vorher ihr Buch mit geistlichen Betrachtun- gen, wie sie es nannte, heraus, und sagte, sie würde das vielleicht gebrauchen. Sodann bat sie mich, den Schlüssel von dem Schubkasten zu mir zu nehmen: denn sie würde auch den nicht weiter nöthig haben.
Alles dieß redete und that sie mit einem so ge- setzten und muntern Wesen, daß wir dadurch eben so sehr in Erstaunen als in Betrübniß gesetzt wurden.
Sie können mir Zeugniß geben, Fr. Smi- thinn, und auch sie Fr. Lovick, fuhr sie fort, wenn irgend jemand nach meiner Lebensart und meinem Umgange, seit dem sie mich gekannt haben, fragen sollte, daß ich sehr ordentlich gewesen bin, meine Stunden richtig beobachtet und niemals über Nacht außerhalb Hauses geschlafen habe, ohne nur da ich im Gefängnisse war, und damals, wis- sen sie, konnte ich es nicht ändern.
O Lovelace! hättest du sie doch bey dieser Ge- legenheit, ohne ihr Wissen, nur hören oder sehen können! - - Keiner von uns konnte ein Wort sprechen.
Jch werde die Welt in vollkommenchristli- cher Liebe verlassen, setzte sie hinzu; und indem sie sich zu den Frauensleuten wandte, sprach sie: Betrüben sie sich meinetwegen nicht so sehr, meine liebe Freundinnen. Dieß ist alles nur eine noth- wendige Zubereitung: und ich werde sehr glück- lich seyn.
So-
vorher ihr Buch mit geiſtlichen Betrachtun- gen, wie ſie es nannte, heraus, und ſagte, ſie wuͤrde das vielleicht gebrauchen. Sodann bat ſie mich, den Schluͤſſel von dem Schubkaſten zu mir zu nehmen: denn ſie wuͤrde auch den nicht weiter noͤthig haben.
Alles dieß redete und that ſie mit einem ſo ge- ſetzten und muntern Weſen, daß wir dadurch eben ſo ſehr in Erſtaunen als in Betruͤbniß geſetzt wurden.
Sie koͤnnen mir Zeugniß geben, Fr. Smi- thinn, und auch ſie Fr. Lovick, fuhr ſie fort, wenn irgend jemand nach meiner Lebensart und meinem Umgange, ſeit dem ſie mich gekannt haben, fragen ſollte, daß ich ſehr ordentlich geweſen bin, meine Stunden richtig beobachtet und niemals uͤber Nacht außerhalb Hauſes geſchlafen habe, ohne nur da ich im Gefaͤngniſſe war, und damals, wiſ- ſen ſie, konnte ich es nicht aͤndern.
O Lovelace! haͤtteſt du ſie doch bey dieſer Ge- legenheit, ohne ihr Wiſſen, nur hoͤren oder ſehen koͤnnen! ‒ ‒ Keiner von uns konnte ein Wort ſprechen.
Jch werde die Welt in vollkommenchriſtli- cher Liebe verlaſſen, ſetzte ſie hinzu; und indem ſie ſich zu den Frauensleuten wandte, ſprach ſie: Betruͤben ſie ſich meinetwegen nicht ſo ſehr, meine liebe Freundinnen. Dieß iſt alles nur eine noth- wendige Zubereitung: und ich werde ſehr gluͤck- lich ſeyn.
So-
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vorher ihr Buch mit geiſtlichen Betrachtun-
gen, wie ſie es nannte, heraus, und ſagte, ſie
wuͤrde das vielleicht gebrauchen. Sodann bat ſie
mich, den Schluͤſſel von dem Schubkaſten zu mir
zu nehmen: denn ſie wuͤrde auch den nicht weiter
noͤthig haben.
Alles dieß redete und that ſie mit einem ſo ge-
ſetzten und muntern Weſen, daß wir dadurch eben
ſo ſehr in Erſtaunen als in Betruͤbniß geſetzt
wurden.
Sie koͤnnen mir Zeugniß geben, Fr. Smi-
thinn, und auch ſie Fr. Lovick, fuhr ſie fort, wenn
irgend jemand nach meiner Lebensart und meinem
Umgange, ſeit dem ſie mich gekannt haben, fragen
ſollte, daß ich ſehr ordentlich geweſen bin, meine
Stunden richtig beobachtet und niemals uͤber
Nacht außerhalb Hauſes geſchlafen habe, ohne
nur da ich im Gefaͤngniſſe war, und damals, wiſ-
ſen ſie, konnte ich es nicht aͤndern.
O Lovelace! haͤtteſt du ſie doch bey dieſer Ge-
legenheit, ohne ihr Wiſſen, nur hoͤren oder ſehen
koͤnnen! ‒ ‒ Keiner von uns konnte ein Wort
ſprechen.
Jch werde die Welt in vollkommenchriſtli-
cher Liebe verlaſſen, ſetzte ſie hinzu; und indem
ſie ſich zu den Frauensleuten wandte, ſprach ſie:
Betruͤben ſie ſich meinetwegen nicht ſo ſehr, meine
liebe Freundinnen. Dieß iſt alles nur eine noth-
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lich ſeyn.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/360>, abgerufen am 22.11.2024.
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