Frucht ihrer natürlichen Gaben, als der Er- fahrung, gewesen wäre; welche jedoch, wie er sagte, ein feiner Vortheil bliebe, ein unsträfliches Leben auf das Künftige darauf zu gründen: so hätte sie leichtlich an einem Menschen, den sie lieb- te, keine bösen Absichten befürchten mögen. Es wäre daher eine abscheuliche Sache, das Ver- trauen eines solchen Frauenzimmers zu misbrau- chen.
Er wollte auf diese altväterische Art fortreden. Allein ich fiel ihm in die Rede. Diese allge- meine Betrachtungen, Herr Obrist, schicken sich vielleicht nicht auf diesen besondern Fall. Aber sie sind ja selbst ein Freund von Liebeshändeln. Vielleicht möchten sie auch nicht im Stande seyn, wenn es zur Frage käme, eine jede Handlung in ihrem Leben zu rechtfertigen: eben so wenig, als ich.
Obr. Sie sind mir willkommen, mein Herr: sie mögen mich fragen, was ihnen beliebt. Jch danke Gott, daß ich meine Fehler so wohl geste- hen, als mich derselben schämen kann.
Der Lord M. sahe mich an. Weil aber der Obrist nach seinem Bezeigen nicht die Absicht zu haben schien, mir dadurch einen Verweis zu ge- ben: so hatte ich nicht nöthig, es dafür anzusehen; sonderlich da ich meine Fehler eben so bereitwillig, als er oder irgend ein Mensch die seinigen, geste- hen kann, ich mag mich nun derselben schämen, oder nicht.
Er
Frucht ihrer natuͤrlichen Gaben, als der Er- fahrung, geweſen waͤre; welche jedoch, wie er ſagte, ein feiner Vortheil bliebe, ein unſtraͤfliches Leben auf das Kuͤnftige darauf zu gruͤnden: ſo haͤtte ſie leichtlich an einem Menſchen, den ſie lieb- te, keine boͤſen Abſichten befuͤrchten moͤgen. Es waͤre daher eine abſcheuliche Sache, das Ver- trauen eines ſolchen Frauenzimmers zu misbrau- chen.
Er wollte auf dieſe altvaͤteriſche Art fortreden. Allein ich fiel ihm in die Rede. Dieſe allge- meine Betrachtungen, Herr Obriſt, ſchicken ſich vielleicht nicht auf dieſen beſondern Fall. Aber ſie ſind ja ſelbſt ein Freund von Liebeshaͤndeln. Vielleicht moͤchten ſie auch nicht im Stande ſeyn, wenn es zur Frage kaͤme, eine jede Handlung in ihrem Leben zu rechtfertigen: eben ſo wenig, als ich.
Obr. Sie ſind mir willkommen, mein Herr: ſie moͤgen mich fragen, was ihnen beliebt. Jch danke Gott, daß ich meine Fehler ſo wohl geſte- hen, als mich derſelben ſchaͤmen kann.
Der Lord M. ſahe mich an. Weil aber der Obriſt nach ſeinem Bezeigen nicht die Abſicht zu haben ſchien, mir dadurch einen Verweis zu ge- ben: ſo hatte ich nicht noͤthig, es dafuͤr anzuſehen; ſonderlich da ich meine Fehler eben ſo bereitwillig, als er oder irgend ein Menſch die ſeinigen, geſte- hen kann, ich mag mich nun derſelben ſchaͤmen, oder nicht.
