Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



gesetzt, gnädige Frau - - So wandte er sich zu Jhren
Eltern - - daß dieß geschehen sollte: welches von
beyden, meynen sie denn wohl, ist besser; daß sie eine
solche Tochter, wie meine Base Clärchen, auf bestän-
dig verlieren, oder daß ihr Sohn nach Edinburg
gehen, und daselbst auf einem Gute, welches desto
besser seyn wird, wenn er es zu seinem Aufenthalt
wählet, seinen beständigen Sitz nehmen sollte? - -

Wie zornig sich Jhr Bruder hierüber
bezeigte, ist kaum zu beschreiben. Er nahm
es so unwillig auf, als wenn es die gütige
Neigung der Familie von ihm abzuwenden die-
nen sollte. Der Zorn ward so weit getrieben,
weil sich alle zu ihm schlugen, daß der Obrist mit
aufgehabenen Händen und Augen ausrief: Mit
was für steinernen Herzen bin ich verwandt! - -
O Herr Vetter Harlowe - - So kehrte er sich
zu Jhrem Herrn Vater - - sind sie entschlossen,
nur eine Tochter zu haben? Und wollen sie, gnä-
dige Frau, von einem Sohn, der kein menschliches
Gefühl hat, sich lehren lassen, wie sie vergessen
können, daß sie eine Mutter sind?

Der Obrist wandte sich hierauf von ihnen, um
sein Schnupftuch herauszuziehen, und konnte auf
einige Augenblicke nicht reden. Die Augen eines
jeden, außer dem hartherzigen Bruder, preßten
ihm Thränen aus.

Hernach aber kehrte er sich wieder zu ihnen:
mit desto größerem Unwillen, wie es schien; weil
er gezwungen worden war, Zeichen der Mensch-
heit von sich blicken zu lassen, wovor sich gleichwohl

kein



geſetzt, gnaͤdige Frau ‒ ‒ So wandte er ſich zu Jhren
Eltern ‒ ‒ daß dieß geſchehen ſollte: welches von
beyden, meynen ſie denn wohl, iſt beſſer; daß ſie eine
ſolche Tochter, wie meine Baſe Claͤrchen, auf beſtaͤn-
dig verlieren, oder daß ihr Sohn nach Edinburg
gehen, und daſelbſt auf einem Gute, welches deſto
beſſer ſeyn wird, wenn er es zu ſeinem Aufenthalt
waͤhlet, ſeinen beſtaͤndigen Sitz nehmen ſollte? ‒ ‒

Wie zornig ſich Jhr Bruder hieruͤber
bezeigte, iſt kaum zu beſchreiben. Er nahm
es ſo unwillig auf, als wenn es die guͤtige
Neigung der Familie von ihm abzuwenden die-
nen ſollte. Der Zorn ward ſo weit getrieben,
weil ſich alle zu ihm ſchlugen, daß der Obriſt mit
aufgehabenen Haͤnden und Augen ausrief: Mit
was fuͤr ſteinernen Herzen bin ich verwandt! ‒ ‒
O Herr Vetter Harlowe ‒ ‒ So kehrte er ſich
zu Jhrem Herrn Vater ‒ ‒ ſind ſie entſchloſſen,
nur eine Tochter zu haben? Und wollen ſie, gnaͤ-
dige Frau, von einem Sohn, der kein menſchliches
Gefuͤhl hat, ſich lehren laſſen, wie ſie vergeſſen
koͤnnen, daß ſie eine Mutter ſind?

Der Obriſt wandte ſich hierauf von ihnen, um
ſein Schnupftuch herauszuziehen, und konnte auf
einige Augenblicke nicht reden. Die Augen eines
jeden, außer dem hartherzigen Bruder, preßten
ihm Thraͤnen aus.

Hernach aber kehrte er ſich wieder zu ihnen:
mit deſto groͤßerem Unwillen, wie es ſchien; weil
er gezwungen worden war, Zeichen der Menſch-
heit von ſich blicken zu laſſen, wovor ſich gleichwohl

