verscherzt hätte oder nicht; und wenn ich sie ver- scherzt hätte, ob ich mich nicht auf eine anstän- dige Art wieder in dieselbe setzen könnte.
Allein, mein Herr, es hatte verschiedne Ursa- chen, warum ich es nicht that. Theils war es Schaam, wenn ich bedachte, in was für großer Achtung ich in meinen glücklichen Tagen bey Jh- nen stand, und wie tief ich in derselben gefallen seyn mußte, da mich diejenigen aufgaben, welche mit mir eine so viel nähere Verwandtschaft hatten: theils war es großer Bedruck, welcher das ge- demüthigte Herz mistrauisch macht, und ins be- sondre das meinige furchtsam machte, sich die gü- tige Gesinnung des Jhrigen anzumaßen, die mir in gewisser Maaße alle die werthen und verlohr- nen Anverwandten, welche ich genannt habe, er- setzt haben würde.
Außerdem war ich bisweilen so besorgt, daß man denken möchte, ich wollte gegen diejenigen, gegen welche mir so wohl Pflicht als Zuneigung Ehrfurcht auflegten, eine Parthey machen; so lange zwischen Zweifel und Hoffnung hin und her getrieben; so wenig mir selbst gelassen zu einer Zeit; so furchtsam zu einer andern, daß ich Unglück anrichten oder veranlassen möch- te; und, da ich nicht durch eine geneigte Nach- richt von Jhnen aufgemuntert wurde, zu hof- fen, daß es Jhnen angenehm seyn würde, wenn ich mich an Sie wendete; - - besorgt, meine
Ver-
G 2
verſcherzt haͤtte oder nicht; und wenn ich ſie ver- ſcherzt haͤtte, ob ich mich nicht auf eine anſtaͤn- dige Art wieder in dieſelbe ſetzen koͤnnte.
Allein, mein Herr, es hatte verſchiedne Urſa- chen, warum ich es nicht that. Theils war es Schaam, wenn ich bedachte, in was fuͤr großer Achtung ich in meinen gluͤcklichen Tagen bey Jh- nen ſtand, und wie tief ich in derſelben gefallen ſeyn mußte, da mich diejenigen aufgaben, welche mit mir eine ſo viel naͤhere Verwandtſchaft hatten: theils war es großer Bedruck, welcher das ge- demuͤthigte Herz mistrauiſch macht, und ins be- ſondre das meinige furchtſam machte, ſich die guͤ- tige Geſinnung des Jhrigen anzumaßen, die mir in gewiſſer Maaße alle die werthen und verlohr- nen Anverwandten, welche ich genannt habe, er- ſetzt haben wuͤrde.
Außerdem war ich bisweilen ſo beſorgt, daß man denken moͤchte, ich wollte gegen diejenigen, gegen welche mir ſo wohl Pflicht als Zuneigung Ehrfurcht auflegten, eine Parthey machen; ſo lange zwiſchen Zweifel und Hoffnung hin und her getrieben; ſo wenig mir ſelbſt gelaſſen zu einer Zeit; ſo furchtſam zu einer andern, daß ich Ungluͤck anrichten oder veranlaſſen moͤch- te; und, da ich nicht durch eine geneigte Nach- richt von Jhnen aufgemuntert wurde, zu hof- fen, daß es Jhnen angenehm ſeyn wuͤrde, wenn ich mich an Sie wendete; ‒ ‒ beſorgt, meine
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verſcherzt haͤtte oder nicht; und wenn ich ſie ver-
ſcherzt haͤtte, ob ich mich nicht auf eine anſtaͤn-
dige Art wieder in dieſelbe ſetzen koͤnnte.
Allein, mein Herr, es hatte verſchiedne Urſa-
chen, warum ich es nicht that. Theils war es
Schaam, wenn ich bedachte, in was fuͤr großer
Achtung ich in meinen gluͤcklichen Tagen bey Jh-
nen ſtand, und wie tief ich in derſelben gefallen ſeyn
mußte, da mich diejenigen aufgaben, welche mit
mir eine ſo viel naͤhere Verwandtſchaft hatten:
theils war es großer Bedruck, welcher das ge-
demuͤthigte Herz mistrauiſch macht, und ins be-
ſondre das meinige furchtſam machte, ſich die guͤ-
tige Geſinnung des Jhrigen anzumaßen, die mir
in gewiſſer Maaße alle die werthen und verlohr-
nen Anverwandten, welche ich genannt habe, er-
ſetzt haben wuͤrde.
Außerdem war ich bisweilen ſo beſorgt, daß
man denken moͤchte, ich wollte gegen diejenigen,
gegen welche mir ſo wohl Pflicht als Zuneigung
Ehrfurcht auflegten, eine Parthey machen; ſo
lange zwiſchen Zweifel und Hoffnung hin und
her getrieben; ſo wenig mir ſelbſt gelaſſen
zu einer Zeit; ſo furchtſam zu einer andern, daß
ich Ungluͤck anrichten oder veranlaſſen moͤch-
te; und, da ich nicht durch eine geneigte Nach-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/105>, abgerufen am 24.11.2024.
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