Er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0195"n="189"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Frucht ihrer <hirendition="#fr">natuͤrlichen Gaben,</hi> als der <hirendition="#fr">Er-<lb/>
fahrung,</hi> geweſen waͤre; welche jedoch, wie er<lb/>ſagte, ein feiner Vortheil bliebe, ein unſtraͤfliches<lb/>
Leben auf das Kuͤnftige darauf zu gruͤnden: ſo<lb/>
haͤtte ſie leichtlich an einem Menſchen, den ſie lieb-<lb/>
te, keine boͤſen Abſichten befuͤrchten moͤgen. Es<lb/>
waͤre daher eine abſcheuliche Sache, das Ver-<lb/>
trauen eines ſolchen Frauenzimmers zu misbrau-<lb/>
chen.</p><lb/><p>Er wollte auf dieſe altvaͤteriſche Art fortreden.<lb/>
Allein ich fiel ihm in die Rede. Dieſe allge-<lb/>
meine Betrachtungen, Herr Obriſt, ſchicken ſich<lb/>
vielleicht nicht auf dieſen beſondern Fall. Aber ſie<lb/>ſind ja ſelbſt ein Freund von Liebeshaͤndeln.<lb/>
Vielleicht moͤchten ſie auch nicht im Stande ſeyn,<lb/>
wenn es zur Frage kaͤme, eine jede Handlung in<lb/>
ihrem Leben zu rechtfertigen: eben ſo wenig,<lb/>
als ich.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Obr.</hi> Sie ſind mir willkommen, mein Herr:<lb/>ſie moͤgen mich fragen, was ihnen beliebt. Jch<lb/>
danke Gott, daß ich meine Fehler ſo wohl <hirendition="#fr">geſte-<lb/>
hen,</hi> als mich derſelben <hirendition="#fr">ſchaͤmen</hi> kann.</p><lb/><p>Der Lord M. ſahe <hirendition="#fr">mich</hi> an. Weil aber der<lb/>
Obriſt nach ſeinem Bezeigen nicht die Abſicht zu<lb/>
haben ſchien, mir dadurch einen Verweis zu ge-<lb/>
ben: ſo hatte ich nicht noͤthig, es dafuͤr anzuſehen;<lb/>ſonderlich da ich meine Fehler eben ſo bereitwillig,<lb/>
als er oder irgend ein Menſch die ſeinigen, <hirendition="#fr">geſte-<lb/>
hen</hi> kann, ich mag mich nun derſelben <hirendition="#fr">ſchaͤmen,</hi><lb/>
oder nicht.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Er</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[189/0195]
Frucht ihrer natuͤrlichen Gaben, als der Er-
fahrung, geweſen waͤre; welche jedoch, wie er
ſagte, ein feiner Vortheil bliebe, ein unſtraͤfliches
Leben auf das Kuͤnftige darauf zu gruͤnden: ſo
haͤtte ſie leichtlich an einem Menſchen, den ſie lieb-
te, keine boͤſen Abſichten befuͤrchten moͤgen. Es
waͤre daher eine abſcheuliche Sache, das Ver-
trauen eines ſolchen Frauenzimmers zu misbrau-
chen.
Er wollte auf dieſe altvaͤteriſche Art fortreden.
Allein ich fiel ihm in die Rede. Dieſe allge-
meine Betrachtungen, Herr Obriſt, ſchicken ſich
vielleicht nicht auf dieſen beſondern Fall. Aber ſie
ſind ja ſelbſt ein Freund von Liebeshaͤndeln.
Vielleicht moͤchten ſie auch nicht im Stande ſeyn,
wenn es zur Frage kaͤme, eine jede Handlung in
ihrem Leben zu rechtfertigen: eben ſo wenig,
als ich.
Obr. Sie ſind mir willkommen, mein Herr:
ſie moͤgen mich fragen, was ihnen beliebt. Jch
danke Gott, daß ich meine Fehler ſo wohl geſte-
hen, als mich derſelben ſchaͤmen kann.
Der Lord M. ſahe mich an. Weil aber der
Obriſt nach ſeinem Bezeigen nicht die Abſicht zu
haben ſchien, mir dadurch einen Verweis zu ge-
ben: ſo hatte ich nicht noͤthig, es dafuͤr anzuſehen;
ſonderlich da ich meine Fehler eben ſo bereitwillig,
als er oder irgend ein Menſch die ſeinigen, geſte-
hen kann, ich mag mich nun derſelben ſchaͤmen,
oder nicht.
Er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/195>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.