Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



wird alles bald vorüber seyn. - - Wenige - - sehr
wenige Augenblicke - - werden diesem Kampfe
ein Ende machen: - - und ich werde glückselig
seyn!

Getrost hier, mein Herr - - so wandte sie ihr
Gesicht gegen den Obristen - - Getrost, Herr
Vetter - - Siehe! - - die sträfliche Gütigkeit
- - Er wollte nicht wünschen, daß ich - - so
bald glücklich seyn sollte!

Hier hielte sie auf zwo oder drey Minuten in-
ne, und sahe ihn ernsthaft an. Darauf nahm sie
das Wort wieder. Mein liebster Herr Vetter,
lassen sie sich doch trösten - - Was ist der Tod
anders, als das gemeine Looß? - - Der sterbliche
Bau mag unter einer Last zu arbeiten scheinen
- - Aber das ist auch alles! - - Es ist nicht so
hart, zu sterben, als ich geglaubet habe! - - Die
Vorbereitung ist die Schwierigkeit - - - Jch
danke Gott, daß ich dazu Zeit gehabt habe. - -
Das Uebrige ist ärger für die Zuschauer, als für
mich - - Jch bin voll seliger Hoffnung - - ja
die Hoffnung selbst.

Sie sahe so aus, wie sie sagte: ein angeneh-
mes Lächeln strahlte über ihr Gesicht.

Nach einem kurzen Stillschweigen fuhr sie
wieder fort. Noch einmal, mein lieber Herr
Vetter, sagte sie, aber noch immer in gebrochner
Sprache, empfehlen sie mich aufs gehorsamste
bey meinem Vater und Mutter - - Da brach
sie ab. Bald aber fuhr sie fort - - Bey meiner
Schwester, bey meinem Bruder, bey meinen On-

kels



wird alles bald voruͤber ſeyn. ‒ ‒ Wenige ‒ ‒ ſehr
wenige Augenblicke ‒ ‒ werden dieſem Kampfe
ein Ende machen: ‒ ‒ und ich werde gluͤckſelig
ſeyn!

Getroſt hier, mein Herr ‒ ‒ ſo wandte ſie ihr
Geſicht gegen den Obriſten ‒ ‒ Getroſt, Herr
Vetter ‒ ‒ Siehe! ‒ ‒ die ſtraͤfliche Guͤtigkeit
‒ ‒ Er wollte nicht wuͤnſchen, daß ich ‒ ‒ ſo
bald gluͤcklich ſeyn ſollte!

Hier hielte ſie auf zwo oder drey Minuten in-
ne, und ſahe ihn ernſthaft an. Darauf nahm ſie
das Wort wieder. Mein liebſter Herr Vetter,
laſſen ſie ſich doch troͤſten ‒ ‒ Was iſt der Tod
anders, als das gemeine Looß? ‒ ‒ Der ſterbliche
Bau mag unter einer Laſt zu arbeiten ſcheinen
‒ ‒ Aber das iſt auch alles! ‒ ‒ Es iſt nicht ſo
hart, zu ſterben, als ich geglaubet habe! ‒ ‒ Die
Vorbereitung iſt die Schwierigkeit ‒ ‒ ‒ Jch
danke Gott, daß ich dazu Zeit gehabt habe. ‒ ‒
Das Uebrige iſt aͤrger fuͤr die Zuſchauer, als fuͤr
mich ‒ ‒ Jch bin voll ſeliger Hoffnung ‒ ‒ ja
die Hoffnung ſelbſt.

Sie ſahe ſo aus, wie ſie ſagte: ein angeneh-
mes Laͤcheln ſtrahlte uͤber ihr Geſicht.

Nach einem kurzen Stillſchweigen fuhr ſie
wieder fort. Noch einmal, mein lieber Herr
Vetter, ſagte ſie, aber noch immer in gebrochner
Sprache, empfehlen ſie mich aufs gehorſamſte
bey meinem Vater und Mutter ‒ ‒ Da brach
ſie ab. Bald aber fuhr ſie fort ‒ ‒ Bey meiner
Schweſter, bey meinem Bruder, bey meinen On-

