Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



eine seltsame Freyheit, die sich Leute von ungebun-
denen Grundsätzen nehmen, daß sie zu eben der
Zeit, da sie den Vorwurf, eine Unwahrheit gegen
eine Mannsperson reden zu können, tödtlich rä-
chen würden, sich kein Bedenken machen wollen,
die feyerlichsten Eidschwüre und Versprechungen
gegen ein Frauenzimmer zu brechen. Jch muß
sie versichern, Herr Lovelace, daß ich meine Ge-
lübde und Versprechungen allezeit als eine Ge-
wissenssache angesehen.

Lovel. Sie haben recht daran gethan, Herr
Obrist. Aber erlauben sie mir, ihnen zu sagen,
mein Herr, daß sie den Mann nicht kennen, mit
dem sie reden, wo sie sich einbilden, daß er nicht
im Stande sey, einen gebührenden Unwillen zu
fassen, wenn er seine edelmüthige Bekenntnisse
für ein Zeichen niederträchtiger Feigheit angenom-
men siehet.

Obr. hitzig und mit einem höhnischen
Gelächter.
Es sey ferne von mir, Herr Love-
lace, daß ich ihnen die niederträchtige Feigheit bey-
legen sollte, von der sie reden. Denn was wür-
de das anders seyn, als sich einbilden, daß ein
Mensch, der eine große Bosheit wider jemand
verübet hat, nicht bereit seyn sollte, in Vertheidi-
gung derselben seine Muthigkeit sehen zu las-
sen - -

Mowbray. Das ist verdammt hart, Herr
Obrist. Beym Jupiter, es ist hart. Jch könn-
te von keiner lebendigen Seele so viel leiden, als
Herr Lovelace schon zuvor von ihnen gelitten hat.

Obr.



eine ſeltſame Freyheit, die ſich Leute von ungebun-
denen Grundſaͤtzen nehmen, daß ſie zu eben der
Zeit, da ſie den Vorwurf, eine Unwahrheit gegen
eine Mannsperſon reden zu koͤnnen, toͤdtlich raͤ-
chen wuͤrden, ſich kein Bedenken machen wollen,
die feyerlichſten Eidſchwuͤre und Verſprechungen
gegen ein Frauenzimmer zu brechen. Jch muß
ſie verſichern, Herr Lovelace, daß ich meine Ge-
luͤbde und Verſprechungen allezeit als eine Ge-
wiſſensſache angeſehen.

Lovel. Sie haben recht daran gethan, Herr
Obriſt. Aber erlauben ſie mir, ihnen zu ſagen,
mein Herr, daß ſie den Mann nicht kennen, mit
dem ſie reden, wo ſie ſich einbilden, daß er nicht
im Stande ſey, einen gebuͤhrenden Unwillen zu
faſſen, wenn er ſeine edelmuͤthige Bekenntniſſe
fuͤr ein Zeichen niedertraͤchtiger Feigheit angenom-
men ſiehet.

Obr. hitzig und mit einem hoͤhniſchen
Gelaͤchter.
Es ſey ferne von mir, Herr Love-
lace, daß ich ihnen die niedertraͤchtige Feigheit bey-
legen ſollte, von der ſie reden. Denn was wuͤr-
de das anders ſeyn, als ſich einbilden, daß ein
Menſch, der eine große Bosheit wider jemand
veruͤbet hat, nicht bereit ſeyn ſollte, in Vertheidi-
gung derſelben ſeine Muthigkeit ſehen zu laſ-
ſen ‒ ‒

Mowbray. Das iſt verdammt hart, Herr
Obriſt. Beym Jupiter, es iſt hart. Jch koͤnn-
te von keiner lebendigen Seele ſo viel leiden, als
Herr Lovelace ſchon zuvor von ihnen gelitten hat.

