Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



nes Großvaters von der Zeit an, da es in ihren
Händen gewesen ist, hergeben wollen. Denn
weil ich wußte, daß sie mir von Rechtswegen zu-
gehörten, und daß sie dieselben nicht nöthig haben
könnten: so hatte ich schon wegen eines guten Theils
davon meine Verordnung gemacht, und konnte
nur hoffen, daß sie geneigt seyn würden, auf mei-
ne letzte Bitte sie fahren zu lassen. Wie reich wer-
de ich mich nun in dieser meiner letzten Station
achten! - - Jedoch habe ich auch vorher keinen
Mangel gehabt - - Nein in der That nicht - -
Denn wie kann man sagen, daß jemand einen
Mangel leidet, der viel Ueberflüßiges hat?

Betrüben Sie sich nicht, meine wertheste
Freundinn, daß ich es meine letzte Station nen-
ne. Denn was heißt selbst das lange Leben, wor-
auf bey guter Gesundheit unsere Wünsche gehen?
Was anders, als in dem ganzen Verlauf ein Le-
ben voller Furcht, bisweilen für unsere Freunde,
noch öfterer für uns selbst? Zuletzt aber, wenn wir
zu dem hohen Alter, das wir begierig wünschen, ge-
kommen sind; nachdem ein schwerer Verlust dem
andern, eine schmerzliche Beraubung der andern
gefolget ist: sehen wir uns von allen und jeden,
die wir liebten, so zu sagen entblößet, und finden
uns, als ungesellige elende Geschöpfe, der Gering-
schätzung, der Verachtung übermüthig spielender
Jugend ausgesetzet, die uns gern von dem Posten
stoßen möchte, in Hoffnung das, was wir haben,
zu besitzen - - Und zu dem allen kommen noch
unsere eigne Schwachheiten, die täglich zunehmen.

Diese



nes Großvaters von der Zeit an, da es in ihren
Haͤnden geweſen iſt, hergeben wollen. Denn
weil ich wußte, daß ſie mir von Rechtswegen zu-
gehoͤrten, und daß ſie dieſelben nicht noͤthig haben
koͤnnten: ſo hatte ich ſchon wegen eines guten Theils
davon meine Verordnung gemacht, und konnte
nur hoffen, daß ſie geneigt ſeyn wuͤrden, auf mei-
ne letzte Bitte ſie fahren zu laſſen. Wie reich wer-
de ich mich nun in dieſer meiner letzten Station
achten! ‒ ‒ Jedoch habe ich auch vorher keinen
Mangel gehabt ‒ ‒ Nein in der That nicht ‒ ‒
Denn wie kann man ſagen, daß jemand einen
Mangel leidet, der viel Ueberfluͤßiges hat?

Betruͤben Sie ſich nicht, meine wertheſte
Freundinn, daß ich es meine letzte Station nen-
ne. Denn was heißt ſelbſt das lange Leben, wor-
auf bey guter Geſundheit unſere Wuͤnſche gehen?
Was anders, als in dem ganzen Verlauf ein Le-
ben voller Furcht, bisweilen fuͤr unſere Freunde,
noch oͤfterer fuͤr uns ſelbſt? Zuletzt aber, wenn wir
zu dem hohen Alter, das wir begierig wuͤnſchen, ge-
kommen ſind; nachdem ein ſchwerer Verluſt dem
andern, eine ſchmerzliche Beraubung der andern
gefolget iſt: ſehen wir uns von allen und jeden,
die wir liebten, ſo zu ſagen entbloͤßet, und finden
uns, als ungeſellige elende Geſchoͤpfe, der Gering-
ſchaͤtzung, der Verachtung uͤbermuͤthig ſpielender
Jugend ausgeſetzet, die uns gern von dem Poſten
ſtoßen moͤchte, in Hoffnung das, was wir haben,
zu beſitzen ‒ ‒ Und zu dem allen kommen noch
unſere eigne Schwachheiten, die taͤglich zunehmen.

