gen Stille in der verwichenen Nacht, geschmeichelt hatten. Der Obrist und ich wollten beyde nicht gern sagen, was wir dachten, und sahen mit trau- rigen Gesichtern einander an.
Der Obrist sagte ihr, er würde einen Bedien- ten nach einigen Papieren, die er bey ihrem On- kel Anton zurückgelassen hätte, zu demselben sen- den, und fragte, ob sie des Weges etwas zu befeh- len hätte? - - - Sie gedächte nicht, war ihre Antwort, wobey sie mehr einwärts redete, als des Tages vorher. Sie hätte wohl einen Brief fer- tig, der an ihre gute Fr. Norton geschickt werden sollte; und in demselben wäre einer Bitte gedacht: allein es wäre Zeit genug, wenn sie denen, welche sie anginge, nur kund gethan würde, wann alles vorüber wäre. Jnzwischen könnte er mit dem Bedienten, der doch des Weges ginge, abgesandt werden. Sie verordnete daher, daß er dem Obri- sten zu dem Ende gegeben wurde.
Weil ihr der Athem sehr kurz war: so ver- langte sie noch ein Hauptküssen. Da sie schon vorher ihrer zwey hatte: so machte dieß, daß sie gewissermaßen in ihrem Bette aufgerichtet saß. Sie sprach darauf vernehmlicher, und weil sie uns sehr betrübt sahe, vergaß sie ihr eignes Leiden, um uns zu trösten. Sie gab uns eine schöne, ob gleich kurze, Lection über die Glückseligkeit bey ei- ner frühzeitigen Zubereitung, und über die Ge- fahr bey einer späten Buße, wenn das Gemüth, wie sie bemerkte, eben so wohl, als der Leib, so sehr geschwächet wäre, daß es eine arme Seele
außer
gen Stille in der verwichenen Nacht, geſchmeichelt hatten. Der Obriſt und ich wollten beyde nicht gern ſagen, was wir dachten, und ſahen mit trau- rigen Geſichtern einander an.
Der Obriſt ſagte ihr, er wuͤrde einen Bedien- ten nach einigen Papieren, die er bey ihrem On- kel Anton zuruͤckgelaſſen haͤtte, zu demſelben ſen- den, und fragte, ob ſie des Weges etwas zu befeh- len haͤtte? ‒ ‒ ‒ Sie gedaͤchte nicht, war ihre Antwort, wobey ſie mehr einwaͤrts redete, als des Tages vorher. Sie haͤtte wohl einen Brief fer- tig, der an ihre gute Fr. Norton geſchickt werden ſollte; und in demſelben waͤre einer Bitte gedacht: allein es waͤre Zeit genug, wenn ſie denen, welche ſie anginge, nur kund gethan wuͤrde, wann alles voruͤber waͤre. Jnzwiſchen koͤnnte er mit dem Bedienten, der doch des Weges ginge, abgeſandt werden. Sie verordnete daher, daß er dem Obri- ſten zu dem Ende gegeben wurde.
Weil ihr der Athem ſehr kurz war: ſo ver- langte ſie noch ein Hauptkuͤſſen. Da ſie ſchon vorher ihrer zwey hatte: ſo machte dieß, daß ſie gewiſſermaßen in ihrem Bette aufgerichtet ſaß. Sie ſprach darauf vernehmlicher, und weil ſie uns ſehr betruͤbt ſahe, vergaß ſie ihr eignes Leiden, um uns zu troͤſten. Sie gab uns eine ſchoͤne, ob gleich kurze, Lection uͤber die Gluͤckſeligkeit bey ei- ner fruͤhzeitigen Zubereitung, und uͤber die Ge- fahr bey einer ſpaͤten Buße, wenn das Gemuͤth, wie ſie bemerkte, eben ſo wohl, als der Leib, ſo ſehr geſchwaͤchet waͤre, daß es eine arme Seele
außer
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gen Stille in der verwichenen Nacht, geſchmeichelt
hatten. Der Obriſt und ich wollten beyde nicht
gern ſagen, was wir dachten, und ſahen mit trau-
rigen Geſichtern einander an.
Der Obriſt ſagte ihr, er wuͤrde einen Bedien-
ten nach einigen Papieren, die er bey ihrem On-
kel Anton zuruͤckgelaſſen haͤtte, zu demſelben ſen-
den, und fragte, ob ſie des Weges etwas zu befeh-
len haͤtte? ‒ ‒ ‒ Sie gedaͤchte nicht, war ihre
Antwort, wobey ſie mehr einwaͤrts redete, als des
Tages vorher. Sie haͤtte wohl einen Brief fer-
tig, der an ihre gute Fr. Norton geſchickt werden
ſollte; und in demſelben waͤre einer Bitte gedacht:
allein es waͤre Zeit genug, wenn ſie denen, welche
ſie anginge, nur kund gethan wuͤrde, wann alles
voruͤber waͤre. Jnzwiſchen koͤnnte er mit dem
Bedienten, der doch des Weges ginge, abgeſandt
werden. Sie verordnete daher, daß er dem Obri-
ſten zu dem Ende gegeben wurde.
Weil ihr der Athem ſehr kurz war: ſo ver-
langte ſie noch ein Hauptkuͤſſen. Da ſie ſchon
vorher ihrer zwey hatte: ſo machte dieß, daß ſie
gewiſſermaßen in ihrem Bette aufgerichtet ſaß.
Sie ſprach darauf vernehmlicher, und weil ſie
uns ſehr betruͤbt ſahe, vergaß ſie ihr eignes Leiden,
um uns zu troͤſten. Sie gab uns eine ſchoͤne, ob
gleich kurze, Lection uͤber die Gluͤckſeligkeit bey ei-
ner fruͤhzeitigen Zubereitung, und uͤber die Ge-
fahr bey einer ſpaͤten Buße, wenn das Gemuͤth,
wie ſie bemerkte, eben ſo wohl, als der Leib, ſo
ſehr geſchwaͤchet waͤre, daß es eine arme Seele
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/446>, abgerufen am 22.11.2024.
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