Obr.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0206" n="200"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
eine &#x017F;elt&#x017F;ame Freyheit, die &#x017F;ich Leute von ungebun-<lb/>
denen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen nehmen, daß &#x017F;ie zu eben der<lb/>
Zeit, da &#x017F;ie den Vorwurf, eine Unwahrheit gegen<lb/>
eine Mannsper&#x017F;on reden zu ko&#x0364;nnen, to&#x0364;dtlich ra&#x0364;-<lb/>
chen wu&#x0364;rden, &#x017F;ich kein Bedenken machen wollen,<lb/>
die feyerlich&#x017F;ten Eid&#x017F;chwu&#x0364;re und Ver&#x017F;prechungen<lb/>
gegen ein Frauenzimmer zu brechen. Jch muß<lb/>
&#x017F;ie ver&#x017F;ichern, Herr Lovelace, daß ich meine Ge-<lb/>
lu&#x0364;bde und Ver&#x017F;prechungen allezeit als eine Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;ens&#x017F;ache ange&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Lovel.</hi> Sie haben recht daran gethan, Herr<lb/>
Obri&#x017F;t. Aber erlauben &#x017F;ie mir, ihnen zu &#x017F;agen,<lb/>
mein Herr, daß &#x017F;ie den Mann nicht kennen, mit<lb/>
dem &#x017F;ie reden, wo &#x017F;ie &#x017F;ich einbilden, daß er nicht<lb/>
im Stande &#x017F;ey, einen gebu&#x0364;hrenden Unwillen zu<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en, wenn er &#x017F;eine edelmu&#x0364;thige Bekenntni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
fu&#x0364;r ein Zeichen niedertra&#x0364;chtiger Feigheit angenom-<lb/>
men &#x017F;iehet.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Obr. hitzig und mit einem ho&#x0364;hni&#x017F;chen<lb/>
Gela&#x0364;chter.</hi> Es &#x017F;ey ferne von mir, Herr Love-<lb/>
lace, daß ich ihnen die niedertra&#x0364;chtige Feigheit bey-<lb/>
legen &#x017F;ollte, von der &#x017F;ie reden. Denn was wu&#x0364;r-<lb/>
de das anders &#x017F;eyn, als &#x017F;ich einbilden, daß ein<lb/>
Men&#x017F;ch, der eine große Bosheit wider jemand<lb/>
veru&#x0364;bet hat, nicht bereit &#x017F;eyn &#x017F;ollte, in Vertheidi-<lb/>
gung der&#x017F;elben &#x017F;eine <hi rendition="#fr">Muthigkeit</hi> &#x017F;ehen zu la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mowbray.</hi> Das i&#x017F;t verdammt hart, Herr<lb/>
Obri&#x017F;t. Beym Jupiter, es i&#x017F;t hart. Jch ko&#x0364;nn-<lb/>
te von keiner lebendigen Seele &#x017F;o viel leiden, als<lb/>
Herr Lovelace &#x017F;chon zuvor von ihnen gelitten hat.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Obr.</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0206] eine ſeltſame Freyheit, die ſich Leute von ungebun- denen Grundſaͤtzen nehmen, daß ſie zu eben der Zeit, da ſie den Vorwurf, eine Unwahrheit gegen eine Mannsperſon reden zu koͤnnen, toͤdtlich raͤ- chen wuͤrden, ſich kein Bedenken machen wollen, die feyerlichſten Eidſchwuͤre und Verſprechungen gegen ein Frauenzimmer zu brechen. Jch muß ſie verſichern, Herr Lovelace, daß ich meine Ge- luͤbde und Verſprechungen allezeit als eine Ge- wiſſensſache angeſehen. Lovel. Sie haben recht daran gethan, Herr Obriſt. Aber erlauben ſie mir, ihnen zu ſagen, mein Herr, daß ſie den Mann nicht kennen, mit dem ſie reden, wo ſie ſich einbilden, daß er nicht im Stande ſey, einen gebuͤhrenden Unwillen zu faſſen, wenn er ſeine edelmuͤthige Bekenntniſſe fuͤr ein Zeichen niedertraͤchtiger Feigheit angenom- men ſiehet. Obr. hitzig und mit einem hoͤhniſchen Gelaͤchter. Es ſey ferne von mir, Herr Love- lace, daß ich ihnen die niedertraͤchtige Feigheit bey- legen ſollte, von der ſie reden. Denn was wuͤr- de das anders ſeyn, als ſich einbilden, daß ein Menſch, der eine große Bosheit wider jemand veruͤbet hat, nicht bereit ſeyn ſollte, in Vertheidi- gung derſelben ſeine Muthigkeit ſehen zu laſ- ſen ‒ ‒ Mowbray. Das iſt verdammt hart, Herr Obriſt. Beym Jupiter, es iſt hart. Jch koͤnn- te von keiner lebendigen Seele ſo viel leiden, als Herr Lovelace ſchon zuvor von ihnen gelitten hat. Obr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/206
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/206>, abgerufen am 27.11.2024.