Dieſe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0320" n="314"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
nes Großvaters von der Zeit an, da es in ihren<lb/>
Ha&#x0364;nden gewe&#x017F;en i&#x017F;t, hergeben wollen. Denn<lb/>
weil ich wußte, daß &#x017F;ie mir von Rechtswegen zu-<lb/>
geho&#x0364;rten, und daß &#x017F;ie die&#x017F;elben nicht no&#x0364;thig haben<lb/>
ko&#x0364;nnten: &#x017F;o hatte ich &#x017F;chon wegen eines guten Theils<lb/>
davon meine Verordnung gemacht, und konnte<lb/>
nur hoffen, daß &#x017F;ie geneigt &#x017F;eyn wu&#x0364;rden, auf mei-<lb/>
ne letzte Bitte &#x017F;ie fahren zu la&#x017F;&#x017F;en. Wie reich wer-<lb/>
de ich mich nun in die&#x017F;er meiner letzten Station<lb/>
achten! &#x2012; &#x2012; Jedoch habe ich auch vorher keinen<lb/>
Mangel gehabt &#x2012; &#x2012; Nein in der That nicht &#x2012; &#x2012;<lb/>
Denn wie kann man &#x017F;agen, daß jemand einen<lb/>
Mangel leidet, der viel <hi rendition="#fr">Ueberflu&#x0364;ßiges</hi> hat?</p><lb/>
            <p>Betru&#x0364;ben Sie &#x017F;ich nicht, meine werthe&#x017F;te<lb/>
Freundinn, daß ich es meine <hi rendition="#fr">letzte Station</hi> nen-<lb/>
ne. Denn was heißt &#x017F;elb&#x017F;t das lange Leben, wor-<lb/>
auf bey guter Ge&#x017F;undheit un&#x017F;ere Wu&#x0364;n&#x017F;che gehen?<lb/>
Was anders, als in dem ganzen Verlauf ein Le-<lb/>
ben voller Furcht, bisweilen fu&#x0364;r un&#x017F;ere Freunde,<lb/>
noch o&#x0364;fterer fu&#x0364;r uns &#x017F;elb&#x017F;t? Zuletzt aber, wenn wir<lb/>
zu dem hohen Alter, das wir begierig wu&#x0364;n&#x017F;chen, ge-<lb/>
kommen &#x017F;ind; nachdem ein &#x017F;chwerer Verlu&#x017F;t dem<lb/>
andern, eine &#x017F;chmerzliche Beraubung der andern<lb/>
gefolget i&#x017F;t: &#x017F;ehen wir uns von allen und jeden,<lb/>
die wir liebten, &#x017F;o zu &#x017F;agen entblo&#x0364;ßet, und finden<lb/>
uns, als unge&#x017F;ellige elende Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe, der Gering-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;tzung, der Verachtung u&#x0364;bermu&#x0364;thig &#x017F;pielender<lb/>
Jugend ausge&#x017F;etzet, die uns gern von dem Po&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;toßen mo&#x0364;chte, in Hoffnung das, was wir haben,<lb/>
zu be&#x017F;itzen &#x2012; &#x2012; Und zu dem allen kommen noch<lb/>
un&#x017F;ere eigne Schwachheiten, die ta&#x0364;glich zunehmen.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Die&#x017F;e</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0320] nes Großvaters von der Zeit an, da es in ihren Haͤnden geweſen iſt, hergeben wollen. Denn weil ich wußte, daß ſie mir von Rechtswegen zu- gehoͤrten, und daß ſie dieſelben nicht noͤthig haben koͤnnten: ſo hatte ich ſchon wegen eines guten Theils davon meine Verordnung gemacht, und konnte nur hoffen, daß ſie geneigt ſeyn wuͤrden, auf mei- ne letzte Bitte ſie fahren zu laſſen. Wie reich wer- de ich mich nun in dieſer meiner letzten Station achten! ‒ ‒ Jedoch habe ich auch vorher keinen Mangel gehabt ‒ ‒ Nein in der That nicht ‒ ‒ Denn wie kann man ſagen, daß jemand einen Mangel leidet, der viel Ueberfluͤßiges hat? Betruͤben Sie ſich nicht, meine wertheſte Freundinn, daß ich es meine letzte Station nen- ne. Denn was heißt ſelbſt das lange Leben, wor- auf bey guter Geſundheit unſere Wuͤnſche gehen? Was anders, als in dem ganzen Verlauf ein Le- ben voller Furcht, bisweilen fuͤr unſere Freunde, noch oͤfterer fuͤr uns ſelbſt? Zuletzt aber, wenn wir zu dem hohen Alter, das wir begierig wuͤnſchen, ge- kommen ſind; nachdem ein ſchwerer Verluſt dem andern, eine ſchmerzliche Beraubung der andern gefolget iſt: ſehen wir uns von allen und jeden, die wir liebten, ſo zu ſagen entbloͤßet, und finden uns, als ungeſellige elende Geſchoͤpfe, der Gering- ſchaͤtzung, der Verachtung uͤbermuͤthig ſpielender Jugend ausgeſetzet, die uns gern von dem Poſten ſtoßen moͤchte, in Hoffnung das, was wir haben, zu beſitzen ‒ ‒ Und zu dem allen kommen noch unſere eigne Schwachheiten, die taͤglich zunehmen. Dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/320
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/320>, abgerufen am 22.11.2024.