und neigte ihren Kopf zu sechs verschiedenen malen, wie wir uns machher besonnen haben, als wenn sie eine jede von den gegenwärtigen Perso- nen unterscheiden wollte; die Wärterinn und die Magd nicht vergessen; indem die letztere sich mit Weinen zu dem Bette genähert hatte, als wenn sie sich zu dem letzten Segen von der göttlichen Fräulein mit eindrängen wollte: und sie sprach stotternd und einwärts - - Segne - - segne - - segne - - sie alle - - Und nun - Und nun - - dabey hub sie ihre beynahe leblosen Hände zum letzten mal in die Höhe - - komm - - o komm - - Hochgelobter Herr - - Jesu!
Mit diesen Worten verschied sie, als sie das letzte nur erst halb ausgesprochen hatte: und in dem Augenblick breitete sich ein solches Lächeln, ei- ne so reizende Heiterkeit über ihr anmuthreiches Gesicht aus, daß es ein Zeichen ihrer schon ange- gangenen ewigen Glückseligkeit zu seyn schiene.
O Lovelace! - - Allein ich kann nicht mehr schreiben!
Jch nehme meine Feder wieder, um noch ei- nige wenige Zeilen hinzuzusetzen.
Als sie noch warm, ob gleich ohne Bewe- gung, war, drückte ein jeder von uns seine Lippen an ihre Hand: und so dann begaben wir uns in das nächste Zimmer.
Wir sahen einander an, in der Absicht, zu sprechen: allein wir wandten uns stillschweigend
von
und neigte ihren Kopf zu ſechs verſchiedenen malen, wie wir uns machher beſonnen haben, als wenn ſie eine jede von den gegenwaͤrtigen Perſo- nen unterſcheiden wollte; die Waͤrterinn und die Magd nicht vergeſſen; indem die letztere ſich mit Weinen zu dem Bette genaͤhert hatte, als wenn ſie ſich zu dem letzten Segen von der goͤttlichen Fraͤulein mit eindraͤngen wollte: und ſie ſprach ſtotternd und einwaͤrts ‒ ‒ Segne ‒ ‒ ſegne ‒ ‒ ſegne ‒ ‒ ſie alle ‒ ‒ Und nun ‒ Und nun ‒ ‒ dabey hub ſie ihre beynahe lebloſen Haͤnde zum letzten mal in die Hoͤhe ‒ ‒ komm ‒ ‒ o komm ‒ ‒ Hochgelobter Herr ‒ ‒ Jeſu!
Mit dieſen Worten verſchied ſie, als ſie das letzte nur erſt halb ausgeſprochen hatte: und in dem Augenblick breitete ſich ein ſolches Laͤcheln, ei- ne ſo reizende Heiterkeit uͤber ihr anmuthreiches Geſicht aus, daß es ein Zeichen ihrer ſchon ange- gangenen ewigen Gluͤckſeligkeit zu ſeyn ſchiene.
O Lovelace! ‒ ‒ Allein ich kann nicht mehr ſchreiben!
Jch nehme meine Feder wieder, um noch ei- nige wenige Zeilen hinzuzuſetzen.
Als ſie noch warm, ob gleich ohne Bewe- gung, war, druͤckte ein jeder von uns ſeine Lippen an ihre Hand: und ſo dann begaben wir uns in das naͤchſte Zimmer.
Wir ſahen einander an, in der Abſicht, zu ſprechen: allein wir wandten uns ſtillſchweigend
von
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und neigte ihren Kopf zu ſechs verſchiedenen
malen, wie wir uns machher beſonnen haben, als
wenn ſie eine jede von den gegenwaͤrtigen Perſo-
nen unterſcheiden wollte; die Waͤrterinn und die
Magd nicht vergeſſen; indem die letztere ſich mit
Weinen zu dem Bette genaͤhert hatte, als wenn
ſie ſich zu dem letzten Segen von der goͤttlichen
Fraͤulein mit eindraͤngen wollte: und ſie ſprach
ſtotternd und einwaͤrts ‒ ‒ Segne ‒ ‒ ſegne
‒ ‒ ſegne ‒ ‒ ſie alle ‒ ‒ Und nun ‒ Und nun
‒ ‒ dabey hub ſie ihre beynahe lebloſen Haͤnde
zum letzten mal in die Hoͤhe ‒ ‒ komm ‒ ‒ o
komm ‒ ‒ Hochgelobter Herr ‒ ‒ Jeſu!
Mit dieſen Worten verſchied ſie, als ſie das
letzte nur erſt halb ausgeſprochen hatte: und in
dem Augenblick breitete ſich ein ſolches Laͤcheln, ei-
ne ſo reizende Heiterkeit uͤber ihr anmuthreiches
Geſicht aus, daß es ein Zeichen ihrer ſchon ange-
gangenen ewigen Gluͤckſeligkeit zu ſeyn ſchiene.
O Lovelace! ‒ ‒ Allein ich kann nicht mehr
ſchreiben!
Jch nehme meine Feder wieder, um noch ei-
nige wenige Zeilen hinzuzuſetzen.
Als ſie noch warm, ob gleich ohne Bewe-
gung, war, druͤckte ein jeder von uns ſeine Lippen
an ihre Hand: und ſo dann begaben wir uns in
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Wir ſahen einander an, in der Abſicht, zu
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/468>, abgerufen am 22.11.2024.
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