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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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zu machen, wider die sie Lust haben ihre Gaben
auszuüben.

Die beyden Weibsleute gaben sich große Mü-
he, mich zu überreden, daß sie gewissenhafte Per-
sonen wären - - Dem zu folge, sagte ich, wären
sie, wie ich besorgte, nur allzu sehr geneigt, andere
Leute zu tadeln, die sich nicht für so strenge ausge-
ben wollten: denn ich hätte allezeit befunden, daß
Tadelsucht, übertriebne Bedenklichkeit und Lieblo-
sigkeit allzu viel über diejenigen vermocht, welche
für frömmer, als ihre Nebenmenschen, hätten an-
gesehen seyn wollen.

So wären sie nicht gesinnet, war ihre Ant-
wort. Sie hätten sich seit der Zeit nach der Ge-
müthsbeschaffenheit und Lebensart der Fräulein
erkundigt, und könnten nicht ohne Leidwesen dar-
an gedenken, daß irgend etwas von dem, was sie
gesagt hätten, zum Nachtheil der Fräulein ge-
braucht werden sollte. Da sie über dieß von der
Fr. Smithinn hörten, daß sie nach aller Wahr-
scheinlichkeit nicht lange leben würde: so würde es
ihnen leid seyn, wenn sie als eine durch ihre
Schuld bedrängte Person oder mit einer übeln
Meynung von ihnen, ob sie ihr gleich fremd wä-
ren, aus der Welt gehen möchte. Der Mann
erbot sich, wo es mir gefällig wäre, zur Rechtfer-
tigung der Fräulein an den Herrn Brand zu
schreiben: und die beyden Weibsleute erklärten
sich, daß es ihnen lieb seyn würde, wenn sie ihr
in Person aufwarten dürften, damit sie dieselbe
wegen alles dessen, was sie von ihnen übel zu neh-

men



zu machen, wider die ſie Luſt haben ihre Gaben
auszuuͤben.

Die beyden Weibsleute gaben ſich große Muͤ-
he, mich zu uͤberreden, daß ſie gewiſſenhafte Per-
ſonen waͤren ‒ ‒ Dem zu folge, ſagte ich, waͤren
ſie, wie ich beſorgte, nur allzu ſehr geneigt, andere
Leute zu tadeln, die ſich nicht fuͤr ſo ſtrenge ausge-
ben wollten: denn ich haͤtte allezeit befunden, daß
Tadelſucht, uͤbertriebne Bedenklichkeit und Lieblo-
ſigkeit allzu viel uͤber diejenigen vermocht, welche
fuͤr froͤmmer, als ihre Nebenmenſchen, haͤtten an-
geſehen ſeyn wollen.

So waͤren ſie nicht geſinnet, war ihre Ant-
wort. Sie haͤtten ſich ſeit der Zeit nach der Ge-
muͤthsbeſchaffenheit und Lebensart der Fraͤulein
erkundigt, und koͤnnten nicht ohne Leidweſen dar-
an gedenken, daß irgend etwas von dem, was ſie
geſagt haͤtten, zum Nachtheil der Fraͤulein ge-
braucht werden ſollte. Da ſie uͤber dieß von der
Fr. Smithinn hoͤrten, daß ſie nach aller Wahr-
ſcheinlichkeit nicht lange leben wuͤrde: ſo wuͤrde es
ihnen leid ſeyn, wenn ſie als eine durch ihre
Schuld bedraͤngte Perſon oder mit einer uͤbeln
Meynung von ihnen, ob ſie ihr gleich fremd waͤ-
ren, aus der Welt gehen moͤchte. Der Mann
erbot ſich, wo es mir gefaͤllig waͤre, zur Rechtfer-
tigung der Fraͤulein an den Herrn Brand zu
ſchreiben: und die beyden Weibsleute erklaͤrten
ſich, daß es ihnen lieb ſeyn wuͤrde, wenn ſie ihr
in Perſon aufwarten duͤrften, damit ſie dieſelbe
wegen alles deſſen, was ſie von ihnen uͤbel zu neh-

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[244/0250] zu machen, wider die ſie Luſt haben ihre Gaben auszuuͤben. Die beyden Weibsleute gaben ſich große Muͤ- he, mich zu uͤberreden, daß ſie gewiſſenhafte Per- ſonen waͤren ‒ ‒ Dem zu folge, ſagte ich, waͤren ſie, wie ich beſorgte, nur allzu ſehr geneigt, andere Leute zu tadeln, die ſich nicht fuͤr ſo ſtrenge ausge- ben wollten: denn ich haͤtte allezeit befunden, daß Tadelſucht, uͤbertriebne Bedenklichkeit und Lieblo- ſigkeit allzu viel uͤber diejenigen vermocht, welche fuͤr froͤmmer, als ihre Nebenmenſchen, haͤtten an- geſehen ſeyn wollen. So waͤren ſie nicht geſinnet, war ihre Ant- wort. Sie haͤtten ſich ſeit der Zeit nach der Ge- muͤthsbeſchaffenheit und Lebensart der Fraͤulein erkundigt, und koͤnnten nicht ohne Leidweſen dar- an gedenken, daß irgend etwas von dem, was ſie geſagt haͤtten, zum Nachtheil der Fraͤulein ge- braucht werden ſollte. Da ſie uͤber dieß von der Fr. Smithinn hoͤrten, daß ſie nach aller Wahr- ſcheinlichkeit nicht lange leben wuͤrde: ſo wuͤrde es ihnen leid ſeyn, wenn ſie als eine durch ihre Schuld bedraͤngte Perſon oder mit einer uͤbeln Meynung von ihnen, ob ſie ihr gleich fremd waͤ- ren, aus der Welt gehen moͤchte. Der Mann erbot ſich, wo es mir gefaͤllig waͤre, zur Rechtfer- tigung der Fraͤulein an den Herrn Brand zu ſchreiben: und die beyden Weibsleute erklaͤrten ſich, daß es ihnen lieb ſeyn wuͤrde, wenn ſie ihr in Perſon aufwarten duͤrften, damit ſie dieſelbe wegen alles deſſen, was ſie von ihnen uͤbel zu neh- men

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/250>, abgerufen am 22.11.2024.