kels
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0464" n="458"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
wird alles bald voru&#x0364;ber &#x017F;eyn. &#x2012; &#x2012; Wenige &#x2012; &#x2012; &#x017F;ehr<lb/>
wenige Augenblicke &#x2012; &#x2012; werden die&#x017F;em Kampfe<lb/>
ein Ende machen: &#x2012; &#x2012; und ich werde glu&#x0364;ck&#x017F;elig<lb/>
&#x017F;eyn!</p><lb/>
          <p>Getro&#x017F;t hier, mein Herr &#x2012; &#x2012; &#x017F;o wandte &#x017F;ie ihr<lb/>
Ge&#x017F;icht gegen den Obri&#x017F;ten &#x2012; &#x2012; Getro&#x017F;t, Herr<lb/>
Vetter &#x2012; &#x2012; Siehe! &#x2012; &#x2012; die &#x017F;tra&#x0364;fliche Gu&#x0364;tigkeit<lb/>
&#x2012; &#x2012; Er wollte nicht wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß ich &#x2012; &#x2012; &#x017F;o<lb/><hi rendition="#fr">bald</hi> glu&#x0364;cklich &#x017F;eyn &#x017F;ollte!</p><lb/>
          <p>Hier hielte &#x017F;ie auf zwo oder drey Minuten in-<lb/>
ne, und &#x017F;ahe ihn ern&#x017F;thaft an. Darauf nahm &#x017F;ie<lb/>
das Wort wieder. Mein lieb&#x017F;ter Herr Vetter,<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;ich doch tro&#x0364;&#x017F;ten &#x2012; &#x2012; Was i&#x017F;t der Tod<lb/>
anders, als das gemeine Looß? &#x2012; &#x2012; Der &#x017F;terbliche<lb/>
Bau mag unter einer La&#x017F;t zu arbeiten <hi rendition="#fr">&#x017F;cheinen</hi><lb/>
&#x2012; &#x2012; Aber das i&#x017F;t auch alles! &#x2012; &#x2012; Es i&#x017F;t nicht &#x017F;o<lb/>
hart, zu &#x017F;terben, als ich geglaubet habe! &#x2012; &#x2012; Die<lb/>
Vorbereitung i&#x017F;t die Schwierigkeit &#x2012; &#x2012; &#x2012; Jch<lb/>
danke Gott, daß ich dazu Zeit gehabt habe. &#x2012; &#x2012;<lb/>
Das Uebrige i&#x017F;t a&#x0364;rger fu&#x0364;r die Zu&#x017F;chauer, als fu&#x0364;r<lb/>
mich &#x2012; &#x2012; Jch bin voll &#x017F;eliger Hoffnung &#x2012; &#x2012; ja<lb/>
die Hoffnung &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Sie <hi rendition="#fr">&#x017F;ahe</hi> &#x017F;o aus, wie &#x017F;ie &#x017F;agte: ein angeneh-<lb/>
mes La&#x0364;cheln &#x017F;trahlte u&#x0364;ber ihr Ge&#x017F;icht.</p><lb/>
          <p>Nach einem kurzen Still&#x017F;chweigen fuhr &#x017F;ie<lb/>
wieder fort. Noch einmal, mein lieber Herr<lb/>
Vetter, &#x017F;agte &#x017F;ie, aber noch immer in gebrochner<lb/>
Sprache, empfehlen &#x017F;ie mich aufs gehor&#x017F;am&#x017F;te<lb/>
bey meinem Vater und Mutter &#x2012; &#x2012; Da brach<lb/>
&#x017F;ie ab. Bald aber fuhr &#x017F;ie fort &#x2012; &#x2012; Bey meiner<lb/>
Schwe&#x017F;ter, bey meinem Bruder, bey meinen On-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kels</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[458/0464] wird alles bald voruͤber ſeyn. ‒ ‒ Wenige ‒ ‒ ſehr wenige Augenblicke ‒ ‒ werden dieſem Kampfe ein Ende machen: ‒ ‒ und ich werde gluͤckſelig ſeyn! Getroſt hier, mein Herr ‒ ‒ ſo wandte ſie ihr Geſicht gegen den Obriſten ‒ ‒ Getroſt, Herr Vetter ‒ ‒ Siehe! ‒ ‒ die ſtraͤfliche Guͤtigkeit ‒ ‒ Er wollte nicht wuͤnſchen, daß ich ‒ ‒ ſo bald gluͤcklich ſeyn ſollte! Hier hielte ſie auf zwo oder drey Minuten in- ne, und ſahe ihn ernſthaft an. Darauf nahm ſie das Wort wieder. Mein liebſter Herr Vetter, laſſen ſie ſich doch troͤſten ‒ ‒ Was iſt der Tod anders, als das gemeine Looß? ‒ ‒ Der ſterbliche Bau mag unter einer Laſt zu arbeiten ſcheinen ‒ ‒ Aber das iſt auch alles! ‒ ‒ Es iſt nicht ſo hart, zu ſterben, als ich geglaubet habe! ‒ ‒ Die Vorbereitung iſt die Schwierigkeit ‒ ‒ ‒ Jch danke Gott, daß ich dazu Zeit gehabt habe. ‒ ‒ Das Uebrige iſt aͤrger fuͤr die Zuſchauer, als fuͤr mich ‒ ‒ Jch bin voll ſeliger Hoffnung ‒ ‒ ja die Hoffnung ſelbſt. Sie ſahe ſo aus, wie ſie ſagte: ein angeneh- mes Laͤcheln ſtrahlte uͤber ihr Geſicht. Nach einem kurzen Stillſchweigen fuhr ſie wieder fort. Noch einmal, mein lieber Herr Vetter, ſagte ſie, aber noch immer in gebrochner Sprache, empfehlen ſie mich aufs gehorſamſte bey meinem Vater und Mutter ‒ ‒ Da brach ſie ab. Bald aber fuhr ſie fort ‒ ‒ Bey meiner Schweſter, bey meinem Bruder, bey meinen On- kels

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/464
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/464>, abgerufen am 16.07.2024.