kommen war: nannte er mich seinen besten, seinen liebreichsten Freund. Allein ein Strom von Thränen schoß aus seinen Augen hervor. O Bruder! o Belford! sprach er, siehe in welchem Zustande ich bin! Siehe, wie schwach! So weit und so bald herunter gebracht! Kennet ihr mich? Kennet ihr euern armen Freund Belton?
Jhr habt euch nicht so sehr verändert, mein lieber Belton, als ihr denket. Allein ich sehe, daß ihr schwach, sehr schwach seyd - - Und das ist mir leid.
Schwach! schwach, in der That, mein lieb- ster Belford, und schwächer am Gemüthe, wo möglich, als am Leibe, sprach er und weinte bit- terlich - - sonst würde ich mich nicht so wenig männlich bezeigen. Jch, der niemals irgend et- was fürchtete, soll genöthigt seyn, mich als el- nen Säugling zu beweisen! - - Jch schäme mich vollkommen vor mir selbst! - - Aber ver- achte mich nicht, lieber Belford, verachte mich nicht, ich bitte dich.
Jch habe allezeit einen Menschen in Ehren gehalten, sprach ich, der um anderer Elend wei- nen könnte, und werde ihn allezeit in Ehren hal- ten: ein solcher Mensch aber kann bey seinem eignen Jammer nicht unempfindlich seyn.
Jnzwischen konnte ich mich nicht enthalten, mich durch die heftige Unruhe des amen Mannes augenscheinlich rühren zu lassen.
Nun, sagte der vermessene Mowbray, halte ich dich für unleidlich, Bruder. Unser armer
Freund
A 3
kommen war: nannte er mich ſeinen beſten, ſeinen liebreichſten Freund. Allein ein Strom von Thraͤnen ſchoß aus ſeinen Augen hervor. O Bruder! o Belford! ſprach er, ſiehe in welchem Zuſtande ich bin! Siehe, wie ſchwach! So weit und ſo bald herunter gebracht! Kennet ihr mich? Kennet ihr euern armen Freund Belton?
Jhr habt euch nicht ſo ſehr veraͤndert, mein lieber Belton, als ihr denket. Allein ich ſehe, daß ihr ſchwach, ſehr ſchwach ſeyd ‒ ‒ Und das iſt mir leid.
Schwach! ſchwach, in der That, mein lieb- ſter Belford, und ſchwaͤcher am Gemuͤthe, wo moͤglich, als am Leibe, ſprach er und weinte bit- terlich ‒ ‒ ſonſt wuͤrde ich mich nicht ſo wenig maͤnnlich bezeigen. Jch, der niemals irgend et- was fuͤrchtete, ſoll genoͤthigt ſeyn, mich als el- nen Saͤugling zu beweiſen! ‒ ‒ Jch ſchaͤme mich vollkommen vor mir ſelbſt! ‒ ‒ Aber ver- achte mich nicht, lieber Belford, verachte mich nicht, ich bitte dich.
Jch habe allezeit einen Menſchen in Ehren gehalten, ſprach ich, der um anderer Elend wei- nen koͤnnte, und werde ihn allezeit in Ehren hal- ten: ein ſolcher Menſch aber kann bey ſeinem eignen Jammer nicht unempfindlich ſeyn.
Jnzwiſchen konnte ich mich nicht enthalten, mich durch die heftige Unruhe des amen Mannes augenſcheinlich ruͤhren zu laſſen.
