schrecklichen Fluchs, und, wo möglich, auf mein Ende eine Vergebung auswirken kann.
Jch wünsche, daß man mir selbst überlasse, den Weg zu wählen, durch welchen ich mich be- mühen werde, mir diese Gewogenheit zu ver- schaffen. Jedoch weiß ich itzo noch nicht, was das für ein Weg seyn soll.
Jch will schreiben. Aber an wen? Das ist nur mein Zweifel. Unglück und Noth haben mich noch nicht so dreiste gemacht, daß ich mich selbst an meinen Vater wenden sollte. Meine Onkels, so sehr sie mich auch vormals liebten, haben ein hartes Herze. Jhre männliche Lei- denschaften sind niemals durch den zärtlichen Vaternamen gemildert. Von meinem Bru- der mache ich mir keine Hoffnung. Also habe
ich
Eine Ausſoͤhnung mit meinen Freunden er- warte ich nicht; auch keine Verzeihung: wenig- ſtens nicht eher, als in meinen letzten Noͤthen, und wie eine Mitgabe auf den Weg.
O meine geliebte Fr. Norton, Sie koͤnnen ſich nicht einbilden, was ich ausgeſtanden habe! ‒ ‒ Jn der That iſt mein Herz gebrochen. Jch weiß gewiß, ich werde nicht ſo lange leben, daß ich zu der Ununterwuͤrfigkeit komme, welche mich nach Jhren Gedanken in den Stand ſetzen wuͤr- de, meine vergangene Auffuͤhrung einigermaßen gut zu machen.
Da ich dieſer Meynung bin: ſo koͤnnen Sie leicht glauben, daß ich nicht geruhig ſeyn werde, bis ich mir die Widerrufung des ſchrecklichen Fluchs, und, wo moͤglich, auf mein Ende eine Vergebung auswirken kann.
Jch wuͤnſche, daß man mir ſelbſt uͤberlaſſe, den Weg zu waͤhlen, durch welchen ich mich be- muͤhen werde, mir dieſe Gewogenheit zu ver- ſchaffen. Jedoch weiß ich itzo noch nicht, was das fuͤr ein Weg ſeyn ſoll.
Jch will ſchreiben. Aber an wen? Das iſt nur mein Zweifel. Ungluͤck und Noth haben mich noch nicht ſo dreiſte gemacht, daß ich mich ſelbſt an meinen Vater wenden ſollte. Meine Onkels, ſo ſehr ſie mich auch vormals liebten, haben ein hartes Herze. Jhre maͤnnliche Lei- denſchaften ſind niemals durch den zaͤrtlichen Vaternamen gemildert. Von meinem Bru- der mache ich mir keine Hoffnung. Alſo habe
ich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0081"n="75"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Eine Ausſoͤhnung mit meinen Freunden er-<lb/>
warte ich nicht; auch keine Verzeihung: wenig-<lb/>ſtens nicht eher, als in meinen letzten Noͤthen,<lb/>
und wie eine <hirendition="#fr">Mitgabe auf den Weg.</hi></p><lb/><p>O meine geliebte Fr. Norton, Sie koͤnnen<lb/>ſich nicht einbilden, was ich ausgeſtanden habe!<lb/>‒‒ Jn der That iſt mein Herz gebrochen. Jch<lb/>
weiß gewiß, ich werde nicht ſo lange leben, daß<lb/>
ich zu der Ununterwuͤrfigkeit komme, welche mich<lb/>
nach Jhren Gedanken in den Stand ſetzen wuͤr-<lb/>
de, meine vergangene Auffuͤhrung einigermaßen<lb/>
gut zu machen.</p><lb/><p>Da ich dieſer Meynung bin: ſo koͤnnen Sie<lb/>
leicht glauben, daß ich nicht geruhig ſeyn werde,<lb/>
bis ich mir die Widerrufung des ſchrecklichen<lb/>
Fluchs, und, wo moͤglich, auf mein Ende eine<lb/>
Vergebung auswirken kann.</p><lb/><p>Jch wuͤnſche, daß man mir ſelbſt uͤberlaſſe,<lb/>
den Weg zu waͤhlen, durch welchen ich mich be-<lb/>
muͤhen werde, mir dieſe Gewogenheit zu ver-<lb/>ſchaffen. Jedoch weiß ich itzo noch nicht, was<lb/>
das fuͤr ein Weg ſeyn ſoll.</p><lb/><p>Jch will ſchreiben. Aber an <hirendition="#fr">wen?</hi> Das iſt<lb/>
nur mein Zweifel. Ungluͤck und Noth haben<lb/>
mich noch nicht ſo dreiſte gemacht, daß ich mich<lb/>ſelbſt an meinen <hirendition="#fr">Vater</hi> wenden ſollte. Meine<lb/><hirendition="#fr">Onkels,</hi>ſo ſehr ſie mich auch vormals liebten,<lb/>
haben ein hartes Herze. Jhre maͤnnliche Lei-<lb/>
denſchaften ſind niemals durch den zaͤrtlichen<lb/><hirendition="#fr">Vaternamen</hi> gemildert. Von meinem <hirendition="#fr">Bru-<lb/>
der</hi> mache ich mir keine Hoffnung. Alſo habe<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ich</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[75/0081]
Eine Ausſoͤhnung mit meinen Freunden er-
warte ich nicht; auch keine Verzeihung: wenig-
ſtens nicht eher, als in meinen letzten Noͤthen,
und wie eine Mitgabe auf den Weg.
O meine geliebte Fr. Norton, Sie koͤnnen
ſich nicht einbilden, was ich ausgeſtanden habe!
‒ ‒ Jn der That iſt mein Herz gebrochen. Jch
weiß gewiß, ich werde nicht ſo lange leben, daß
ich zu der Ununterwuͤrfigkeit komme, welche mich
nach Jhren Gedanken in den Stand ſetzen wuͤr-
de, meine vergangene Auffuͤhrung einigermaßen
gut zu machen.
Da ich dieſer Meynung bin: ſo koͤnnen Sie
leicht glauben, daß ich nicht geruhig ſeyn werde,
bis ich mir die Widerrufung des ſchrecklichen
Fluchs, und, wo moͤglich, auf mein Ende eine
Vergebung auswirken kann.
Jch wuͤnſche, daß man mir ſelbſt uͤberlaſſe,
den Weg zu waͤhlen, durch welchen ich mich be-
muͤhen werde, mir dieſe Gewogenheit zu ver-
ſchaffen. Jedoch weiß ich itzo noch nicht, was
das fuͤr ein Weg ſeyn ſoll.
Jch will ſchreiben. Aber an wen? Das iſt
nur mein Zweifel. Ungluͤck und Noth haben
mich noch nicht ſo dreiſte gemacht, daß ich mich
ſelbſt an meinen Vater wenden ſollte. Meine
Onkels, ſo ſehr ſie mich auch vormals liebten,
haben ein hartes Herze. Jhre maͤnnliche Lei-
denſchaften ſind niemals durch den zaͤrtlichen
Vaternamen gemildert. Von meinem Bru-
der mache ich mir keine Hoffnung. Alſo habe
ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/81>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.