kein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0342" n="336"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ge&#x017F;etzt, gna&#x0364;dige Frau &#x2012; &#x2012; So wandte er &#x017F;ich zu Jhren<lb/>
Eltern &#x2012; &#x2012; daß dieß ge&#x017F;chehen &#x017F;ollte: welches von<lb/>
beyden, meynen &#x017F;ie denn wohl, i&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er; daß &#x017F;ie eine<lb/>
&#x017F;olche Tochter, wie meine Ba&#x017F;e Cla&#x0364;rchen, auf be&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
dig verlieren, oder daß ihr Sohn nach Edinburg<lb/>
gehen, und da&#x017F;elb&#x017F;t auf einem Gute, welches de&#x017F;to<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;eyn wird, wenn er es zu &#x017F;einem Aufenthalt<lb/>
wa&#x0364;hlet, &#x017F;einen be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Sitz nehmen &#x017F;ollte? &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
            <p>Wie zornig &#x017F;ich Jhr Bruder hieru&#x0364;ber<lb/>
bezeigte, i&#x017F;t kaum zu be&#x017F;chreiben. Er nahm<lb/>
es &#x017F;o unwillig auf, als wenn es die gu&#x0364;tige<lb/>
Neigung der Familie von ihm abzuwenden die-<lb/>
nen &#x017F;ollte. Der Zorn ward &#x017F;o weit getrieben,<lb/>
weil &#x017F;ich alle zu ihm &#x017F;chlugen, daß der Obri&#x017F;t mit<lb/>
aufgehabenen Ha&#x0364;nden und Augen ausrief: Mit<lb/>
was fu&#x0364;r &#x017F;teinernen Herzen bin ich verwandt! &#x2012; &#x2012;<lb/>
O Herr Vetter Harlowe &#x2012; &#x2012; So kehrte er &#x017F;ich<lb/>
zu Jhrem Herrn Vater &#x2012; &#x2012; &#x017F;ind &#x017F;ie ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
nur eine Tochter zu haben? Und wollen &#x017F;ie, gna&#x0364;-<lb/>
dige Frau, von einem Sohn, der kein men&#x017F;chliches<lb/>
Gefu&#x0364;hl hat, &#x017F;ich lehren la&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;ie verge&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ko&#x0364;nnen, daß &#x017F;ie eine Mutter &#x017F;ind?</p><lb/>
            <p>Der Obri&#x017F;t wandte &#x017F;ich hierauf von ihnen, um<lb/>
&#x017F;ein Schnupftuch herauszuziehen, und konnte auf<lb/>
einige Augenblicke nicht reden. Die Augen eines<lb/>
jeden, außer dem hartherzigen Bruder, preßten<lb/>
ihm Thra&#x0364;nen aus.</p><lb/>
            <p>Hernach aber kehrte er &#x017F;ich wieder zu ihnen:<lb/>
mit de&#x017F;to gro&#x0364;ßerem Unwillen, wie es &#x017F;chien; weil<lb/>
er gezwungen worden war, Zeichen der Men&#x017F;ch-<lb/>
heit von &#x017F;ich blicken zu la&#x017F;&#x017F;en, wovor &#x017F;ich gleichwohl<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kein</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0342] geſetzt, gnaͤdige Frau ‒ ‒ So wandte er ſich zu Jhren Eltern ‒ ‒ daß dieß geſchehen ſollte: welches von beyden, meynen ſie denn wohl, iſt beſſer; daß ſie eine ſolche Tochter, wie meine Baſe Claͤrchen, auf beſtaͤn- dig verlieren, oder daß ihr Sohn nach Edinburg gehen, und daſelbſt auf einem Gute, welches deſto beſſer ſeyn wird, wenn er es zu ſeinem Aufenthalt waͤhlet, ſeinen beſtaͤndigen Sitz nehmen ſollte? ‒ ‒ Wie zornig ſich Jhr Bruder hieruͤber bezeigte, iſt kaum zu beſchreiben. Er nahm es ſo unwillig auf, als wenn es die guͤtige Neigung der Familie von ihm abzuwenden die- nen ſollte. Der Zorn ward ſo weit getrieben, weil ſich alle zu ihm ſchlugen, daß der Obriſt mit aufgehabenen Haͤnden und Augen ausrief: Mit was fuͤr ſteinernen Herzen bin ich verwandt! ‒ ‒ O Herr Vetter Harlowe ‒ ‒ So kehrte er ſich zu Jhrem Herrn Vater ‒ ‒ ſind ſie entſchloſſen, nur eine Tochter zu haben? Und wollen ſie, gnaͤ- dige Frau, von einem Sohn, der kein menſchliches Gefuͤhl hat, ſich lehren laſſen, wie ſie vergeſſen koͤnnen, daß ſie eine Mutter ſind? Der Obriſt wandte ſich hierauf von ihnen, um ſein Schnupftuch herauszuziehen, und konnte auf einige Augenblicke nicht reden. Die Augen eines jeden, außer dem hartherzigen Bruder, preßten ihm Thraͤnen aus. Hernach aber kehrte er ſich wieder zu ihnen: mit deſto groͤßerem Unwillen, wie es ſchien; weil er gezwungen worden war, Zeichen der Menſch- heit von ſich blicken zu laſſen, wovor ſich gleichwohl kein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/342
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/342>, abgerufen am 22.11.2024.