"sprung von Kummer und Verdruß über eine "fehlgeschlagene Hoffnung haben. Eine Abwe- "senheit auf zwey oder drey Jahr werde bey ihrer "Rückkehr sie allen und jeden, und alle und jede "ihr, lieb und werth machen.
"Er bezeuget sein sehnliches Verlangen, sie zu "sehen. Er sagt, er wolle sich den Augenblick "auf den Weg machen, wenn er den Ausschlag "von der Entschließung ihrer Familie erführe: "er zweifle aber nicht, daß derselbe vortheilhaft "und günstig seyn werde. Jedoch wolle er auch "darauf nicht lange warten."
Als ich der matten und schwachen Fräulein den Brief ganz vorgelesen hatte, sprach sie: Eben so, meine Freunde, habe ich von einem Kranken gehört, der wirklich unter der Zeit starb, da fünf oder sechse der vornehmsten Aerzte in Berath- schlagung begriffen waren, und unter sich nicht einig werden konnten, was sie seiner Krankheit für ei- nen Namen geben sollten. Der Kranke war ein Kayser: der Kayser Joseph, denke ich.
Jch fragte, ob ich an ihren Vetter schreiben sollte, weil er nicht wüßte, wie schlecht es mit ihr wäre, daß er seine Reise hierher beschleunigen möchte.
Keinesweges, versetzte sie: denn, wo er nicht schon abgereiset wäre, so wäre sie versichert, daß sie unter der Zeit, da er meinen Brief erhalten und kommen könnte, so schwach seyn würde, daß seine Gegenwart ihr nur Unordnung und Verwirrung, und ihm nur Kummer verursachen möchte.
Jch
„ſprung von Kummer und Verdruß uͤber eine „fehlgeſchlagene Hoffnung haben. Eine Abwe- „ſenheit auf zwey oder drey Jahr werde bey ihrer „Ruͤckkehr ſie allen und jeden, und alle und jede „ihr, lieb und werth machen.
„Er bezeuget ſein ſehnliches Verlangen, ſie zu „ſehen. Er ſagt, er wolle ſich den Augenblick „auf den Weg machen, wenn er den Ausſchlag „von der Entſchließung ihrer Familie erfuͤhre: „er zweifle aber nicht, daß derſelbe vortheilhaft „und guͤnſtig ſeyn werde. Jedoch wolle er auch „darauf nicht lange warten.“
Als ich der matten und ſchwachen Fraͤulein den Brief ganz vorgeleſen hatte, ſprach ſie: Eben ſo, meine Freunde, habe ich von einem Kranken gehoͤrt, der wirklich unter der Zeit ſtarb, da fuͤnf oder ſechſe der vornehmſten Aerzte in Berath- ſchlagung begriffen waren, und unter ſich nicht einig werden konnten, was ſie ſeiner Krankheit fuͤr ei- nen Namen geben ſollten. Der Kranke war ein Kayſer: der Kayſer Joſeph, denke ich.
Jch fragte, ob ich an ihren Vetter ſchreiben ſollte, weil er nicht wuͤßte, wie ſchlecht es mit ihr waͤre, daß er ſeine Reiſe hierher beſchleunigen moͤchte.
Keinesweges, verſetzte ſie: denn, wo er nicht ſchon abgereiſet waͤre, ſo waͤre ſie verſichert, daß ſie unter der Zeit, da er meinen Brief erhalten und kommen koͤnnte, ſo ſchwach ſeyn wuͤrde, daß ſeine Gegenwart ihr nur Unordnung und Verwirrung, und ihm nur Kummer verurſachen moͤchte.
Jch
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„ſprung von Kummer und Verdruß uͤber eine
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„ſenheit auf zwey oder drey Jahr werde bey ihrer
„Ruͤckkehr ſie allen und jeden, und alle und jede
„ihr, lieb und werth machen.
„Er bezeuget ſein ſehnliches Verlangen, ſie zu
„ſehen. Er ſagt, er wolle ſich den Augenblick
„auf den Weg machen, wenn er den Ausſchlag
„von der Entſchließung ihrer Familie erfuͤhre:
„er zweifle aber nicht, daß derſelbe vortheilhaft
„und guͤnſtig ſeyn werde. Jedoch wolle er auch
„darauf nicht lange warten.“
Als ich der matten und ſchwachen Fraͤulein
den Brief ganz vorgeleſen hatte, ſprach ſie: Eben
ſo, meine Freunde, habe ich von einem Kranken
gehoͤrt, der wirklich unter der Zeit ſtarb, da fuͤnf
oder ſechſe der vornehmſten Aerzte in Berath-
ſchlagung begriffen waren, und unter ſich nicht einig
werden konnten, was ſie ſeiner Krankheit fuͤr ei-
nen Namen geben ſollten. Der Kranke war ein
Kayſer: der Kayſer Joſeph, denke ich.
Jch fragte, ob ich an ihren Vetter ſchreiben
ſollte, weil er nicht wuͤßte, wie ſchlecht es mit ihr
waͤre, daß er ſeine Reiſe hierher beſchleunigen
moͤchte.
Keinesweges, verſetzte ſie: denn, wo er nicht
ſchon abgereiſet waͤre, ſo waͤre ſie verſichert, daß ſie
unter der Zeit, da er meinen Brief erhalten und
kommen koͤnnte, ſo ſchwach ſeyn wuͤrde, daß ſeine
Gegenwart ihr nur Unordnung und Verwirrung,
und ihm nur Kummer verurſachen moͤchte.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/366>, abgerufen am 22.11.2024.
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