Nun, ſagte der vermeſſene Mowbray, halte ich dich fuͤr unleidlich, Bruder. Unſer armer
Freund
A 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0011"n="5"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
kommen war: nannte er mich ſeinen beſten, ſeinen<lb/><hirendition="#fr">liebreichſten</hi> Freund. Allein ein Strom von<lb/>
Thraͤnen ſchoß aus ſeinen Augen hervor. O<lb/>
Bruder! o Belford! ſprach er, ſiehe in welchem<lb/>
Zuſtande ich bin! Siehe, wie ſchwach! So <hirendition="#fr">weit</hi><lb/>
und ſo bald herunter gebracht! Kennet ihr mich?<lb/>
Kennet ihr euern armen Freund Belton?</p><lb/><p>Jhr habt euch nicht ſo ſehr veraͤndert, mein<lb/>
lieber Belton, als ihr denket. Allein ich ſehe,<lb/>
daß ihr ſchwach, ſehr ſchwach ſeyd ‒‒ Und das<lb/>
iſt mir leid.</p><lb/><p>Schwach! ſchwach, in der That, mein lieb-<lb/>ſter Belford, und ſchwaͤcher am Gemuͤthe, wo<lb/>
moͤglich, als am Leibe, ſprach er und weinte bit-<lb/>
terlich ‒‒ſonſt wuͤrde ich mich nicht ſo wenig<lb/>
maͤnnlich bezeigen. Jch, der niemals <hirendition="#fr">irgend et-<lb/>
was</hi> fuͤrchtete, ſoll genoͤthigt ſeyn, mich als el-<lb/>
nen <hirendition="#fr">Saͤugling</hi> zu beweiſen! ‒‒ Jch ſchaͤme<lb/>
mich vollkommen vor mir ſelbſt! ‒‒ Aber ver-<lb/>
achte mich nicht, lieber Belford, verachte mich<lb/>
nicht, ich bitte dich.</p><lb/><p>Jch habe allezeit einen Menſchen in Ehren<lb/>
gehalten, ſprach ich, der um <hirendition="#fr">anderer</hi> Elend wei-<lb/>
nen koͤnnte, und werde ihn allezeit in Ehren hal-<lb/>
ten: ein ſolcher Menſch aber kann bey <hirendition="#fr">ſeinem<lb/>
eignen</hi> Jammer nicht unempfindlich ſeyn.</p><lb/><p>Jnzwiſchen konnte ich mich nicht enthalten,<lb/>
mich durch die heftige Unruhe des amen Mannes<lb/><hirendition="#fr">augenſcheinlich</hi> ruͤhren zu laſſen.</p><lb/><p>Nun, ſagte der vermeſſene Mowbray, halte<lb/>
ich dich fuͤr unleidlich, Bruder. Unſer armer<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Freund</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[5/0011]
kommen war: nannte er mich ſeinen beſten, ſeinen
liebreichſten Freund. Allein ein Strom von
Thraͤnen ſchoß aus ſeinen Augen hervor. O
Bruder! o Belford! ſprach er, ſiehe in welchem
Zuſtande ich bin! Siehe, wie ſchwach! So weit
und ſo bald herunter gebracht! Kennet ihr mich?
Kennet ihr euern armen Freund Belton?
Jhr habt euch nicht ſo ſehr veraͤndert, mein
lieber Belton, als ihr denket. Allein ich ſehe,
daß ihr ſchwach, ſehr ſchwach ſeyd ‒ ‒ Und das
iſt mir leid.
Schwach! ſchwach, in der That, mein lieb-
ſter Belford, und ſchwaͤcher am Gemuͤthe, wo
moͤglich, als am Leibe, ſprach er und weinte bit-
terlich ‒ ‒ ſonſt wuͤrde ich mich nicht ſo wenig
maͤnnlich bezeigen. Jch, der niemals irgend et-
was fuͤrchtete, ſoll genoͤthigt ſeyn, mich als el-
nen Saͤugling zu beweiſen! ‒ ‒ Jch ſchaͤme
mich vollkommen vor mir ſelbſt! ‒ ‒ Aber ver-
achte mich nicht, lieber Belford, verachte mich
nicht, ich bitte dich.
Jch habe allezeit einen Menſchen in Ehren
gehalten, ſprach ich, der um anderer Elend wei-
nen koͤnnte, und werde ihn allezeit in Ehren hal-
ten: ein ſolcher Menſch aber kann bey ſeinem
eignen Jammer nicht unempfindlich ſeyn.
Jnzwiſchen konnte ich mich nicht enthalten,
mich durch die heftige Unruhe des amen Mannes
augenſcheinlich ruͤhren zu laſſen.
Nun, ſagte der vermeſſene Mowbray, halte
ich dich fuͤr unleidlich, Bruder. Unſer armer
Freund
A 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/11>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.