ich nur meine Mutter und meine Schwester, an die ich mich wenden kann - - "Und mag es "mir nicht erlaubt seyn, allerliebste Mutter, mein "zitterndes Auge zu ihrem alles ermunternden, "und vormals mehr als nachsehenden, zu ihrem "zärtlich eingenommenen Auge, aufzuschla- "gen; in Hoffnung, eben zu rechter Zeit die nö- "thige Barmherzigkeit für ein armes sieches Herz "zu erlangen, das noch von demjenigen Leben "schlägt, welches ihm von ihrem eignen und wer- "thern Herzen mitgetheilet ist? - - Sonderlich, "da nur allein um Verzeihung, nicht um Auf- "nahme zu dem vorigen Stande, flehentlich ge- "beten wird?
Allein könnte ich meine Mutter zum Mitlei- den bewegen: würde das nicht ein Mittel seyn, sie durch den Widerstand, welchen sie finden würde, wenn sie diesem Mitleiden einigen Nach- druck zu geben versuchen wollte, noch immer un- glücklicher zu machen, als ich sie ohne das schon gemacht habe?
Also denke ich mich an meine Schwester zu wenden - - Aber wie unerweichlich hat sich meine Schwester bewiesen! - - Jedoch ich will ja nicht um Schutz bitten: ob ich gleich stündlich fürchten muß, daß ich Schutz nöthig haben werde - - Alles, was ich bitten will, soll dieß einzige seyn, daß ich von dem schweren Fluch, der, so weit er wirken kann, in Ansehung des gegen- wärtigen Lebens, schon seine Wirkung gehabt hat, befreyet werde. - - Und gewiß, es ist nur
hitziger
ich nur meine Mutter und meine Schweſter, an die ich mich wenden kann ‒ ‒ „Und mag es „mir nicht erlaubt ſeyn, allerliebſte Mutter, mein „zitterndes Auge zu ihrem alles ermunternden, „und vormals mehr als nachſehenden, zu ihrem „zaͤrtlich eingenommenen Auge, aufzuſchla- „gen; in Hoffnung, eben zu rechter Zeit die noͤ- „thige Barmherzigkeit fuͤr ein armes ſieches Herz „zu erlangen, das noch von demjenigen Leben „ſchlaͤgt, welches ihm von ihrem eignen und wer- „thern Herzen mitgetheilet iſt? ‒ ‒ Sonderlich, „da nur allein um Verzeihung, nicht um Auf- „nahme zu dem vorigen Stande, flehentlich ge- „beten wird?
Allein koͤnnte ich meine Mutter zum Mitlei- den bewegen: wuͤrde das nicht ein Mittel ſeyn, ſie durch den Widerſtand, welchen ſie finden wuͤrde, wenn ſie dieſem Mitleiden einigen Nach- druck zu geben verſuchen wollte, noch immer un- gluͤcklicher zu machen, als ich ſie ohne das ſchon gemacht habe?
Alſo denke ich mich an meine Schweſter zu wenden ‒ ‒ Aber wie unerweichlich hat ſich meine Schweſter bewieſen! ‒ ‒ Jedoch ich will ja nicht um Schutz bitten: ob ich gleich ſtuͤndlich fuͤrchten muß, daß ich Schutz noͤthig haben werde ‒ ‒ Alles, was ich bitten will, ſoll dieß einzige ſeyn, daß ich von dem ſchweren Fluch, der, ſo weit er wirken kann, in Anſehung des gegen- waͤrtigen Lebens, ſchon ſeine Wirkung gehabt hat, befreyet werde. ‒ ‒ Und gewiß, es iſt nur
hitziger
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[76/0082]
ich nur meine Mutter und meine Schweſter,
an die ich mich wenden kann ‒ ‒ „Und mag es
„mir nicht erlaubt ſeyn, allerliebſte Mutter, mein
„zitterndes Auge zu ihrem alles ermunternden,
„und vormals mehr als nachſehenden, zu ihrem
„zaͤrtlich eingenommenen Auge, aufzuſchla-
„gen; in Hoffnung, eben zu rechter Zeit die noͤ-
„thige Barmherzigkeit fuͤr ein armes ſieches Herz
„zu erlangen, das noch von demjenigen Leben
„ſchlaͤgt, welches ihm von ihrem eignen und wer-
„thern Herzen mitgetheilet iſt? ‒ ‒ Sonderlich,
„da nur allein um Verzeihung, nicht um Auf-
„nahme zu dem vorigen Stande, flehentlich ge-
„beten wird?
Allein koͤnnte ich meine Mutter zum Mitlei-
den bewegen: wuͤrde das nicht ein Mittel ſeyn,
ſie durch den Widerſtand, welchen ſie finden
wuͤrde, wenn ſie dieſem Mitleiden einigen Nach-
druck zu geben verſuchen wollte, noch immer un-
gluͤcklicher zu machen, als ich ſie ohne das ſchon
gemacht habe?
Alſo denke ich mich an meine Schweſter
zu wenden ‒ ‒ Aber wie unerweichlich hat ſich
meine Schweſter bewieſen! ‒ ‒ Jedoch ich will
ja nicht um Schutz bitten: ob ich gleich ſtuͤndlich
fuͤrchten muß, daß ich Schutz noͤthig haben werde
‒ ‒ Alles, was ich bitten will, ſoll dieß einzige
ſeyn, daß ich von dem ſchweren Fluch, der, ſo
weit er wirken kann, in Anſehung des gegen-
waͤrtigen Lebens, ſchon ſeine Wirkung gehabt
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/82>, abgerufen am 21.11.2024.
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